In der Kirche war es kühl, aber nicht kalt.
Die zuvor zu Massen verhandenen, in schwarz gehüllten Gestalten waren auf einige wenige zusammengeschrumpft, die sich in der Apsis an einem herangeschafften Tisch niedergelassen hatten. Reva verzichtete dieses Mal darauf, ihr Handgelenk zu umklammern. Levia blieb dicht hinter ihr, und sie würde dort bleiben. Das wusste sie.
Die Menschen, die sich um den Tisch gruppiert hatten, saßen fast alle auf Stühlen aus verschiedenen Materialien. Sie muteten aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausführung schon fast wie Throne an. Neugierig kniff Levia die Augen zusammen, als sie näher kamen… die ihnen zugewandten Lehnen, zwei aus Holz, einer aus einem blinden, silbrigen Metall, trugen alle ein Emblem, das auf die eine oder andere Art in das Material eingeätzt oder geschnitzt war: das der Länge nach geteilte Quadrat, dessen obere Hälfte in sieben Strahlen unterteilt war. Einer der so entstandenen Keile war jeweils ausgefüllt, bei diesen dreien die Flächen rechts von dem mittleren Strahl.Über der Lehne aus dem grauen Metall erkannte sie die zusammengefassten Haare des Grauäugigen. Wie hieß er gleich?- Laurent.
Ein Schauder überlief sie, als er plötzlich aufstand und den Blick auf den ihm gegenüber sitzenden Mann freigab. Sie erkannte sein Gesicht von vorhin wieder, es war der Südeuropäer mit dem langen Haar. Er lachte offensichtlich über den Kommentar eines der Männer neben Laurent. Der schwarze Stuhl mit der hohen Rückenlehne neben ihm war frei.Flüster saß an einer der kurzen Seiten des Tisches, neben ihm ein weiterer schlichter Holzthron. Er beobachtete nur, sprach nicht. Seine stechenden Augen wanderten über die anderen Männer am Tisch. Über dem schwarzen Ring um seinen Hals schien sein kahler Kopf beinahe zu schweben.
Der schwarzhaarige Mann mit den zwei verschiedenfarbigen Augen, den Reva am Vormittag so rüde zur Seite gestoßen hatte… Ruben?- erkannte sie als erster. Er beugte sich an Laurent vorbei und sprach leise mit Flüster. Sein Kopf schnellte sofort herum, und mit einem Anflug von Unbehagen fand sich Levia im Zentrum seiner Aufmerksamkeit wider.
Die Gespräche verstummten. Augen wandten sich nach ihr um, sie zählte sechs Männer am Tisch und etwas weiter im Hintergrund einige mehr. Revas Nackenmuskeln verspannten sich so weit, dass Levia es gerade erkennen konnte. Sie zwang sich, ihre Schultern ein wenig zu senken und den Blick etwas tiefer zu halten. Sie legte einen Hauch von Angst hinein- Angst, die sie nicht zu erfinden brauchte. Unterwürfigkeit. Ein klein wenig Stolz.Reva blieb abrupt stehen, vielleicht fünf Meter von den anderen entfernt. Der Südländer und ein weiterer, rotblonder Mann wechselten die Tischseite und reihten sich an Laurent, Ruben und ein etwas gebückt laufendes Rattengesicht.
Flüster trat nach vorne. „Das Vögelchen und die Heilige. Danke, dass du das mit den Haaren geregelt hast.“
Revas Hand zuckte. „Ja.“
Er fixierte sie kurz, bevor sein hypnotischer Blick zu Levia zuckte. „Wie sollen wir dich nennen?“ Seine raue Stimme schabte leise durch seine Kehle. Der Ton jagte ihr einen Schauder über den Rücken.
„Levia. Levia Elizabeth Pernal.“
Gelassen nahm er ihre Worte auf, nickte leicht und legte besonnen den Kopf schief. „Schön. Wir nennen dich trotzdem, wie wir dich nennen wollen.“
Ruben und der Südeuropäer lachten leise auf. Laurents Mundwinkel verzogen sich, während Levias Wangen zu brennen begannen.
„Aber komm.“ Auch Flüster lächelte, auf eine gönnerhafte, beinahe mitleidige Art. „Setz dich, Kind.“
Gegenüber seines Platzes ließ sie sich nieder, während Reva neben ihrem Stuhl stehen blieb. Die anderen Sitzplätze füllten sich bis auf den bei Flüster und den Schwarzen in der Mitte.Aus dem Zwielicht schälte sich eine weitere Gestalt in Schwarz. Irgendetwas an ihr irritierte Levia, und als sie erkannte, woran es lag, weiteten sich ihre Augen.
Es war eine Frau.
Und sie war anders als die anderen, die ihr bis jetzt in den Ghettos begegnet waren. Ihre Haut war so dunkel wie die Nacht und ihr Haar wallte lang und voll über ihren Rücken. Anders als die anderen schien sie ihre Weiblichkeit nicht krampfhaft verstecken, sondern vielmehr betonen zu wollen. Sie trug ein Kleid, das sich eng an ihre Kurven schmiegte. Ihr Haar war frisiert worden und die Wimpern konnten nicht ganz natürlich sein.
"Malbourne", sagte der Rotblonde leise.
Die Frau nickte ihm bedächtig zu und nahm anmutig auf dem schwarzen Thron neben ihm Platz.
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Morpheus
Science FictionLondon, 2102. Alle Welt schläft, seit Morpheus den iQaster auf den Markt gebracht hat: ein Gerät, in dem das Bewusstsein des Menschen gespeichert wird und es ihm ermöglicht, jahrelang zu überdauern. Die Entwicklung trifft auf eine Welle ungezähmter...