⏳VIII - Levia⏳

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Zwei Scurios setzten sich augenblicklich in Bewegung, doch Horlan winkte sie zur Seite und passierte das breite Tor. Der Platz draußen war von gleißendem Scheinwerferlicht erhellt. Metallkarossen blitzten als Ebenbild der Sterne am Himmelsfirmament.

Er sah sich kein einziges Mal nach ihr um, und glühender Stolz erfüllte Levia, als ihr klar wurde, dass er ihr vertraute. Sie verließen die Blase aus Licht und tauschten sie gegen den schützenden Mantel der dämmrigen Nacht Londons. Sicher zwanzig Minuten lang trug sie das Schweigen durch den breiten Boulevard der Straße.
Horlans Gestalt strebte eine unauffällige Fassade mit getönten Fenstern im Erdgeschoss an. Sobald man den Blick direkt auf das Lokal richtete, schien auch ein Schriftzug in geschwungenen violetten Lettern auf: Rising.
"Wollen Sie etwas trinken?" Horlan warf einen Blick über seine Schulter zurück und fing Levias rasches Nicken auf. Dann erst schien er zu realisierten, dass sie sich bisher in reiner Distanz bewegt hatten, und verlangsamte seine Schritte, um an ihre Seite zurückzufallen.

"Ihr... Vortrag war wirklich großartig", wiederholte Levia bewegt. "Wie Sie ihren Ton der Situation anpassen, ist wirklich bemerkenswert."
Ein stolzes Lächeln flackerte über sein Gesicht. "Ich kann nur sagen, dass ich zufrieden bin", entgegnete er, "nicht zuletzt, weil so viele Kontakte geknüpft worden sind. Von den Amerikanern war vielleicht niemand besonders begeistert, aber man muss ihnen schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit zu tiefstem Dank verpflichtet sein..." Levia grinste leicht vor sich hin, wessen er sich mit einem schnellen Blick versicherte.
"In der britischen Oberschicht mischt die Innovation ganz oben mit. Ich bezweifle nicht, dass der Abnehmermarkt mehr als nur halbwegs stabil sein wird."
Die schlichte Ehrlichkeit, die er in diese Worte legte, frei von Selbstverliebtheit und nur mit einem winzigen Schuss der vorherigen Arroganz, löste in Levia eine Welle der Zuneigung aus. "Das würde mich außerordentlich für Sie freuen."
"Wirklich?" Sein Tonfall war streng, doch die grünen Augen funkelten schelmisch.

Die hohe metallgefasste Tür vermittelte einen rustikalen Eindruck. Das technische Thema setzte sich auch im weitläufigen Innenraum fort- grobe Tische, ein klobiger Bartresen und eine in ein Metallkorsett gekleidete Bedienung, die sich irgendwo weiter hinten mit einem Scurio stritt. Trotz der rauchigen Farben strahlte die Steampunk-Ausrichtung Behaglichkeit aus und lud zum Bleiben ein.

Die junge, bildhübsche Frau mit dem Korsett erstarrte mit weit aufgerissenen Augen. Zweifellos war sie darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass wenige Kilometer entfernt die SciGala abgehalten wurde, und sowohl Levias futuristisches Kleid als auch Horlans aufwendig gearbeitete Ärmelaufschläge gaben ein gutes Bild der Vorstellung von der Veranstaltung ab.
"W-wünschen der Herr und-"
Horlan schnitt ihr mit einer raschen Handbewegung das Wort ab. "Wir gehen nach oben, danke. Ein Schälchen dieser köstlichen Karamellbonbons und zwei Gläser Wasser müssten reichen."
Sie nickte krampfhaft und machte sich augenblicklich hinter dem Tresen zu schaffen. Der Scurio neigte entspannt den Kopf. "Guten Abend, Miss Pernal- Mr Horlan. Einen angenehmen Aufenthalt."
"Danke sehr."

Die Treppe wand sich als beängstigendes Schuppenmuster aus Stahl nach oben, was den Eindruck schuf, als flössen die einzelnen Stufen ineinander. Horlan stieg bis in den dritten Stock hinauf. Der Boden entfaltete sich als atemberaubendes Zusammenspiel aus rostigem alten Bauschutt unter einer makellosen Glasplatte. Vor einer gewaltigen Fensterfront ließ er sich auf einen Stuhl sinken und deutete auf den Gegenüberliegenden.
"Es ist außergewöhnlich, nicht?" Er lächelte schief. "Etwas gewöhnungsbedürftig, aber eindeutig außergewöhnlich."
Levia warf einen kurzen Blick auf die im Halbdunkeln daliegende Straße weit unter ihnen. In der Ferne konnte sie die Lichtkuppel vor dem Theater erkennen.

"Außergewöhnlich", wisperte sie leise. "Äußerst treffend."
Das Schweigen breitete sich wie ein gestaltloser Teppich zwischen ihnen aus. Levia hütete sich davor, ein Wort zu sagen... Schließlich war es seine Idee gewesen.

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