⏳X - Levia⏳

51 13 8
                                    

Ihr Bewusstsein dämmerte irgendwo im Hintergrund des aufgewühlten Meeres aus Emotionen vor sich hin. Da war Aidans Hand, die sich um ihre gewunden hatte, und da war Glas, und Glas, so viel Glas...
"Somnus müsste inzwischen wieder zurück sein." Aidan lächelte sie an, das Gesicht so voller Offenheit und Glück, dass sie nicht umhin konnte, ihre Augen in seinen versinken zu lassen.

In ihr tobten Stürme und ruhten Ozeane. Die Szene im Loftcafé hatte sie vollkommen aufgewühlt, die Orientierung entglitt ihr wie glatt geschuppte Haut. Realität verschwamm mit ihrer zweiten Ebene, kollidierte bei Kontakt mit sich selbst zu einem funkensprühenden Spektrum aus den intensivsten aller Eindrücke... die funkelnden Sterne, die sich wie ein Netz aus Lichtern über die dunkle Stadt gelegt hatten, brannten sich parallel zu ihren diversen Perspektiven in Levias Netzhaut. Gerüche wanden sich durch ihre Nase, ohne dass sie zuvor überhaupt existiert hätten. In ihren Ohren pochten Schrittfolgen, legten sich wie von selbst über ihren Herzschlag und das dumpfe Vibrieren eines weiteren, hinter dem sie Aidan vermutete. Gedanken schossen als reflektierende Funken durch ihren Kopf, woben glitzernde Straßengeflechte, explodierten als... Farben... Farben...
Farben...
Farben aus Glas.

"Somnus wird vielleicht nicht sofort besonders gut aufnehmen, was wir ihm zu sagen haben", versetzte Aidan mit sanftem, beinahe schon beschwörenden Tonfall. "Aber es spielt keine Rolle, was er sagt. Du gehörst jetzt zu mir."
Levia blieb nicht mehr als ein beinahe unsichtbares Heben und Senken ihres Kinns, weniger als ein winziges Nicken.
"Wahrscheinlich ist er bereits zurückgekehrt... Somnus ist kein besonders großer Freund von Veranstaltungen wie der SciGala. Sobald die Förmlichkeiten abgearbeitet worden sind, überlässt er die Feierlichkeiten für gewöhnlich den anderen Gästen. Wahrscheinlich ist er in seinem Büro."
Erneut die unnachahmliche, aussageschwache Bewegung mit dem Kopf. Levia zitterte ungelenk.

Der breite Flur, den sie aus dem Lift heraus betraten, löste ein vages Wiedererkennen in ihr aus. Die Hologrammspiegelungen in Decke und Boden reflektierten sich in der samtigen Schwärze der verglasten Wände... sie legten einen Weg hin zu wuchtigen, quadratischen Türflügeln, die das Logo von Morpheus trugen.
Der Pressesaal...
Aidan berührte das Portal nicht, doch es schwang geräuschlos vor ihnen auf und gab den Weg frei in den riesigen Saal.

Die Prägung im Zentrum des Saals glomm leicht vor sich hin, ansonsten füllte Dunkelheit mit nebulösen Schwaden den Raum. Anders als bei ihrem letzten Besuch... zumindest glaubte Levia, sich nicht daran erinnern zu können, aber vielleicht war die Verwirrung in ihrem Kopf noch zu konfus- war die zur Linken gelegenen Wand eine einzige Glasfläche, was in Kombination mit den nur schemenhaft angedeuteten Wänden eine vage Simulation einer Unendlichkeit auslöste.

"Aidan, bist du das?" Die Stimme schlängelte sich aus dem Nichts hervor wie eine gebrechliche Gestalt. Etwas in ihr war zerbrochen, war gebeugt, war alt.
"Ja, ich bin es. Und ich habe dir etwas zu sagen."
"Etwas zu sagen?" Urplötzlich trat ein härterer, beinahe schon stählerner Klang in die Worte. Ein bedrohlicher Unterton schimmerte durch die Schallwellen.
"Was hast- oh, guten Abend, Miss Pernal." Die Kontrast des erneuten Persönlichkeitswandels nahm Levia für einen Moment die Luft. Freundlichkeit aus Drohung, Höflichkeit aus Wut.
Auch die Richtung, aus der die Stimme klang, wurde mit einem Mal eindeutiger- irgendwo in der Richtung des dunklen Podiums.

Levia konnte noch immer keinen klaren Gedanken fassen. Die Taubheit, die untrennbar mit ihrer Wahrnehmung verwoben war, löste ein verschwommenes Hochgefühl in ihr aus.
"Vielleicht ist das nicht der richtige Ort für solche Gespräche. Aidan- mein Büro." Ein Schatten löste sich aus der Dunkelheit... ein hagerer Mann mit auf dem Rücken verschränkten Händen trat ihnen entgegen.
Unter anderen Umständen hätte sein Anblick vermutlich eine leichte Welle von Angst durch Levias Körper gesandt, doch so verantwortete er nur eine träge Ratlosigkeit.
Aidan legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie sanft zurück in Richtung der Tür. "Ja, Somnus."

MorpheusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt