Die Flure des Theaters waren so gewaltig und weitläufig, dass Levia sich augenblicklich verloren fühlte. Grundsätzlich war ihr Orientierungssinn eigentlich nicht besonders schlecht, aber all der Prunk verpfropfte ihr die Atemwege und zwang ihren Blick auf die spiegelnden Fliesen, dämpfenden Teppiche und teuren Holzplatten.
Die schillernden Paradiesvögel, die in ihren auffallenden Gewändern die Würdevolleren, Gedeckteren zu übertönen suchten, jagten stechende Schmerzwellen durch ihren Kopf... doch Horlans Gestalt vor ihr hielt sie an der Wirklichkeit fest.
"Ich habe Ihren Artikel gelesen", setzte er nach einigen stillen Minuten an. Sofort zog Levia die Schultern hoch. Die Reue über diesen Text saß zu tief. Ihre von Damien beeinträchtigte Gefühlssituation brannte beim Lesen geradezu in den Augen.
"Es scheint, Sie haben nicht besonders viele gute Eindrücke erhalten, richtig?"
Nur der amüsierte Tonfall hielt sie noch davon ab, sich wimmernd zu einer kleinen Kugel zusammenzukrümmen. Sie war so dumm gewesen. Natürlich- sie war Journalistin, sie sollte sogar spitzzüngig sein, aber es gab eben die einen Prominenten und die anderen.
Bei einem Typus 27 musste man vorsichtig sein."Es ist mein Beruf, immer alles und jeden zu kritisieren. Und außerdem habe ich nie gelogen." Sie hatte das Bild deutlich vor Augen- ihr Bewusstsein, das sich langsam aufrichtete und auf Konfrontation ging.
Er quittierte die erbärmliche Entschuldigung mit einem leisen Lachen und verlangsamte die Schritte so weit, bis er neben ihr gehen konnte. Ihre Füße sandten gleichzeitig gedämpfte Pochlaute über den Boden.
"Nun, Zeitmangel als Verschwiegenheit zu interpretieren, scheint mir doch etwas weit hergeholt..."
"Als wären Sie offener gewesen, wenn Sie mehr Zeit zur Verfügung gehabt hätten", murmelte Levia beschämt und wandte den Blick ab.
"Das habe ich nicht gesagt", widersprach er vehement und schickte rasch ein Lächeln hinterher in dem Versuch, die Schärfe seiner Worte zu mildern. Doch, natürlich hast du das gesagt, pulsierte es hinter ihren Augen, genau das hast du-
"Dann können Sie es mir also jetzt erklären?" Hinter ihrem Rücken verwoben sich ihre Finger."Bedaure... aber jetzt will ich gerade nicht darüber sprechen." Die frechen Worte bissen sich mit seinem eleganten Aussehen, und in Levia stieg der kopflose Wunsch auf, ihn ins Gesicht zu schlagen- Handkante, heftig, fassungsloser Gesichtsausdruck. Erst der Überraschungseffekt kitzelte aus Menschen ihr wahres Gesicht heraus... wiederum etwas, das sie ihr Beruf gelehrt hatte.
Fingernägel gruben sich in Handflächen. Reiß dich zusammen, verdammt.
"Wieso wusste ich das jetzt", schob sie süßlich hinterher.
"Weil Sie unter der... oberflächlichen Oberfläche wahrscheinlich doch ein kluges Köpfchen sind." Horlan grinste süffisant, wandte sich plötzlich nach links in einen weiß getünchten Flur. Scurios wuselten geschäftsmäßig zwischen zahllosen weißen Türen umher, die sich an beiden Seiten aneinanderreihten.Vorbereitungsräume. Von hier aus würden die Shows gestartet werden, die diesen Abend so besonders machen sollten.
Horlan steuerte die Nummer sieben an und drehte sich lächelnd zu Levia um. "Nehmen Sie mir das nicht übel. Ich muss jede Chance nutzen, um unausstehlich zu sein, weil ich mir das eigentlich nicht leisten kann."
"Das soll man jemandem nicht übel nehmen?" Sie zog pikiert die Augenbrauen hoch. Der höflichen Charmeur hatte sich in Windeseile als genau der eingebildete Schnösel erwiesen, den sie bis jetzt ausnahmslos bei allen Kunden kennengelernt hatte. Der Mann hatte eindeutig zu viel Geld und zu wenig zu tun."Hassen Sie mich jetzt?" Die Worte waren schlicht, aber treffend, und die Stimme, die sie formte, malte sie geradezu in die Luft. "Das würde mir außerordentlich leid tun, wissen Sie? Ich mochte Sie."
Hinter der geschminkten Stirn griffen die Zahnräder ineinander und setzten die gesamte Maschinerie klackernd in Bewegung. Er war nicht fair ihr gegenüber, aber das kannte sie. Niemals hatte sie eine gerechte Behandlung erfahren- von der Familie verhätschelt, von den Lehrern unterschätzt, von Isaac unterjocht. Der einzige, bei dem sie jemals so etwas wie Fairness erfahren hatte, war Damien gewesen, und auch das nur für ein paar kostbare Monate.
Vierzehn Monate, siebzehn Tage.
Still!
Und wenn sie dabei eins gelernt hatte, dann war es, dass man sich eine gerechte Behandlung genauso verdienen musste wie Respekt: indem man einfach man selbst war. Oder zumindest so tat als ob.
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Morpheus
Science FictionLondon, 2102. Alle Welt schläft, seit Morpheus den iQaster auf den Markt gebracht hat: ein Gerät, in dem das Bewusstsein des Menschen gespeichert wird und es ihm ermöglicht, jahrelang zu überdauern. Die Entwicklung trifft auf eine Welle ungezähmter...