Müde strich Karah eine Strähne aus dem Gesicht.
Beim ersten Sonnenstrahl endete ihre Nachtwache. Seufzend lehnte Karah sich gegen die Steinmauer.
Nicht weit stand ihr Begleiter Harim. Er litt ebenso unter den unzähligen Nachtwachen. Aber war zu Stolz, um es zuzugeben. Stur wie eine Statue stand er da, starrte von den Zinnen hinab in die Dunkelheit und nur die Götter wussten, was in ihm vorging.
Nacht für Nacht standen sie beide hier oben, Wind und Wetter ausgesetzt und schwiegen. Kein einziges Wort fiel, obwohl sie das gleiche Schicksal teilten.
Karahs Blick verlor sich in der Weite der Dunkelheit. Selbst in dieser Nacht sah man keine Sterne. Tagsüber verdeckte ein grauer Schleier den Himmel. Es regnete nicht, obwohl man ein stetiges Grollen über ihren Köpfen hörte.
Das nagte mehr an ihren Nerven, als das eiserne Schweigen von Harim.
Warum passierte nichts? Karah hörte auf zu zählen, wie lange sie sich in der Burg verschanzten. Es gab keinen Feind, der sie angriff. Und dennoch fühlte man, dass etwas nicht stimmte. Es war eine Anspannung, die einem eisig den Nacken hochkroch und das Schlimmste ahnen ließ.
Grimmig schloss Karah die Finger fester um den Schaft ihrer Lanze. Eine Armbrust wäre ihr lieber, aber man belächelte sie nur und drückte ihr diese klobige Waffe in die Hand.
Männer. Dachten die denn wirklich, dass sie so, was ausrichtete, wenn jemand sie angriff? Aber wer war der Feind? Wenn es wenigstens einen Grund gebe, sich hier einzuschließen, das hätte sie ja verstanden. Aber nicht zu wissen warum, war weit schlimmer.
Einer sagte einst, das wäre eine geistige Kriegsführung, um den Gegner zu schwächen.
Karah gratulierte dem Feind insgeheim, denn das war ihm gelungen.
Während ihrer Wache, vernahm sie, wie verängstigt die Bewohner der Burg umher schlichen und nach dem ersehnten Schlaf suchten. Immer wieder hörte man Gerüchte, dass die todbringenden Reiter es waren, die das Unglück über das Land brachten.
Lächerlich. Als ob vier Reiter das je bezweckten. Ein Ammenmärchen, um kleinen Kindern Angst ein zu jagen. Und jetzt Unruhe durch dieses dumme Gerücht verbreitete.
„Sie kommen." Harims Worte waren eisig und rissen Karah aus ihren Gedanken, wie ein Eimer kaltes Wasser, aus dem Schlaf.
„Wer?"
Harims graue Augen schimmerten im schwachen Licht der Fackel. „Die Reiter. Heute Nacht wird sich entscheiden, wen sie am Leben lassen und wen nicht. Dann hat das Warten ein Ende."
Dieser Mann, der sie um einen Kopf überragte und seine langen zotteligen grauen Haare nie pflegte, zog es immer vor zu schweigen. Und dann wurde gleich ein Prophet aus ihm, als er endlich den Mund aufmachte?
Es war nicht das, was er sagte, sondern wie er es sagte. Es fühlte sich an, als ob er schon mit dem Leben abgeschlossen hatte.
„Rede keinen Unsinn. Wir werden alle das Morgengrauen sehen. Keine Reiter können einfach so in die Burg eindringen!"
Karah zuckte zurück bei seinem Lächeln. Wie verlor man nur so schnell seinen Kampfgeist? Ausgerechnet der Mann, der die meisten Kämpfe in dieser Burg für seinen Fürsten bestritten hatte.
Grausamer war der Ton, mit dem er ihr antwortete. „Man kann gegen die Reiter der Finsternis nichts ausrichten. Wenn sie einmal das Urteil fällen, wird keiner entkommen. Auch du nicht, blutiger Pfeil."
Karah zuckte zusammen. Keiner kannte diesen Spitznamen. Sie hatte ihn mit keiner Silbe erwähnt. Verriet sie etwa der Moment, als sie beleidigt auf die Lanze reagierte? „Was redest du da alter Mann? Ich bin nicht blutiger ..."
Sein heißeres Lachen brachte sie zum Verstummen. „Den Narren von Waffenmeister kannst du etwas vormachen und auch unseren Herrn. Aber mir bestimmt nicht. Ich habe dich beobachtet. Und glaube es oder nicht. Ich bin dir sogar eine Zeitlang gefolgt."
Karah spürte, wie sämtliches Blut aus ihrem Gesicht wich. Wenn er wusste, wer sie war, wieso hatte er sie nicht verraten?
„Was verlangst du?" Jemand der so mit dem Wissen hinter dem Berg hielt, tat das gewiss nicht ohne Grund.
Harim grinste sie breit an, während er sich schwer auf seine Lanze stützte. „Nichts. Ich will nur sehen, wie du gegen die dunklen Reiter kämpfst. Das ist ein Schauspiel, das ich gern mit ins Grab nehmen würde heute Nacht. Und ich denke, das wird auch so sein."
Karah verstand es nicht. Dieser Mann hatte ein Wissen, dass sie direkt an den Henker lieferte gegen gutes Geld und er stand da und wollte ein Schauspiel sehen?
„Warum? Ich versteh es nicht."
Wieder lachte Harim leise.„Weil du nicht ohne Grund tötest. Jedes deiner Opfer hatte gewaltig Dreck am Stecken. Ob nun wahnsinniger Fürst, geldgieriger Händler oder Sklavenhändler. Du pickst dir die schwarzen Schafe der Gesellschaft heraus. Meiner Meinung nach verschwendest du hier dein Talent und dein Leben." Sein Lächeln hatte etwas Väterliches. „Noch kannst du gehen. Die Reiter werden dir nichts tun, da bin ich mir sicher. Aber wenn du hier verweilst und deine Waffe gegen sie innerhalb dieser Mauern erhebst, bist du in ihren Augen genauso schuldig wie der Fürst selbst."
Harim musste völlig den Verstand verloren haben. Das, was er von sich gab, ergab keinen Sinn. Den Kopf schüttelnd trat sie einen Schritt von ihm zurück. „Du redest wirres Zeug."
Plötzlich hob dieser seine Lanze und deutete mit der Spitze in die Dunkelheit. Ein roter Schimmer erhob sich in ihr. Für einen kurzen Moment, dachte Karah eine Fackel zu sehen, die sich bewegte, aber nach und nach erkannte sie eine rot schimmernde Gestalt.
Bilder von Geschichten schossen ihr durch den Kopf. Die Reiter der Finsternis. Keine Macht der Welt richtete was gegen sie aus. Wer einmal in ihren Augen schuldig war, verwirkte sein Leben.
„Du kannst ihn sehen, nicht wahr?" Harim stand dicht neben ihr und hatte die Worte in ihr Ohr gehaucht. Sie hatte es nicht einmal gemerkt, wie er sich bewegte. Erstarrt sah sie auf die näher kommende Gestalt.
Harims Hand legte sich schwer auf ihre Schulter. „Ja, sie werden kommen und das Leben innerhalb der Burg vernichten. Da gibt es kein Rütteln. Doch du wirst nicht unter den Toten sein."
Karah wollte fragen, was er damit meinte, aber sie schaffte es nicht, den Kopf zur Seite zu drehen. Mit einem derben Stoß stieß er sie über die Zinnen der Mauer. Ihr blieb keine Zeit einen Schrei auszustoßen. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie, wie Harims Gestalt immer kleiner wurde. Er hatte sie geradewegs in den Tod geschickt und redet davon, dass sie nicht unter den Toten sein würde?!
Mit dem Leben abschließend, schloss sie die Augen. Gleich war es vorbei. Ihre Flucht hatte dann ein endgültiges Ende. Doch das Schicksal sah es nicht so. Etwas Weiches bremste ihren Sturz. Benommen blieb sie liegen. Dumpfe Schreie drangen zu ihr durch. Angst, Schmerz und Wut der Hilflosigkeit vermischten sich.
Weshalb lebte sie noch? Harim konnte unmöglich wissen, dass sich hier unten ein Heuhaufen befand.
Alles in ihr schrie danach, diesem Narren beizustehen. So konnte sie ihn unmöglich sterben lassen. Sie hatte sich lange Zeit einsam gefühlt und so seltsam es war. Seine Nähe hatte diese Einsamkeit vertrieben. Obwohl dieser alte Mann nie gesprochen hatte.
Ihr Körper rührte sich nicht. Selbst den Arm zu heben, misslang ihr. Einzig heiße Tränen liefen die Wangen runter.
Wer auch immer diese Reiter waren. Sie würde sich bitter an ihnen rächen!
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Die vier Reiter
FantasyJarel lebte für die und von der Schlacht. Wer zahlte, dem waren seine Dienste gewiss. Aber manchmal kann sich alles schlagartig ändern.