„Zwinge mich nicht dir weh zu tun. Lass los ehe ich mein Speer dein Herz aufspießt."
Jarel hörte die Worte. Verstand ihren Sinn. Aber sein Verstand weigerte sich, dass mit der Frau gleichzusetzen, die in der Hütte seine Stirn mit nassen Umschlägen gekühlt hatte.
Das Gesicht glich Karah bis zum kleinen Muttermal an der Seite ihrer rechten Schläfe. Es waren dieselben klaren blauen Augen, aber wieso hatte Jarel das Gefühl von einer anderen Person angestarrt zu werden? Ihr Blick hatte nichts mehr Lebendiges. Viel mehr jagte er ihm einen eisigen Schauer über den Rücken, was echt ein Kunststück war, wenn man noch bis zu den Schultern in einem Fluss einen Felsen als seinen besten Freund betrachtete. Die Nadelstiche auf seiner Haut waren nichts gegen die Eiswürfel, die seine Eingeweide einfroren.
„Was ist mit dir passiert?" Allein für die Frage könnte sich Jarel Ohrfeigen. Es war doch offensichtlich, was mit ihr passiert war. Wer auch immer sie sich geschnappt hatte, beschloss das alte Wesen in diesem Körper durch einen neuen zu ersetzen. Anders wollte er es nicht begreifen. Wieso hielt sie sonst das spitze Ende ihrer Waffe direkt vor seine Nase?
„Ich bin aufgewacht. Und das solltest du ebenso. Komm mit mir und ich zeige dir die Wahrheit über die Reiter. Harim belügt dich."
Welch eine Wahnsinns Botschaft. Grimmig presste er seine Lippen aufeinander bis es schmerzte. Es wäre schön zu wissen, mit was der alte Kauz ihn belogen hatte. Wo doch dieser so viel redete wie ein Wasserfall in der Wüste. Und falls er doch die Zähne auseinanderkriegte, kam nur was raus, dass so hilfreich wie Luft war.
„Toll. Und wieso drohst du mir dann mich in einen Spieß zu verwandeln?"
„Weil..." Ihr Zögern ließ für einen Moment die Kälte aus ihrem Blick verschwinden. Mit dem rechten Fuß trat sie einen Schritt zurück. Viel Spielraum ließ ihr der Felsen nicht.
Immer noch die Lanzenspitze vor der Nase, konnte Jarel weder nach vor noch zurück. Es sei den er wollte wieder Bekanntschaft mit dem Grund des Flusses machen. Und darauf verzichtete er lieber so lange es ging.
Ihr Atemzug durch die Zähne übertönte das Rauschen des Wassers. Karahs Stimme überschlug sich peinigend für seine Ohren. „Bleib von mir fern, wenn du nicht sterben willst!"
„Vergiss es!" Seine Antwort ging ins Leere. Dort wo eben noch die in einen schwarzen Umhang gehüllte Bogenschützin gestanden war, schlug die Gischt des Flusses über den glatten Felsen, direkt in sein Gesicht.
Und wieder konnte er Wasser ausspucken, dass dort gelandet war, wo es nicht hingehörte.
Seine Finger, taub von der Kälte, rutschten ab. Nicht mehr lange und er konnte sich selbst als Fischfutter sehen. Oder für das andere Viehzeug, dass in diesem feuchten Gebiet lebte.
Wie schön, dass erst der alte Sack mit Ares ihn ersaufen wollten und dann noch diese Wahnvorstellung. Sein Schädel musste härter als gedacht gegen einen Felsen geknallt sein.
Aber was, wenn es keine war?
Ja klar, als ob Menschen einfach so auftauchen und wieder verschwinden konnten. Es gab keine Magie. Und schon gar keine Schicksalhafte Bestimmungen.
Wütend zwang er seine klammen Finger nach besserem Halt zu suchen. Es musste doch eine Möglichkeit geben aus diesem verfluchten Wasser wieder rauszukommen.
Als ob die Götter sein Flehen erhört hätten, schwamm ein fetter Baumstamm an ihm vorbei. Wie konnte man da nein sagen zu dieser Hilfe?
Die Wut in seinem Bauch packte seine Angst am Nacken und gab endlich seine Instinkte frei. Den Felsen loslassend, paddelte er einige Herzschläge ehe die raue Oberfläche seine Hände aufschürfte und ihm das Gefühl gab, dass er dem Fluss nicht mehr ganz hilflos ausgeliefert zu sein. Alles was er nur noch tun musste, war die Beine zu bewegen und sich an das Ufer gleiten zu lassen.
Dieser verteufelte Fluss riss ihn noch ein gutes Stück mit sich, ehe er so gnädig war, den Baumstamm an sein Ufer knallen zu lassen.
Noch nie fühlte es sich so gut an, festen Grund unter sich zu spüren. Auf allen vieren kroch Jarel durch den schlammigen Sand und ließ sich auf den Rücken fallen. Alle Gliedmaßen von sich gestreckt, genoss er es, wie die Sonne seinen durchgefrorenen Körper langsam auftaute. Seine Fingerspitzen juckten fürchterlich. Ein herrliches Gefühl. Er lebte noch!
Die Faust in die Luft stemmend konnte er seiner Kehle ein Jauchzen entlocken.
„Nicht heute Todesgott. Nicht heute."
Müdigkeit packte ihn. Träge sackte sein Arm zurück auf den Strand. Aber statt grober Sandkörner spürte er etwas glattes unter seinem Handrücken. Schwerfällig drehte er den Kopf zur Seite. Halb unter weißen Steinbrocken lag etwas Schwarzes begraben.
Wiederwillig ließ es sich von ihm aus dem steinernen Grab befreien. Es zwang ihn sogar, sich aufzurichten und mit der zweiten Hand nachzuhelfen. Bis er es mit beiden Händen hochhielt und fasziniert ansah. Eine Jacke aus schwarzem Leder.
An sich nichts was er nicht schon gesehen hätte, aber diese war anders. Das Leder wirkte lebendig im Sonnenlicht. Sie lud ihn mit einem seltsamen vertrauten Gefühl dazu ein, überzustreifen und seine kalte Haut zu wärmen.
Der Fluss hatte aus seinem Hemd einen kläglichen Rest aus Stofffetzen gemacht. Da kam diese Lederjacke mehr als gelegen.
Geschmeidig glitt sein Arm in den Ärmel.
Sie passte perfekt. Wie für ihn gemacht. Vielleicht sollte er doch an sowas wie Magie glauben. Wie sonst konnte ein solches gutes Stück unbeschädigt herumliegen.
„Na sieh an. Du hast also schon mal deine erste Ausrüstung gefunden. Wunderbar."
Diese Stimme schaffte es tatsächlich jeden süßen Moment zu vergällen.
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Die vier Reiter
FantasyJarel lebte für die und von der Schlacht. Wer zahlte, dem waren seine Dienste gewiss. Aber manchmal kann sich alles schlagartig ändern.