Vergangenes Teil26

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Jarel

„Schlaf nicht ein!" Im letzten Moment riss Jarel sein Holzschwert hoch. Mit voller Wucht prallte ein anderes auf seines und jagte einen höllischen Schmerz bis zu seiner Schulter hoch.
Ein willkommener Schmerz, der das träge Gefühl in seinen Körper verscheuchte. Spott triefte in jeder Silbe seines Gegners. „Was ist? Hast letzte Nacht kein Auge zugekriegt?" Mustaf verzog seine wulstigen Lippen zu einem breiten Grinsen. „Ich wette, die Kleine hatte mehr Ausdauer als du!"
Jarel lachte. Grob stieß er den zu dürren Mann zurück.
Bei den hervorstehenden Rippen sollte man fast Angst kriegen, man breche ihm was. Aber Jarel hatte schon mehrmals lernen dürfen, dass man Mustaf nicht unterschätzen sollte. Nicht ohne Grund nannten ihn alle das flinke fiese Wiesel.
Staub wirbelte unter ihren nackten Fußsohlen hoch. Neckisch winkte Jarel mit der freien Hand. „Du bist nur neidisch, dass sie mich ausgesucht hat."
Mustaf warf sein Schwert mit einer geschmeidigen Bewegung in die linke Hand und griff gleich mit einem Hieb von oben an.
Die hölzerne Klinge mit der linken Hand stützend, parierte Jarel den Hieb und durfte den stechenden Geruch von Knoblauch genießen. „Von wegen. Du solltest eher aufpassen, dass du für Morgen fit bist. Wenn die dich aussaugt wie ein Blutegel, wars das mit deiner Position." Um seine Worte noch zu unterstreichen, wich Mustaf einen halben Dreher zur Seite und schlug mit dem Schwert nach Jarels Beinen. Gerade noch rechtzeitig zur Seite springend, streife das Holz ihn und hinterließ eine kleine Schramme. Die Dinger mochten zwar keinen wirklich umbringen, aber fiese Schnittwunden waren immer noch drin.
Vielleicht hätte er doch nicht auf das zweite Schwert verzichten sollen. Jammern half nicht. Der alte Sack hätte es auch mit einem zweiten Schwert geschafft ihm den einen oder anderen blauen Fleck zu verpassen.
Alter Sack? Woran erinnerte ihn das? Zu spät sah er den Angriff und bekam mit der Breitseite einen Schlag ins Gesicht. Seine ganze rechte Seite schien nur noch aus Schmerzen zu bestehen. Strauchelnd konnte er sich gerade noch auf den Beinen halten. Fluchend warf sich Jarel auf den Boden, um den nächsten Angriff auszuweichen. Seit wann ging Mustaf so brutal vor?
„Spinnst du? Das hier ist nur ein Training! Kein blutiger Ernst!"

Offenbar war der alte Mann auf beiden Ohren taub geworden. Sein Holzschwert schwingend, als ob es ein überlanger Beidhänder wäre, ging Mustaf erneut in Angriff über. Zur Seite rollend, entging Jarel haarscharf dem Hieb direkt neben seinem Ohr. Sand, der dabei aufgewirbelt wurde, verteilte sich in seine Augen. Nicht gerade die faire Art zu kämpfen. So kannte er seinen langjährigen Freund nicht.
Was hatte den so wütend gemacht? Oder hatte die Sonne ihm das Hirn weichgekocht?
Der Sand brannte in seinen Augen und tauchte alles in eine verschwommene Welt, in der überdeutlich ein Schatten auf ihn zukam.
„Mustaf! Lass den Scheiß!" Das juckte den überhaupt nicht. Mehr ahnend als sehend, riss Jarel sein Schwert hoch und spürte wie es mit voller Wucht getroffen wurde.
Das war kein Training mehr. Aus einem kleinen Kräftemessen war blutiger Ernst geworden.
Endlich klärte sich die Sicht. Gerade rechtzeitig, um den nächsten Angriff mit gespreizten Beinen zu entgegen. Die Spitze verpasste knapp seine empfindlichsten Teile unter seinem hochgerutschten Kilt.
Irgendwo in seinem Hinterstübchen kroch die Frage hervor, wieso er überhaupt sowas trug. Viel zu zugig. Trug er nicht normalerweise Hosen?
„Stell dich der Wahrheit!" Brüllte Mustaf ihn an. Die sonst so tiefe Stimme war einer kratzigen gewichen, die ihn sowas von auf die Nerven ging. Da drängte sich ihm das Verlangen auf seine Hände, um den dürren Hals zu legen.
Hastig rollte Jarel sich nach hinten ab und sprang auf die Füße. Was war nur in seinen Freund gefahren? Das dort war nicht mehr Mustaf, den er kannte. Seine Angriffe waren völlig anderes. Gut, es gab Dinge, die der alte Knabe für sich behielt. Aber das dort glich in keiner Weise dem Mustaf, der ihm das Kämpfen beigebracht hatte. Ihn wie seinen Sohn behandelte.
Nach Atem ringend umklammerte Jarel mit beiden Händen sein Heft. „Welcher Wahrheit?! Du bist es doch, der hier völlig Irre ist! Was ist mit dir los Mustaf!"
Eigentlich sollte seine Stimme zurück geworfen werden von der Tribüne um sie herum. Wieso merkte er erst jetzt, dass sie mitten im Nichtstanden?
Genau, weil dieser Irre ihn schon wieder angriff. Ihm blieb nicht ein Funken Zeit, um nachzudenken. Bei den Göttern, grübeln war das letzte was er sonst bei sowas tat. Sein Kopf war sonst immer so herrlich leer.
Stattdessen schwirrten Wortfetzen in seinem Kopf herum, die einfach keinen Sinn ergaben. Und dann fing Mustaf sich auch noch immer wieder an zu verändern. Für einen kurzen Moment wurden die wulstigen Lippen zu einem schmalen blassen Strich. Und bevor Jarel sich einen Reim auf die heller werdende Haut machen konnte, musste er sich um den nächsten Angriff Sorgen machen.
Brutal prasselnden die Hiebe auf ihn ein wie ein Gewitter aus Schmerzen.
Wenn er nicht bald sich ernsthaft zur Wehr setzte, würden seine Knochen irgendwann nachgeben. Er wollte nicht. Das dort war sein Halt in diesem elenden Leben aus Kampf und Schmerz. Dank Mustaf hatte er die Hölle bisher überlebt. Es brauchte nur noch einen Kampf in der Arena, dann wäre Jarel frei. Und vielleicht konnte er Mustaf mit sich nehmen.
„Kämpfe!" Brüllte Mustaf ihn zwischen zwei Hieben an.
War das Angst? Nein, Mustaf würde niemals sowas zeigen. Da müsste schon der Himmel in Flammen stehen.
Wieso ließ Jarel dieser Ausdruck in seinen Augen nicht kalt? Ein Gemisch aus Wut und Panik schlug ihm entgegen und sorgte für einen schweren Klumpen in seinem Magen. „Kämpfe! Oder willst du sie verlieren?"
Was faselte der alte Kerl da? Wen sollte er schon großartig verlieren? Er war es doch, der von dem Weib ausgenutzt wurde. Als ob die Tochter ihres Besitzers sich mit einem Sklaven zusammentun würde.
Trotzdem schlich sich ein dumpfer Schmerz in sein Herz. Es gab jemanden, den er nicht verlieren wollte. Ihr Name lag ihm auf der Zunge und doch konnte er ihn nicht sagen. Wie ein Schatten huschte ihr Bild vor seinem inneren Auge vorbei.
Zornig schrie hinter ihm, die verhasste Stimme seines Besitzers. „Was soll das? Kämpfe gefälligst mit voller Kraft oder du wirst die Nacht bei den Schweinen verbringen. Dort wo die anderen Sklaven sind."
Wut brodelte in seinem Inneren auf. Wie er diese arrogante Art satt hatte. Zu gern würde er diesem aufgeblasenen Fleischsack spüren lassen, wie sehr Jarel ihn hasste.
Eigentlich gab es nicht einen Grund, warum er es nicht sogleich tun sollte.
Herumwirbelnd vergaß Jarel völlig warum er so außer Atem war. Weshalb seine Arme und Schultern schmerzten. Keine fünf Schritte entfernt stand sein Peiniger. Gehüllt in roten Tüchern und von diesem ekelhaft süßen Geruch umgeben.
Mit Anlauf würde selbst das Holzschwert sich in diesen massigen Leib rammen lassen.
Wenn es nur nicht so schwer wäre. Das Gewicht drohte ihn auf den Boden zu zerren. Mit aller Willenskraft kämpfte Jarel darum nicht auf die Knie zu sinken.
Nie wieder wollte er vor diesem Bastard im Staub kriechen. Nie wieder darum betteln am Leben bleiben zu dürfen. Nicht um jeden Krummen Brot flehen, um den schneidenden Hunger in seinen Eingeweiden zu vertreiben.
Verbissen zwang Jarel seinem Körper die ihm noch verbliebene Kraft ab und schaffte einen Schritt nach vorne zu machen.
Seinen ganzen Zorn in die Welt hinausschreiend, stürmte er nach vorne und rammte mit voller Wucht die Spitze in den aufgeblähten Bauch.
Oh, wie er diesen Ausdruck genoss. Sein Besitzer sah ihn ungläubig an. Als ob das was gerade passierte nicht in seinem Verstand vordringen wollte.
„Lebt wohl!" Obwohl er die Worte zwischen seinen Zähnen hervorpresste, dröhnten sie in seinen Ohren. Plötzlich war alles um ihn herum mit einem lauten Pochen erfüllet. Wie das eines Herzschlages.
Dunkelheit stülpte sich über ihn. Verschluckte das Pochen und jegliches Geräusch.
Nicht ganz. Leise wispernde Stimmen durchdrangen die Schwärze um ihn herum. Eine davon nährte die Mordlust. Die andere klang vertraut mit ihrem Zynismus.
Wenn er nur nicht so schrecklich müde wäre. Dann hätten die Worte vielleicht Sinn ergeben.
Darum konnte er sich später kümmern. Erst einmal musste er eine Runde pennen. Danach konnte Jarel das Gefühl mehr genießen über etwas den Sieg davon getragen zu haben. Im Moment war es ihm sowas von egal.
Himmel, konnte dieser elende alte Sack nicht die Klappe halten? Ständig rief der seinen Namen.
„Halt die Klappe Klappergestell. Ich will schlafen." Ob es an der Drohung lag oder an ausgestreckten Mittelfinger. Endlich gab der alte Sack ruhe und ließ ihn schlafen.

Die vier ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt