Teil13 Schmerzen

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Karah
Sie hörte ihn atmen. Wesentlich ruhiger als noch vor Sonnenuntergang. Harim hatte sich bisher nicht blicken lassen. Wo auch immer der alte Mann hin verschwand, er liebte es wohl andere im Dunkeln über sein Handeln zu lassen.
Wer war er wirklich?
Die Arme um ihre angezogenen Beine legend, suchte Karah eine Antwort im Kaminfeuer. Knisternd verbreitete es eine wohle Wärme. Aber Antworten konnte es keine geben.
Ein seltsames Gefühl, nicht zu wissen, was man als nächstes tun sollte. Ihr dasein bestand nur aus töten oder gejagt werden. In der Burg konnte sie eine Zeitlang vergessen und einfach nur dienen. Da gab es keinen der unliebsame Fragen stellte, solange man selbst den Mund hielt und tat was einem gesagt wurde.
Verbittert presste Karah die Lippen aufeinander. Alles hatte sich geändert. Sie war wieder auf sich gestellt. Jarel musste im Fieberwahn gesprochen haben. Ganz sicher. Oder es lag an dem Gift. Warum auch sollte er sie weiter auf seinem Weg wohin auch immer bei sich haben wollen. Und dann war da noch Harim. Er konnte unmöglich ein gewöhnlicher alter Soldat sein. Wenn man von dieser seltsamen Gestalt absah.
Müde bettete Karah ihr spitzes Kinn auf ihr Knie. Der grobe Leinen kratzte über ihre Haut. Verscheuchte etwas die aufkeimende Müdigkeit, die langsam in ihr hochkroch. Die molige Wärme hüllte sie wie ein Decke ein. Immer wieder wurden ihrer Lider schwerer. Sie durfte nicht schlafen. Nicht hier, nicht so lange Jarel angreifbar im Fieber lag.
Hin und wieder ließ sie ein Knistern von brennenden Holz hochschrecken. Aber selbst das schaffte es nicht, sie wach zu halten.

Kälte. Dunkelheit. Wispernde Stimmen. Ein Schauder kroch über ihren Rücken. Dennoch, es kam ihr so vertraut vor. So als ob sie schon einmal an diesen Ort gewesen sei. Nur wann?
„Verlorenes Kind." Ein kalter Windhauch streifte ihre Wange. Strich ihr eine schwarze Locke aus dem Gesicht. „Komm nach Hause, verlorenes Kind."
Karah öffnete den Mund um zu fragen wo sie sei. Kein Ton kam über ihre Lippen. Sie wollte schreien. Es ging nicht. Panik kroch in ihr hoch. Wieder spürte sie diesen warmen Hauch über ihre Haut streichen. „Du musst sie töten. Sonst bist du auf ewig gefangen. Töte sie... töte den alten Mann und den Burschen."
Nein, wollte sie der wispernden Stimme entgegenhalten. Nichts entkam ihrer Kehle. Nicht ein Ton.
Grob bohrten sich etwas in ihre Schulter. Ließ sie vor Schmerz zusammenzucken. Donnernd hörte sie von weiten eine vertraute Stimme. „Wach auf!"

„Wach auf!"
Blinzelnd erkannte sie Harims Gesicht über sich. Seine knochigen Finger drückten schmerzhaft unter das Schlüsselbein. Wütend packte Karah seine Hand.
„Was soll das? Du tust mir weh!" Harim sah sie so seltsam an. Als misstraute er ihr, wirklich wach zu sein. Nickte dann und nahm seine Hand weg. Erleichtert seufzte Karah. Die schmerzende Stelle massierend, sah sie Harim weiter wütend an. „Warum hast du das getan?"
„Weil sie dich verleiten wollten." Kam es mehr als knapp zurück. Oh wie sie es hasste, wenn er in Rätsel sprach.
„Wer sind sie? Und überhaupt habe ich nur geträumt!" Das hoffte sie zu mindest. Wobei es sich so echt angefühlt hatte. Immer noch glaubte sie den warmen Hauch auf ihrer Wange zu spüren. Dem Drang wiederstehend, die Stelle zu berühren, sah sie zu, wie Harim sich über Jarel beugte. Mit seinen dürren Finger zwang er den kranken Söldner den Mund zu öffnen um erneut eine schwarze Brühe in seinen Rachen zu kippen.
„Mit was vergiftest du ihn da eigentlich?" Ihre Frage ignorierend, trat der alte Mann neben sie an den Kamin und wärmte seine Hände am Feuer. Der Feuerschein ließ ihn noch älter und irgendwie gruseliger wirken.
Dann eben nicht. Sie konnte genauso gut nach Jarel blicken, als dieses Schweigen zu ertragen.
„Welchen Schmerz du auch in deiner Seele trägst. Du darfst nicht schwach werden, blutiger Pfeil. Sie werden versuchen dich auf ihre Seite zu ziehen. Wenn das passiert, wird Jarel dich töten müssen. Willst du ihm das wirklich antun?"
Verwirrt starrte Karah Harim an. Was redete er da für einen Unsinn. Offenbar hatte das Alter ihn verrückt werden lassen. Anders konnte sie sein seltsames Gerede nicht verstehen.
Knurrend drehte sie ihm den Rücken zu. „Ich lasse mich von keinen auf seine Seite ziehen."
Noch bevor sie das Lager von Jarel erreichte, ließ sie Harims leise Stimme verharren. „Sie werden dir das versprechen zu geben, wonach du so lange sehnst. Gerechtigkeit für den sinnlosen Tod deiner Familie. Doch es ist nur ein leeres Versprechen, Karah. Nichts weiter als Rauch, der dir die Luft zum Atmen nimmt."
Woher wusste er davon? Karah merkte erst bei dem stechenden Schmerz auf ihrer Brust, wie sie ihre Fingernägel dort in die Haut bohrte. Mit einem Schlag konnte sie es wieder hören. Wie verzweifelt ihre Eltern um Hilfe schrien, während das Haus um sie herum abbrannte. Eingeschlossen von Soldaten. Es gab kein Entkommen für sie und Karah musste es aus einem Versteck aus mitansehen. Wie oft quälte sie die Frage, was sie damals hätte tun können? Sie noch ein Kind. Gerade alt genug um sich selbst zu versorgen. Zu schwach um gegen die Soldaten des Lord etwas ausrichten zu können.
Salziger Geschmack machte sich auf ihrer Lippe breit. Tränen liefen über ihre Wangen und hinterließen eine prickelnde Spur. Hastig mit dem Handrücken, wischte Karah sie weg. Das durfte nicht passieren. Keine Schwäche und keine Tränen.
Hustend erwachte Jarel auf seinem Lager. Mit wenigen Schritten trat sie neben ihn. Sein Blick ging immer noch ins Leere. Doch dann sah er sie direkt an. Grob packte er sie am Handgelenk. „Was hat dieser alte Kauz dir angetan?"
„Nichts" Kam es ihr leichter über die Lippen als sie dachte. Im Grunde stimmte es ja. Harim hatte ihr nichts angetan. Erst jetzt wurde ihr bewusst, das Jarel sie ansah. Er konnte wieder sehen! Das hieß er wurde wieder gesund. Ein Lichtblick an diesem dunklen Ort, der sogleich vom alten Mann wieder zerstört wurde. „Wir müssen bei Tagesanbruch aufbrechen."
Was sollte das nun wieder? Herumwirbelnd stemmte Karah ihre Hände an die Hüfte. „Er ist noch nicht wieder gesund!"
Sie einfach ignorierend, stand Harim an der geöffneten Tür und winkte ihr kurz, bevor seine dürrer Schatten in der Nacht verschwand.
„Besser wir verschwinden, bevor er zurück kommt." Gab Jarel heiser hinter ihr von sich. Dieser Narr erhob sich aus dem Bett obwohl seine Wunde noch schmerzen musste, so wie er sein Gesicht verzog.
„Wir gehen nirgendwo hin, so lange du..."
„Ich vertraue ihm nicht und ich werde dich nicht bei ihm lassen." Es war nur ein Flüstern, dennoch glaubte Karah seine weiteren Worte zu verstehen. „Ich werde dieses Mal keinen zurücklassen."

Die vier ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt