„Sie sind fünfundvierzig Minuten zu spät.", tadelt mich die Psychologin und trommelt ungeduldig mit ihrem Kugelschreiber auf der Tischplatte. „Das ist für mich noch zehn Minuten zu früh.", grüße ich sie freundlich lächelnd zurück und lasse mich auf dem Stuhl nieder. Ich hätte Jacqueline nie flachlegen dürfen, bin jetzt irgendwie gezwungen sie anzulächeln und einen Korb kann ich ihr auch nicht wirklich geben, schließlich seh' ich sie ja jede Woche.
„Sie können froh sein, dass es keinen Termin nach Ihnen gibt."
„Oh, läuft die Praxis so schlecht?"
„Nein, der Serienkiller den ich normalerweise nach Ihnen behandeln muss, hat sich vor einer Stunde erhängt."
Ich muss darüber nachdenken ob das Sarkasmus ist oder ob sie das ernst meint. Bestimmt nicht, allerdings wäre es ja schon möglich.
„Sie wirken nüchtern."
Ja, ich bin seit zwei Stunden trocken und das nur weil es keinen Alkohol mehr zuhause gibt – scheiß Willkommensparty für Wade. Wenn ich ein Jahr nach Afrika gehe und meinen besten Freund mal so eben die komplette Miete zahlen lasse – ist ja nicht so, als wären die Wohnungen in Manhattan teuer – komm ich auch wieder zurück und schmeiß' eine Party, sorg' dafür dass am nächsten Morgen der komplette Alkohol fehlt und Stoff gibt es natürlich auch nicht mehr. Na gut, liegt daran, dass wir die Reste heute Morgen zunichte gemacht haben. Wade brauchte irgendwas gegen seinen Kater, dabei sind wir dafür auf eine geniale Idee gekommen.
„Ist Wade dran schuld."
Sie nickt, schreibt sich aber nichts auf.
„Was ist diese Woche so passiert?"
„Ziemlich wenig, Babe. Ziemlich wenig."
Ich wünschte, das wäre jetzt gelogen. Blöderweise stimmt es, ich hab verhältnismäßig wenig angestellt. Na ja, bis auf die Sache am Wochenende als ich New Jersey war. „Erzählen Sie doch einfach", fordert mich Ex-Supermodel-Psycho-Doc nun auf und mein Blick schweift zur Zimmerpalme. Ich hab nichts zu erzählen verdammt, was willst du denn hören?
„Ich hab ein Heilmittel gegen AIDS gefunden, mit Wade beschlossen auf der Feuerleiter Gras anzubauen und am Wochenende eine Sechzehnjährige entjungfert. Oder war sie siebzehn? Wenn ich Pech hab, war sie fünfzehn oder noch schlimmer; vierzehn. War ehrlich gesagt was angetrunken, aber sie war ganz nett."
„Jack, ich komme nicht ganz mit. Ist das Sarkasmus?"
Ich wünschte es wäre so.
„Nein. Ich hab wirklich ein Heilmittel gegen AIDS entdeckt."
„Ich meine den Sex mit einer Minderjährigen."
Ich weiß, Babe. Was verstehst du mich heute so schlecht? Wetten dass liegt daran, dass ich nüchtern bin.
„Achso, ja. Das war kein Sarkasmus."
„Möchten Sie darüber reden?"
Eigentlich ja nicht, aber ich muss die Zeit herumkriegen.
„Wenn Sie es unbedingt hören wollen."
Sie seufzt, lehnt sich dann zurück und schlägt die Beine übereinander.
„Also, Samstagabend war ich in New Jersey bei einem Kumpel und der hat einen besten Freund mit einer kleinen Schwester. Ich bin mir nicht mehr sicher was das für eine Party war, aber es war eigentlich ganz lustig. Auf jeden Fall hab ich den beiden was vertickt und die Schwester war dabei."
„Und da dachten Sie sich, dass Sie die Schwester auch flachlegen können?"
Hey, das Wort hat sie noch nie benutzt und außerdem lächelt sie so vielsagend.
„Was soll das dämliche Grinsen?"
„Sie bereuen es."
„Was? Nein."
Sie schüttelt den Kopf, notiert sich etwas und kriegt ihr beschissenes Lächeln nicht aus dem Gesicht.
„Wie geht die Geschichte weiter?"
Irgendwie will ich es dir nicht mehr erzählen, wie viel Zeit hab ich jetzt eigentlich schon rumgeschlagen? Wahrscheinlich noch nicht genug, scheiße.
„Ich war draußen, hab eine geraucht und sie saß da halt, hat irgendwie geheult oder so. Ich hab ihr eine Kippe angeboten und wir haben was geredet."
„Ihr Tonfall sagt aus, dass Sie auf das Alles nicht sonderlich stolz sind."
Ich zucke mit den Schultern, ein bisschen hat sie schon Recht.
„Sie war ungefähr so alt wie Vio. Wäre ich jetzt achtzehn oder neunzehn gewesen wäre das kein Problem, aber so ist das ziemlich seltsam."
„Wieso haben Sie es dann getan? So viel fehlende Selbstbeherrschung?"
Ich presse die Lippen aufeinander, fahr mir durch die Haare und starre erneut die Zimmerpalme an. „Kerry hatte kurz davor angerufen", gebe ich kleinlaut zu. „Oh, Jack", seufzt meine Psychologin und schreibt sich etwas auf.
„Was hat sie gesagt?"
„Sie wollte, dass wir was zusammen machen."
Ich fange an, an meiner Jeans herum zu zupfen und höre ihr gleichzeitig mehr oder weniger zu.
„Jack, das klingt doch gar nicht so schlimm. Was haben Sie ihr geantwortet?"
„Ich hab gesagt, dass ich zu tun hätte."
„Sie hat Ihre Nähe gesucht und Sie haben sie zurückgewiesen. Aus Angst davor, dass Sie Gefühle für sie entwickeln?"
Mir ist schlecht, das Gespräch macht wieder mal keinen Spaß mehr und aus unerfindlichen Gründen zittere ich. Vielleicht bin ich doch Alkoholiker?
„Sie sind nervös", bemerkt die Ärztin nun und ich zucke mit den Schultern, mir ist nicht mehr danach zu reden. Können wir jetzt nicht einfach die nächsten Minuten still sein? Oder noch besser; kann ich Eine rauchen? Ich muss runter kommen und irgendwie scheint Kerry wirklich ein wunder Punkt zu sein, auf den Ex-Supermodel-Psycho-Doc aus unerfindlichen Gründen jede verdammte Sitzung drücken muss. Ja, ich hab sie gerne, vielleicht ein bisschen zu gerne und es nervt, dass sie einen Freund hat, aber da kann ich doch locker drüber stehen? Verdammt! Natürlich steh ich da drüber! Ich bin besser als dieses Arschloch, das sie ständig sitzen lässt. Wieso verdammt haben wir also nichts mehr miteinander? Ach ja, ich war ihr zu unreif oder bin ihr immer noch zu unreif? Und wenn sie doch mit mir eigentlich nichts zu tun haben will, wieso zur Hölle kommt sie dann heulend zu mir? Wieso sind wir dann überhaupt Freunde? Kann mir einer diese Frau mal erklären?
„Jack?", äußert sich die Frau vor mir. Ich bin irgendwie nur von denen umgeben. Vielleicht werde ich doch schwul, obwohl die Sache mit dem Arschficken mir immer noch nicht so zusagt und außerdem haben Typen keine Brüste. Ja, die haben bestimmt keinen Spaß im Bett.
„Was denn?"
„Wie geht die Geschichte aus?"
Sie will von dem Thema 'Kerry' wegkommen. Dabei scheint es sie eigentlich zu interessieren. Scheiße, sie tut etwas nettes für mich und ich kommentiere es mit einem Lächeln.
„Ich hab ihr ihre Unschuld geraubt – hören Sie überhaupt zu? Dann hab ich ihr gesagt, dass es eine einmalige Sache war und zwischen uns nichts läuft."
„Wie hat sie reagiert?"
„Gelassen, der Kleinen ging es wohl auch nur darum zu vögeln. Auf jeden Fall, bin ich dann gegangen."
Ein zufriedenes Lächeln im Gesicht und mit einem Blick auf die Armbanduhr – die ich heute ausnahmsweise mal nicht vergessen habe, stelle ich fest, dass die Geschichte für fünfundvierzig Minuten gereicht hat. Gut so, dann kann ich jetzt mal an der nächsten Tankstelle Wodka kaufen und mit Wade herausfinden wie man Cannabis anbaut. Ich hoffe nicht, dass man das genauso wie mit normalen Blumen macht – die gehen bei mir immer ein.
DU LIEST GERADE
Jack Carter Ist Unsterblich
General FictionDu willst lieber die lektorierte Fassung lesen? Dann bestell sie dir jetzt bei Piper oder dem Buchladen deines Vertrauens! „Ich schnief mein Glück." Wer sich vom Hochhaus stürzt, stirbt. Jack nicht. Stattdessen muss er zur Therapie und Dr. Elisabet...