„Haben Sie mich vermisst?", lächle ich gelassen. Dafür dass heute der erste Oktober ist, ist es ziemlich warm. So etwas nennt sich harter Spätsommer in New York. Dann tauscht man seine Pullover gegen T-Shirts und chillt sich zu den Hanf-Pflanzen auf die Feuerleiter. Anschließend Kopfhörer auf und der Rest kommt ganz von selbst. Ich mag diese Tage.
„So sehr wie ich den einzigen unsterblichen und zugleich suizidgefährdeten Patienten nun mal vermissen kann."
Krass, genau dieser Satz lief heute Nacht in meinem Traum ab, oder war ich da stoned?
„Sagen Sie bloß, Sie haben auch von mir geträumt."
„Gute Laune?"
Ja, Sonne führt erwiesenermaßen zur Ausschüttung von positiven Hormonen. Sex und Drogen allerdings auch.
„Bisschen."
„Und das ganz ohne Drogen."
Wow, heute so naiv, Babe? Komm schon, mittlerweile müssten wir beide uns doch ein bisschen kennen.
„Wir war Ihre Woche so?"
„Geht."
Sie seufzt, verschränkt die Finger ineinander und sieht mich erwartungsvoll an. So haben die Kinder im Kindergarten auch geguckt. Kein Plan was die von mir wollten, hab mir dann einfach lässig eine Kippe angezündet und mich auf die Rutsche gesetzt.
„Was ist passiert?"
„Wade hat mich in den Kindergarten geschleppt."
Jetzt wandelt sich ihr Blick in eine Mischung aus Skepsis, Neugier und Belustigung. Man sieht schon wie ihr sich eine Frage ins Hirn brennt.
„Wie ähm.. kam es dazu?"
„Wade hat eine komische Vorstellung von Dingen die Spaß machen."
Die hat er wirklich. In der High School hat er Zaubertricks gelernt und auf dem ersten College auch – da haben wir uns auf dem Campus sogar ein Zimmer geteilt und nichts ist beschissener als irgendwelche heißen Studentinnen auf einem Stockbett flachzulegen, vor allem wenn man am ersten Tag das obere Bett beansprucht hat.
„Jack, können Sie bitte erzählen?"
„Ja, also; er arbeitet als Erzieher in einem Kindergarten – seit wann auch immer – und ich war halt was mies drauf, war auch schon wach als er los wollte. Welcher Mensch steht um sechs Uhr morgens überhaupt auf?"
„Menschen die arbeiten gehen, Jack."
War das jetzt eine Anschuldigung?
„Ich arbeite auch; Nachtschicht am Wochenende."
„Als Drogendealer."
„Das. Ist. Ein. Beruf." Extra so langsam, abgehackt und bockig ausgesprochen.
„Gut. Jack, erzählen Sie weiter oder wollen wir über Ihre Art des Geldverdienens diskutieren?"
„Da gibt's nichts zu diskutieren. Ich hab einen Job wie jeder andere auch. Aber bitte, dann reden wir halt über den dämlichen Tag umgeben von sabbernden, schreienden und extrem dummen Kindern. Die können nicht mal richtig sprechen! Das ist so ätzend und dann war da eins, das auch noch gestottert und genuschelt hat. Ich war während meiner Schulzeit mal mit Einer zusammen die gestottert hat. Selbst wenn die auf dem Höhepunkt war hat die gestottert."
„Wie überraschend, dass diese Beziehung nicht lange gehalten hat."
„Wir haben Schluss gemacht, weil ich ihre Schwester geknallt habe. Ihr Stottern als Grund zu nennen wäre doch beschissen, das hätte ihr komplettes Selbstbewusstsein gekillt."
Sie lächelt, schreibt sich etwas auf.
„Auf so etwas achten Sie?"
Ich zucke mit den Schultern, lächle ebenfalls.
„Bin halt ein Arschloch mit Stil."
„Haben Sie mit der Schwester geschlafen, nur damit es einen Grund gibt Schluss machen zu können?"
Thema wechseln, sonst glaubt Ex-Supermodel-Psycho-Doc noch, dass sie wieder kotzen darf.
„Unwichtig. Zurück zu der Geschichte; Wade der gutmütige Samariter schleppt mich in den Kindergarten. Hat irgendwas gemeint von wegen 'das wird dir gut tun'. Einen Scheiß hat es. Das waren acht verdammte Stunden umgeben von diesen nervtötenden Viechern. Aber gut, am Anfang hatten die noch Erwartungen an mich. Wade hat mich nämlich als seinen unsterblichen besten Freund vorgestellt. Eines von den Biestern hat mir das nicht geglaubt und am liebsten hätte ich mich vor seinen Augen umgebracht, aber das ging nicht. Wäre dann so ein schlechtes Vorbild-Ding gewesen und eventuell hätte der Fratz das nachgemacht, ich Anschiss von den Eltern bekommen und Wade wäre aus dem Kindergarten geflogen. Aber das wäre doch ein Segen für ihn gewesen. So auf Dauer kann das da doch nicht gesund sein."
Sie lacht, fährt sich dann durch die Haare und spielt wieder mit dem Kugelschreiber.
„Haben Sie mal daran gedacht, dass Wade diese Arbeit vermutlich sehr viel Spaß bereitet?"
„Sag ich doch; er hat eine komische Vorstellung von Spaß."
Sie schüttelt den Kopf, notiert sich dann noch etwas.
„Vor etwa einem Monat hatten wir ein Gespräch über Akzeptanz in der Gesellschaft. Ihr bester Freund hat eine Freundin, einen Beruf und trägt seinen Teil zur Welt bei. Und Sie, Jack? Was tun Sie für die Welt?"
„Ich gebe ihr mich."
„Und das reicht Ihnen?"
„Ziemlich vielen Weibern in New York reicht das."
Das vermeintliche Ex-Supermodel seufzt, ändert wieder ihre Sitzposition und stützt mit den Händen nun ihr hübsches Gesicht.
„Jack, so ungern ich diesen Satz auch von mir gebe, aber Sie müssen Ihre Einstellung ändern. Sonst werden Sie ewig damit beschäftigt sein sich im Kreis zu drehen. Ihnen fehlt Selbstwertgefühl. Außerdem ist das alles doch nur Fassade um Ihr kaputtes Selbst zu verschleiern. Aber dies können wir nun mal nicht reparieren, wenn Sie niemanden an sich heran lassen."
Gibt's eigentlich auch eine einzige Sitzung in der es nicht so endet? Wie viele muss ich noch machen? Das Hier ist die Vierzehnte, von achtundvierzig. Scheiße, das dauert jetzt lange das auszurechnen – dabei war ich in Mathe eigentlich gut. Sechsundzwanzig! Noch sechsundzwanzig Sitzungen! Oder? Ich könnte mich da jetzt auch derbe irren. Ach scheiße, ich rechne das nachher mit einem Taschenrechner nach.
„Jack, haben Sie verstanden, was ich Ihnen gesagt habe?"
„Hab nicht so richtig zugehört."
„Wäre es machbar, dass Sie nächste Woche Wade mitbringen könnten?"
Ich könnte schwören, dass sie was anderes gesagt hat. Scheiße, ich hätte vielleicht zuhören sollen. „Hm, mal gucken", gebe ich nun zur Antwort von mir.
„Es würde helfen."
Sie lächelt aufmunternd, steht auf und reicht mir ihre Hand. Aber ich ignoriere diese Geste und begebe mich stattdessen zur Tür. „Bestimmt", murmle ich zum Abschied sarkastisch, obwohl es eher betrübt klingt. Das Miststück hat mir meine gute Stimmung versaut.
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Jack Carter Ist Unsterblich
General FictionDu willst lieber die lektorierte Fassung lesen? Dann bestell sie dir jetzt bei Piper oder dem Buchladen deines Vertrauens! „Ich schnief mein Glück." Wer sich vom Hochhaus stürzt, stirbt. Jack nicht. Stattdessen muss er zur Therapie und Dr. Elisabet...