„Vater, wir werden spätestens in zwei Tagen los segeln", erklärte er Warkan und ignorierte mich zum Glück.
Schon in zwei Tagen? Das war viel zu früh.
Ich wollte meinen Bruder und meine Heimat nicht verlassen. Egal wie sehr ich es mir früher immer gewünscht hatte.
„In zwei Tagen schon?", fragte Warkan überrascht und sah ihn an.
Das ich zwischen ihnen saß regte mich ziemlich auf, da sie dann dauernd über mich hinweg sprachen.
„Ja, wir müssen zurück zu unserem Ru- äh Stamm. Außerdem wollen wir auf der Reise noch bei ein paar Häfen halten", erklärte er und sah zu Narbengesicht, der sich gegenüber von ihm nieder gelassen hatte. Was wollte er sagen? Ru...? „Nun gut, dann sollten wir die Tage noch nutzen. Schließlich beraubst du mich ja dann einer Tochter", scherzte er und legte seine Hand auf meine Schulter. Ich konnte gerade so, ein Zusammenzucken vermeiden und blickte still auf meine Hände, welche ich in meinem Schoß gefaltet hatte.
„Wie war", murmelte Raswan und wand sich an einen seiner Kameraden.
Die ganze Zeit über hatte ich nur still an dem Tisch gesessen und dabei zu gesehen wie die Männer die Hochzeit feierten.
In der Zeit war ich dazu gekommen mich zu fragen, warum nur Männer der Hochzeit beiwohnen durften? Ich war zu dem Ergebnis gekommen, dass Männer Machthungrige Tiere waren und die Frauen gerne unterdrückten.
„Wenn sie mir folgen würden, Madam", sagte plötzlich ein Krieger zu mir und ich erhob mich.
Endlich! Der Sonnenaufgang rückte näher und ich war befreit von den Männern.
„Wohin soll sie euch denn folgen?", fragte Raswan knurrend und hielt mich am Handgelenk fest. Ich hielt die Luft an und versuchte das unangenehme Gefühl zu ignorieren.
„Ein letztes Ritual der Frauen. Da darfst du nicht anwesend sein", erklärte Warkan beiläufig. Raswan machte ein wütendes Gesicht, ließ mich jedoch gehen. Dabei ließ er sich jedoch die Chance nicht entgehen, mir auf den Hinter zu schlagen, was einige der Barbaren zustimmend grölen ließ.
Mit einem hochroten Kopf verließ ich die Hütte und steuerte direkt auf den Marktplatz zu.
Es war noch immer stockdunkel, doch kleine Lichter begannen am Horizont, hinter den Bergen, zu strahlen.
„Ach, da ist sie ja!", rief Warkans Frau und stürmte auf mich zu.
Breit Lächelnd legte sie eine Hand auf meine Wange und wünschte mir viel Glück für die Ehe. Auch meine Tante begrüßte mich lächelnd.
Auf dem Weg zum Strand erklärten sie mir alles, da sie nicht dabei anwesend sein durften.
„Hüte dich vor den Nixen, mein Kind. Meine Schwester war nicht die einzige, die während des letzten Rituals in der Hochzeitsnacht von etwas gebissen wurde. Wenige Tage später ging sie im Meer baden und kam nie wieder zurück", sagte Warkans Frau noch, bevor sie mich allein ließen. Unsicher stand ich nun am Strand und spähte auf das Meer hinaus. Kleine Wellen schlugen am Strand auf und glitzerten im Licht des Mondes.
In meinem Rücken lagen die Hütten des Dorfes, die Berge und dahinter die Sonne. Ich musste mich beeilen, um das Ritual noch vollständig ausführen zu können.
Zitternd, wegen der kühlen Nachtluft, begann ich aus dem Kleid zu schlüpfen und lief nackt auf das Wasser zu.
Mich überlief eine Schauder, als ich mit den Füßen das Wasser berührte.
Noch einmal blickte ich übers Meer und erschrak, als ich etwas aus dem Wasser springen sah.
Es sah aus wie ein großer Fisch, nur dass die Flosse im Mondlicht schimmerte.
Noch dazu erklang in meinen Ohren ein hoher, schriller Schrei. Fast wie ein Fiepen, was die Hunde immer ausstießen, wenn sie Hunger hatten.
Ich stolperte ein Schritt zurück und stieß dabei gegen eine kalte, stählerne Brust.
Erschrocken keuchte ich auf und wagte es nicht mich zu bewegen.
„Die alte Frau hat recht. Nixen sind bösartige Meeresgeschöpfe die dich hinab in die Tiefen ziehen. Männer töten sie und Frauen machen sie zu ihres Gleichen", erklang die tiefe Stimme des fremden Kapuzenträgers. Ich war mir sicher, dass er es war, auch ohne ihn gesehen zu haben.
„Schau", flüsterte er und zeigte mit seinen weißen, langen Klauenhänden gerade aus ins Meer.
Nervös folgte ich mit den Augen seinen Fingern und erschrak erneut, als wieder etwas aus dem Meer sprang und danach wieder verschwand.
„Sie warten auf dich, wollen dich holen bevor es die Hunde tun", raunte er und ich zuckte bei seiner Berührung.
Sanft strich er über die Bisswunde und rückte ein Stück näher an mich.
„Merke dir eins, neben all den Gattungen die dich wegen deiner Abstammung haben wollen, gibt es auch die, die dich auslöschen wollen. Doch vor mir und meinen Brüdern brauchst du keine Angst haben. Die Dunkelheit ist dein ständiger Begleiter und Beschützer. Ich werde immer für dich da sein", versprach er und streichelte mit seiner anderen Hand über meine Wange. Dabei streiften seine Klauen meine Ohren und ich hielt den Atem an.
„So ängstlich, ma belle. Dabei bin ich dein Verbündeter in dem Krieg, der schon lange tobt. Bald wirst du alles verstehen."
Ich schüttelte den Kopf und biss mir auf die Lippe.
Ein Seufzen erklang an meinem Ohr und kalter Atem schlug mir entgegen. Alles in mir schrie danach, mich umzudrehen und ihn an zu sehen.
„Geh heute nicht mehr schwimmen", bat er und plötzlich verschwand die Kälte. Gerade noch rechtzeitig drehte ich mich herum, um die verschwindenden Rauchschwaden zu sehen und das kreischen eines Tieres zu hören. Etwas flog über meinen Kopf und verschwand hinter den Hütten am dunklen Himmel.
Die eine Seite des Himmels wurde jedoch hell, mit jedem Meter den die Sonne weiter empor stieg.
Eilig zog ich mir mein Kleid wieder an und rannte auf den Berg zu. Mit der letzten Kraft die ich von diesem anstrengend Tag noch hatte, erklomm ich die Felsen und schritt die lange Wiese entlang.
Hier oben war ich sicher vor Raswan, seinen Männern und jedem anderen im Dorf.
Einzig mein Bruder wusste, dass ich mich hier oben aufhielt, wenn ich alleine sein wollte.
Und nichts wollte ich im Moment sehnlicher.
Vollkommen ausgelaugt ließ ich mich an den Klippen nieder und legte mich flach ins Gras. In was für einer verwirrenden Welt befand ich mich nur.
Nixen und Geschöpfe der Nacht? Es klang so lächerlich, dass es schon wieder glaubhaft wurde. Meine Gedanken kreisten um alles und doch nichts, bevor ich in einen traumlosen Schlaf fiel.
-
Ich wachte erst auf, als am darauffolgenden Tag die Sonne aufging. Über mir hatte jemand ein Fell ausgebreitet, sodass ich nicht fror. Sehr wahrscheinlich mein Bruder.
Leicht verspannt, wegen des harten Untergrunds, bewegte ich mich etwas und sah in das Dorf hinab. Schon jetzt waren einige Leute unterwegs und liefen vollgepackt zum Hafen.
Kopfschüttelnd schnappte ich mir das Fell und begann mit dem Abstieg.
Ich war nicht mal ganz unten angekommen als eine Gruppe Krieger, die durch die Gegend streifte, mich entdeckte.
„Fasst sie!", befahl ihr Anführer und deutete auf mich.
Völlig verwirrt ließ ich zu, dass sie mich grob an den Armen packten und Richtung Dorf zogen.
Hämisch grinsend stieß der Anführer der Wachen hinzu und meinte: „Raswan und Warkan werden erfreut sein euch zu sehen."
Seine Stimme triefte vor Sarkasmus und ich musste schwer schlucken, als wir uns dem Dorf immer weiter näherten. Am liebsten würde ich darum betteln, dass sie mich nicht zu Raswan bringen würden, doch so viel Stolz hatte selbst ich noch.
„Euer Mann hätte seine Männer beinahe allein in seine Heimat zurück geschickt und wäre dann mit euch nachgesegelt. Aber es ist doch schön, dass ihr jetzt alle zusammen nach Übersee reisen könnt", lachte der Anführer und nahm mich jetzt am Arm.
Seine Männer umringten uns wie ein Kreis und beförderten uns so durch die hektischen Menschen. Es waren größtenteils Barbaren, die irgendwelche Sachen zum Hafen brachten. Langsam begann ich zu begreifen und sah schockiert zum Meer. Tatsächlich waren die Fremden dabei ihr Schiff seetauglich zu machen und es zu beladen. Mein Herz begann schneller zu schlagen und mir stockte der Atem.
Sie wollten abreisen, mit mir!
„Mein Herr, seht wen wir gefunden haben", rief der Wache und zog mich zum Marktplatz. Da die Sonne noch am aufgehen war, waren die Frauen und meisten Bauern noch in ihren Hütten. Nur die Barbaren und einige von Warkans Kriegern liefen draußen herum. Warkan selbst stand auf dem Marktplatz, vor dem Pfosten an dem mein Bruder ausgepeitscht wurde und unterhielt sich mit Raswan und Narbengesicht.
Überrascht drehten die Männer sich jetzt herum und sahen mich wütend an.
In Warkans Augen schwang deutliche Missbilligung, hingegen war Raswan einfach wütend.
Der Wache stieß mich nach vorne, sodass ich stolperte, aber mich fing und vor den Männern mit gesengten Haupt stehen blieb.
Ohne Vorwarnung verpasst Raswan mir plötzlich eine und trat dicht an mich heran. Schmerzhaft keuchte ich auf und unterdrückte einen Schrei, als er meine Haare packte und meinen Kopf nach hinten riss.
„Weißt du wie sehr du mich blamiert hast? Eine Frau die noch in der Hochzeitsnacht flüchtet. Wirklich amüsant, doch ich kenne deutlich lustigere Spiele!", keifte er und beförderte mich auf die Knie.
„Wir werden gleich abreisen. Sieh zu, dass du dich von deinem Bruder verabschiedest und dann schleunigst auf mein Schiff kommst. Deine Kleider sind schon an Bord", sagte er und ging um mich herum. Noch einmal schlug er mir ins Gesicht, woraufhin ich nach vorne sank und ängstlich nach Luft rang.
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Vanja's Story
WerewolfWalhalla-Serie Teil 1 -Vanja's Story- Ein alter Mann sagte einst zu seinem Enkel: „Weißt du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und graus...