13.

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von Iridescent13



"Angst?", wiederhole ich ihre Wortwahl ungläubig.

"Ernsthaft?"

Sie nickt; ihre Lippen färben sich eigenartig blau unter dem nassen Film, der uns beide umhüllt. Am liebsten würde ich an ihnen saugen und das ungesunde Blau in ein Rot verwandeln.

Verdammt.

"Du tust es schon wieder", bemerkt sie; ihre Stimme bebt.

Der Regen hilft, einen klaren Kopf zu bewahren. Wäre er nicht, würde die Wucht meiner Gefühle für dieses Mädchen mich von innen heraus versengen.

Ich schließe die Augen, neige den Kopf nach oben und lasse die gläsernen Tropfen auf mein Gesicht einpeitschen.

"Tu das nicht", fleht sie, jedoch ohne Nachdruck. Mein Herz setzt einige Schläge aus.

Sie ist eine Disharmonie in der Melodie meiner Selbstbeherrschung. Ein schräger Ton, der mir in den Ohren rauscht.

Verdammt nochmal.

Ihre poetische Art, die Welt zu beschreiben, hat offensichtlich auf mich abgefärbt.

Als ich meine Augen öffne, fixieren sie sofort wieder ihre Lippen. Das Grau des Himmels und das Grün der Erde verschwimmen zu einem fahlen Standbild. Ihr Herz pocht so stark, dass ich es durch ihre Bluse erkennen kann.

"Was soll ich nicht tun, Lana?", mein Stimme klingt kantig, rau. Ohne mein Zutun tragen mich meine Füße näher an sie heran. Die nasse Wiese scheint mich zurückhalten zu wollen; jeder Schritt lässt mich mehr in den schwammigen Untergrund einsinken.

"Dich begehren?"

"Bitte ..."

"Dich verführen?"

"Ich will das nicht", protestiert sie, doch die Kälte hat ihren Armen die Kraft entzogen. Kaum mehr als eine sanfte Berührung an meiner nackten Brust vernehme ich, als ich meine Muskeln um ihren Oberkörper schlinge.

"Angst?", raune ich in ihr Ohr.

"Angst", bestätigt sie. Ihr Atem streift mein Schlüsselbein und ich ziehe die Luft ein.

Ein bittersüßes Kribbeln fährt von meiner Kehle hinab in meinen Bauch und verendet als animalisches Verlangen, das mich dazu veranlasst, sie näher an mich zu ziehen.

"Lana."

Meine Schultermuskeln zucken, so sehr muss ich mich beherrschen, nicht zu viel

Kraft auf meinen Klammergriff zu verwenden.

"Lana, verdammt", flehe ich, jedoch ohne blassen Schimmer, weshalb.

Wenn ich will, kann ich sie hier und jetzt packen, ihren Kopf in meine Richtung drehen, meine Lippen auf die ihren pressen und sie daran erinnern, weshalb sie mich braucht.

Sie braucht die Lebendigkeit, die in ihren Adern pulsiert, wenn ich sie anfasse.

"Angst wovor?", frage ich über ihren Kopf hinweg. Ihre Haare kleben an meiner Haut.

"Vor ... dem Nichts. Dem schwarzen Nichts das du verursachst, wenn du wieder gehst."

Ihr Blick wandert nach oben; Tropfen treffen sie ins Gesicht und sie blinzelt. Ihr Blick ist so unschuldig, dass es mir die Sprache verschlägt.

"Wieso bleibst du nie?", haucht sie zitternd und ich spüre die bekannte Enge in meiner Brust. Weiß sie nicht, dass das weh tut?

Sie reckt sich mir entgegen, krallt sich an meiner Brust fest und wartet, dass ich die Distanz zwischen uns überbrücke.

Und das tue ich. Ich habe keine Wahl, mein Körper entflammt, und ich will mehr.

Mehr von den schmerzlich leichten Küssen, die sie mir an meine Mundwinkel drückt.

Mehr von ihren kalten, feuchten Lippen, die ich einsauge, immer wieder an mich presse und die sie dann schweigend wieder von mir wegreißt. Ich atme schwer.

"Riley", haucht sie, und ich habe nur Augen für ihren Mund. Ich will mehr, ich ...

"Siehst du? Das machst du mit mir. Du bist da, spielst mit mir , - dann gehst du, und ich will mehr. Irgendwann ist das Verlangen zu stark. Wie eine Sicherung, die durchbrennt und alles ausschaltet. Wenn du wieder gehst, bleibt nichts als Schwärze."

Mit diesen Worten und dem Gefühl, von mir selbst gefoltert zu werden, verlässt sie mich. Das  durchnässte Weiß ihrer Bluse verschwindet mit jedem Schritt mehr im Nebel des Regens, und ich realisiere, dass ich es bin, der Angst hat.

Angst vor ihr und dem Gefühl, durch sie verletzlich zu sein.

Angst vor ihr und der Sorge, sie könnte mich irgendwann verlassen.

Ihre Angst war immer schon die meine. Ein

Spiegel war sie für die Dämonen in mir, und irgendwann kommt der Moment, wo man nicht mehr wegsehen kann.

Sie hat mich verlassen.

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