7.1. Gefangen (Teil 2)

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Gefangen (Teil 2) von Laaariiiii


"Hey, bist du wach?", tönte eine Stimme an ihr Ohr. Sie erwartete zuhause in ihrem weichen Bett aufzuwachen, doch ein stetiges Schlagen von Flügeln erreichte ihre Sinne und sie spürte kühlen Wind auf ihren Wangen und da wusste sie wieder, wo sie war. Sie schlug die Augen auf. "Was?", murmelte sie. "Wir sind gleich da!", sagte er. Sie sah nach unten. Es war dunkel. Die Städte lagen weit hinter ihnen.

Eine Mondsichel stand am Himmel und spendete ein wenig silbriges Licht, dass ihr half Baumspitzen unter sich zu erkennen.

Sie schienen über einem Wald zu sein.

Sie bemerkte, dass er nun langsamer flog. Er wandte den Kopf zu ihr. "Siehst du da vorne? Da wo die Bäume aufhören?", fragte er sie.

Sie blickte in die Richtung. Dort schien ein riesiger kahler Fleck zu sein, eine Lichtung.

Sie kamen näher und näher und dann hörten die Bäume auf und die Lichtung war unter ihnen. Sie war hell im Mondlicht und grasbewachsen. Felsgruppen lagen herum und überall entdeckte man helle Flecken darauf, die sich bewegten. Er flog Kreise ziehend tiefer und sie erkannte Pferde. Schneeweiße Pferde. Manche mit Flügeln, manche mit Hörnern. So wunderschön, wie sie sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt hatte.

Sie entdeckte Drachen. Manche mit hellen Schuppen, manche mit dunklen, groß und einschüchternd, die ledrigen Flügel angelegt.

Auf einem Felsen räkelte sich ein dreiköpfiger Hund und davor hatte sich eine ebenso vielköpfige Schlange zusammengerollt.

Auf einer weiteren großen Felsgruppe lagen ein paar geflügelte Löwen.

Das Fell von satter Farbe und schimmernd, die Flügel so weich aussehend, die Mähne der männlichen Wesen dunkel und seidig. Einer von ihnen hob den schönen Kopf und erblickte sie.

Ein lautes, freudiges Brüllen ertönte.

Das Mädchen spürte, wie der mächtige Körper unter ihr vibrierte, als der Löwe in seiner Sprache antwortete. Sie kamen dem Boden näher und er streckte die Beine aus, bis die Pfoten die Erde berührten. Ein Stück rannte er noch, bremste ab und als er schließlich stand, drehte er sich zu seinen Kameraden um. Die Flügel ließ er ausgebreitet, damit noch keiner das Mädchen sah.

"Ja, ich bin wieder da! Ich wurde Ewigkeiten in einen Käfig im Zoo gesperrt. Es war wie ein Gefängnis. Doch heute Nacht konnte ich fliehen. Und zwar..." Er legte die Flügel an. "...allein durch ihre Hilfe."

Ein Raunen ging durch die Reihen der Fabelwesen und schwoll zu einem wütenden Brüllen, Bellen, Fauchen und Wiehern an.

"Halt!", fuhr er sie alle an. Dann drehte er den Kopf zu ihr. "Erzähle ihnen das, was du mir gesagt hast, als du mich befreit hast."

Sie atmete tief durch. Dann begann sie ihre Sicht zu erläutern.

"Ich würde alles dafür geben, dass Fabelwesen und Menschen wieder miteinander auskommen, doch ich weiß, dass das nie klappen würde. Es gibt immer irgendwelche Menschen, die meinen müssten, aus der Reihe zu tanzen. Ich kann nur sagen, als eines der Kinder, die eine andere Sicht auf die Dinge haben, wie sehr ich mich geehrt fühle, dass ich das alles hier sehen darf. Dass er mir vertraut. Und ich hoffe, ihr tut das auch", endete sie schließlich. Eines der Einhörner trat vor. "Meine Liebe! Ich kann von mir nur sagen, dass ich dir glaube. Und ich weiß nicht, wie es den anderen geht, aber ich bin unglaublich glücklich darüber, dass nicht alle Menschen solche Ungeheuer geworden sind. Von mir aus bist du herzlich willkommen!", verkündete es mit klarer, melodischer Stimme. Sein Horn schimmerte lang und silbern im Mondlicht. Es neigte den Kopf.

Dann ertönten von überall her Rufe, Rufe der Wesen, die verkündeten, dass sie die Meinung des Einhorns teilten.

Ein Lächeln bildete sich auf dem Gesicht des Mädchens und wurde zu einem Strahlen. "Vielen, vielen Dank!", rief sie glücklich.

Sie stieg von dem Löwen herunter. "Lass dich von dem Einhorn herumführen, ich werde mich sauber machen gehen und etwas fressen, ich habe einen Riesen-Hunger", sagte er ihr. Sie nickte und ging auf das Einhorn zu.

"Möchtest du vom Boden alles sehen oder möchtest du auf mir reiten?", fragte es. "Ich würde gerne reiten", antwortete sie. Das Einhorn knickte die Beine ein und legte sich hin, sodass sie problemlos aufsteigen konnte.Nachdem es ihr alles gezeigt hatte und sie von der Höhle der Löwen bis zu der Wiese der Pegasi alles gesehen hatte, war sie von dem weichen Gang des Einhorns so müde geworden, dass sie sich gehörige Mühe geben musste, nicht einfach nach vorne zu fallen und einzuschlafen.

"Na du?", begrüßte sie die vertraute Stimme des Löwen, als sie wieder auf der Lichtung ankamen. Sie sah ihn müde an. "Hm?" "Ich glaube du solltest nach Hause", stellte er fest.

Das Einhorn legte sich wieder hin und sie stieg ab. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

Ein Pegasus mit prächtigen schneeweißen Flügeln trabte auf sie zu. Der Löwe legte ihr die weiche Schnauze an die Wange."Ich werde mich hier von dir verabschieden", sagte er leise. "Du wirst auf einem Pegasus nach Hause reiten, da ich mich ausruhen muss und ein geflügeltes Pferd um ein Vielfaches schneller, als ein geflügelter Löwe ist."

Sie streckte die Hand aus und strich durch seine Mähne. "Ich werde diese Nacht nie vergessen", antwortete sie.

"Versprichst du niemandem von uns zu erzählen, geschweige denn zu verraten, wo wir leben?", fragte er.

"Ich schwöre es", versicherte sie.

"Sehr schön, vielen Dank! Was mich angeht, wenn dich jemand darauf anspricht..." "...werde ich nichts wissen", beendete sie den Satz. "Gut!", er neigte den Kopf. "Dann werde ich jetzt 'Auf Wiedersehen' sagen!" "Ich hoffe, dass es ein Wiedersehen gibt!", antwortete sie.

Der Pegasus legte sich nieder und sie stieg auf.

"Macht es gut, ihr alle! Ich freue mich immer noch sehr, dass ihr mir vertraut und ich hier sein durfte. Ich danke euch vielmals!", rief sie, als das Wesen angaloppierte, immer schneller wurde und schließlich die Flügel ausbreitete und abhob, begleitet von den Abschieds-Lauten der Fabelwesen auf der Lichtung.

Das Mädchen legte sich auf den Hals des Pegasus' und schlief ein, während dieser sie in schnellem Tempo durch die dunkle Nacht heimwärts trug.


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