21 Reset

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Reset von the_cuckoos_nest



„Hey, ihr da!"

Nur eine der drei Weberinnen sah kurz auf, schüttelte missmutig den Kopf und widmete sich dann wieder still ihrem Handwerk. Beleidigt von der ihr entgegengebrachten Missachtung schob das braunhaarige Mädchen schmollend die Unterlippe vor und beschwerte sich: „Das ist nicht sehr höflich!"
„Psst", entgegnete ihr die rechte Gestalt, die das Mädchen „die Bibliothekarin" taufte.

Malia hob den Blick. Über den alten, in weiten Leinen verhüllten Weibern thronte ein gewaltiges, summendes Netz, von dem ein seltsames Vibrieren ausging. Endlich war sie an ihrem Ziel angelangt. Endlich würde sie etwas verändern können. Endlich würde sie ihr eigenes Leben leben können.

Das Mädchen trat näher an die Nornen heran, welche sich weiterhin nicht für Malias Anwesenheit interessierten. Wären ihre Hände nicht stetig in Bewegung gewesen, hätten Außenstehende sie leicht für Statuen halten können. „Hallo?", versuchte es das Mädchen noch einmal, beugte sich vor und wedelte mit einer Hand vor dem Gesicht der Bibliothekarin herum. Außer dem durchdringenden Brummton, der von dem Netz ausging, herrschte Stille.

„Na gut, dann eben nicht." Sie hatte sich das alles irgendwie viel schwieriger vorgestellt und mit mehr Widerstand gerechnet, doch die Frauen schienen sie nicht von ihrem Vorhaben abhalten zu wollen. Malia sah erneut zu dem riesigen Geflecht und atmete tief ein. Sie würde irgendwo herauf klettern müssen, um an die einzelnen Verknüpfungen gelangen zu können. „Entschuldigung", nuschelte sie grinsend und eher halbherzig, während sie auf die Schultern der mittleren Norne stieg und schließlich ihren Kopf erklomm. Währenddessen blieb jene völlig starr und stumm. Etwas übermütig und manisch tanzte Malia jetzt von Haupt zu Haupt wie auf Steinen in einem Bach. Sie konnte es kaum fassen. Greifbar vor ihr befand sich, was sie so lange gesucht hatte.

Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus und ihre Finger umschlossen einen der Schnüre. Als sie an den roten Weben zupfte, breitete sich ein Leuchten aus, welches sich an einem weiter oben schwebenden Knoten sammelte. Dort musste es sein. Das Mädchen erklomm fest entschlossen das Netz. Sie war nie besonders gut im Sportunterricht gewesen, aber es gab keinen anderen Weg. Schwer atmend erreichte sie schließlich den Kern des Lichtpegels, zog aus ihrer Jackentasche eine Schere hervor, setzte an dem hellsten Knotenpunkt an und durchschnitt ihre eigenen Schicksalsfäden. „Wuah", entfuhr es ihr erschrocken, als sich das Maschenwerk in Bewegung versetzte und zu wackeln begann. Um ein Haar hätte sie fast den Halt verloren, doch sie ließ nicht locker und griff hastig nach den herunterfallenden Enden der Schnüre. „Hier geblieben!" Jetzt hatte sie ihr Schicksal wortwörtlich selbst in der Hand. Nachdem sie die Fäden schnell und nach ihren Vorstellungen neu verknotet hatte, stieg sie wieder herab und verabschiedete sich hämisch grinsend und mit herausgestreckter Zunge von den Nornen:

„So, und ab jetzt läuft das so, wie ich das will."

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