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Kennt ihr das, wenn ihr glaubt, einen Geist zu sehen? Oder zu halluzinieren? Denn genau so ging es mir, als ich sie entdecke.

Wie gesagt, es kommt sonst niemand hierher. Und schon gar nicht in der Nacht. Nicht um Mitternacht, wenn alle Menschen in ihren gemütlichen Betten liegen und davon träumen, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Oder träume nur ich davon?

Mein innerer Schweinehund will, dass ich etwas sage. Doch was sagt man einer Wildfremden, die sich zufällig an denselben verlassenen Ort verirrt hat, wie man selbst? »Hi, bist du auch so ein melancholischer Mensch, der gerne tagträumt?« Nopes. Kommt nicht infrage. Es reicht schon, wenn tagsüber die Menschen denken, dass ich nicht mehr alle beisammen habe. Ich muss nicht auch noch nachts Feinde machen.

Außerdem ist das Feld groß genug. Und auch wenn sie auf der Bank sitzt, die ich sonst bevorzuge, gibt es genug Platz für mich. Durch Streifzüge weiß ich von einem kaputten Zaun, einige Meter in ihrem Rücken. Weiter weg vom Waldrand, aber das wird wohl für heute Nacht reichen.

Die Entfernung hilft mir auch, um sie näher zu betrachten, ohne dass sie mich für einen Stalker hält.

Ihre Haare trägt sie versteckt unter einer Wollmütze. Im Sommer. Vielleicht ist sie ja verrückt. Würde erklären, aus welchem Grund sie hier draußen ist. Um Mitternacht. Als Mädchen. Alleine.

Scheiße, sie weckt meinen Beschützerinstinkt. Das hat man jetzt davon. Meine Eltern hätten mich anders erziehen müssen. Wäre ich schüchterner, würde ich den Blick abwenden und nie mehr an sie denken. Stattdessen mustere ich sie weiter. Verdammte Neugier.

Sie trägt zerrissene Jeans – ob das noch immer so trendy ist? - und eine Sweatshirtjacke. Vielleicht die von ihrem Bruder. Oder die von ihrem Freund. Sie sieht so aus, als hätte sie einen. Den beliebtesten Jungen der Schule, der ihr Innerstes aber nicht versteht und nicht nachempfinden kann, wie schrecklich es in ihrem Leben ist.

Ja, da spricht der Filmfreak aus mir. Aber so läuft das doch immer. Zurückhaltender Junge (hallo, das bin ich) trifft unter ungewöhnlichen Umständen auf außergewöhnliches Mädchen (das ist dann wohl sie). Sie mag ihn zunächst nicht, bis sie es doch tut. Sie verlässt aber nicht ihren gutaussehenden Freund, der spitz bekommt, dass sie ihn betrügt und den Nerd (es sind immer Nerds, oder?) zusammenschlägt. Süßes Mädchen geht Nerd im Krankenhaus besuchen und sie küssen sich.

Moral der Geschichte: Liebe überwindet alles. Hey, ich sollte Drehbuchautor werden! Damit hätte ich wenigstens eine Ahnung, was ich mal werden will.

Doch wir reden nicht. Ich bleibe meine Stunde auf dem ungemütlichen Zaun, vermisse meine Bank, und laufe dann wieder zurück zur Straße. Sie schaut nicht einmal in meine Richtung, wenn ich das richtig sehe. So einfach ist das manchmal.

Everyday at midnight {I look up to the stars}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt