Sie lässt mich den ganzen Tag über nicht los. Als ich gegen Mittag erwache und die Treppen hinunter in die Küche husche, fällt mir wieder das Mädchen ein. Ob ich sie mir erträumt habe? Ein Phantom, nach zu wenig Schlaf? Möglich wäre es, denn Schlaf ist etwas seltenes in diesem Haus. Man sollte meinen, dass sie mich ausschlafen lassen, da Ferien sind, aber es ist sehr selten, dass ich bis nach elf Uhr Ruhe habe. Irgendjemand fuhrwerkt immer herum. Und an diesem Tag ist es Luca, der mit einem Besen aus dem Wohnzimmer gerannt kommt und mich nicht beachtet. Was meistens so ist.
Was ich vergaß zu erwähnen, war, dass meine Mum es sich zur Aufgabe gemacht hat, Pflegekinder bei uns aufzunehmen. Meistens bleiben sie nicht lange. Eine Woche, zwei Monate. Und es gab Fälle - wie Luca- die blieben. Fia war auch so ein Fall, sie kam vor neun Jahren in unsere komische Familie und auch sie blieb. Sie blieb sogar so sehr, dass Ma und Mum sie adoptiert hatten. Wogegen Luca sich standhaft weigerte. Vielleicht will er nur nicht unseren Nachnamen annehmen.
»Luca?«, rufe ich und seufze. Ich bin der Hausälteste, was die Kinder betrifft. Und ziemlich schnell haben meine Eltern mir klar gemacht, dass ich mich als solcher zu benehmen hatte. Viele der zeitweise-Kids, wie ich sie nenne, sind vorlaut und präpubertär. Womit ich gar nicht zurechtkomme.
Wer glaubt, dass jedes Pflegekind verängstigt und schüchtern ist, irrt sich. Nicht jedes Zeitweise-Kid hat Angst oder vermisst die richtige Familie. Manche bleiben nur bei uns, weil es kein Ferienprogramm gibt und ihre Eltern arbeiten oder im Krankenhaus sind. Manche kennen gar keine Familie und sind froh, bei uns zu landen.
Und ich bin es auch. Froh, meine ich. So ist eigentlich immer etwas los. Auch wenn mir das nicht hilft, auf der Beliebtheitsskala in der Schule zu wachsen. Doch was will man tun. Ich mag die Kids. Teilweise.
»Luca«, wiederhole und ich renne in den Garten, wo die Sonne erbarmungslos auf und herabscheint. Ich bin einfach so ein Keller-Mensch. Blasse Haut, dunkle Haare, unwiderstehliche Vampir-Zähne und gli- Oh, Moment. Falscher Film. Was ich eigentlich sagen wollte: Ich bin nicht so der Sportmensch. Wie bekannt verbringe ich lieber meine Nächte draußen, meine Tage drinnen, wenn es geht. Luca hingegen ist total der Sommermensch. Aber er ist auch erst 14. Er weiß es nicht besser.
»Ich glaube, ich habe einen Geist gesehen«, sage ich, nachdem ich ihm eine Weile beim Fechten zugesehen habe. Er kann es nicht wirklich, aber das stoppt ihn trotzdem nicht, es zu versuchen. Vielleicht kann Ma ihn in einem Kurs anmelden.
»Geister gibt's nicht.«
»Natürlich nicht«, entgegne ich und fahre durch seine blonden Haare. Er gäbe einen viel besseren Streber als ich, mit der Brille und allem. Doch er ist sogar recht beliebt. Hat sogar seine erste Freundin. Womit er sogar mir etwas voraus hat. Blödmann.
»Ich geh mir Waffeln machen. Auch welche?«
Er rennt an mir vorbei, ins Innere des Hauses und ich folge ihm mit Sicherheitsabstand. Sie ist vollkommen aus meinen Gedanken verschwunden. Na gut. Ein bisschen.
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Everyday at midnight {I look up to the stars}
RomanceSie riecht nach Kaffee, Büchern und Orangen. Sie hat sturmgraue Augen, die an verregnete Tage erinnern. Mit einem kleinen Strahlen darin, das Nacht für Nacht mit den Sternen am Himmel konkurriert. Sie ist seit kurzem immer da. Immer hier. Und nie wo...