»Vielleicht muss sie ja wirklich verreisen«, ist Noras Theorie. Die mir verständlicherweise nicht weiterhilft. Ich fühle mich, als würde ich einem Geist hinterherjagen.
»Was denn?«, fragt sie weiter, als sie meinen genervten Gesichtsausdruck bemerkt. »Es gibt für alles einen Grund. Sie hätte auch einfach so fernbleiben können.«
Nicht von der Hand zu weisen und trotzdem will ich es nicht hören. Morgen fährt Ma zu einem Geschäftstermin nach Hamburg. Für drei Tage. Anschließend für eine Woche nach Berlin, wohin Mum sie begleiten wird. Es werden wohl neue MoonHours eröffnet.
Während der Zeit wird Tante Pennie hier einziehen, um sich um Luca zu kümmern. Er ist ja noch so klein und so. Dass Fia und ich alt genug wären, um auf ihn acht zu geben, wird rigoros ignoriert. Andere Menschen in unserem Alter sind schon dreifache Eltern, aber gut. Weniger Arbeit für mich.
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»Dir ist bewusst auf was du deinen Hinterwälderarsch gerade gesetzt hast, oder?«
»Pardon?«, frage ich perplex und sehe von meinem Handy auf. Ma schickt laufend Fotos von möglichen Locations und bindet mich in all ihre Entscheidungen ein. Manchmal ist sie die perfekte Mutter, sagte ich es nicht?
»Das ist ein Bentley Continental Supersports Convertible!«
Noch immer steht mir der Mund offen. Heute habe ich einen freien Tag und beschlossen, mal etwas Gutes mit meiner Zeit anzufangen. Wie zum Beispiel Luca von der Schule abzuholen, um zu beweisen, wie erwachsen ich wirklich bin. (Ich will den Führerschein machen. Was mir erst erlaubt wird, wenn ich erwachsen genug bin.)
Jedenfalls bin ich viel zu früh an Lucas Schule angekommen und lehne in der Sonne an einem Wagen. Ja, klar. Macht man nicht. Ich würde ausrasten, wenn das jemand bei mir machen würde. Immer diese zweideutige Moral der Menschen. Aber der Wagen hat so eine große Motorhaube in dunkelblau und ich musste jetzt über zwanzig Minuten warten ... ich wollte mich nicht auf die dreckigen Stufen setzen.
»Sorry«, erkläre ich schnell und hebe meinen Hintern von dem Wagen.
»Der kostet zweihundertvierzigtausend Euro!«
Der Kerl, der offensichtlich der Besitzer dieses Bentley-Was-Auch-Immer ist, baut sich vor mir auf. Und ist dabei einen Kopf kleiner als ich. Wieso dürfen so kleine Möchtegerns Auto fahren und ich nicht? Ich muss dringend mit Ma reden. Und die Frage Jo schreiben. Nur weil sie nicht antwortet, heißt das ja nicht, dass ich ihr nicht schreiben kann.
»Ich hab doch gesagt, dass es mir leid tut.«
Bin ich derzeit etwas gereizt? Japp. Werde ich deswegen aggressiv? Nein. Ich muss ja nicht gleich auf alles losgehen, nur weil mein eigenes Leben nicht so prickelnd läuft. Dadurch geht's mir auch nicht besser.
»Octavius?«, brüllt ein weiterer Typ, der noch am Schuleingang steht und um einiges größer ist. Okay, Mist. Das könnte unangenehm werden, wenn ich die Situation nicht schnell entschärfe.
Wie gesagt, ich bin kein Kämpfer. Ich will keinen Streit. Ich wollte nur meinen kleinen Nicht-Adoptivbruder mit meinem Roller abholen, um ihn zu einem coolen Kid zu machen. Davon träumt doch jeder.
»Octavius? Wirklich? Junge, du tust mir leid.« Ups.
Octavius – nein, ehrlich, wer nennt denn ein Kind so? – holt aus seinem Kofferraum ein Poliertuch und bearbeitet damit die Motorhaube.
»Octavius Gustavo Zhen von Sørensen der Siebte«, erklärt er dabei verbissen und mit einem Seitenblick bemerke ich, dass seine Freunde auf uns zukommen.
Elias, sei schlau. Sag was schlaues. Sei nett zu Octi. Es ist kein Wunder, dass er so einen dämlichen Namen hat. Sieben Generationen von Octavius – Moment, heißt es nicht eher Ocvtavien? Octaviussen? – und seine Familie hat den Namen höchstwahrscheinlich erfunden.
»Soll ich ... dir helfen?«, schlage ich vor, im selben Moment wie Luca angerannt kommt.
»Elias!«, brüllt er dabei und räuspert sich, als er vor mir zum Stehen kommt. Ha, wirken meine Tipps zum Cool sein ja doch. Kleiner Checker. Ehrlich, er wird's mal weit bringen, auch wenn ich das oft und gerne bestreite.
Octupus zieht die Stirn in Falten. »Du bist nicht zufällig Elias Moon?«
Und das, liebe Freunde, ist der Grund wieso ich doch lieber nur nachts vor die Tür gehe. Man wird wenigstens nicht von merkwürdigen Leuten erkannt.
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Everyday at midnight {I look up to the stars}
RomanceSie riecht nach Kaffee, Büchern und Orangen. Sie hat sturmgraue Augen, die an verregnete Tage erinnern. Mit einem kleinen Strahlen darin, das Nacht für Nacht mit den Sternen am Himmel konkurriert. Sie ist seit kurzem immer da. Immer hier. Und nie wo...