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»Also verstehe ich das jetzt richtig, dieses Mädchen taucht einfach auf, spricht nicht, bewegt sich nicht und verschwindet einfach?«

Nora beugte sich über ihren Kakao, den sie aus einem mir unerklärlichen Grund mit einem Strohhalm trinkt. Ihre braunen Haare trägt sie heute merkwürdig hochgesteckt und wieder frage ich mich, wie Mädchen Zeit dazu finden, sich zu frisieren. Ich bin froh, wenn ich morgens meine Zahnbürste finde, geschweige denn meine Haarbürste. Und Mädchen verbringen Stunden vor dem Spiegel, um sich zu schminken und die Haare ordentlich zu machen.

»Sie ist ein Geist.«

Ich starre Nora wortlos an.

»Oder ein Dämon. Ich wäre froh, wenn sie einer wäre. Wollte schon lange mal einen zum Interview beten.«

Ich starre Nora noch immer an. Nur sie kommt auf die Idee, einen Dämon interviewen zu wollen. Nur sie. Aus diesem sehr speziellen Grund ist sie auch meine beste Freundin, statt irgendein Jungen. Sie hat Ideen, die so abstrus und genial sind, dass wir gut zusammenpassen. Zudem sie manchmal wie mein weibliches Ebenbild scheint.

»Wollt ihr noch was, Kids?«

MH – MoonHour. Das Café meiner Ma. Wir zahlen hier nichts und seit meiner Kindheit ist das der ideale Platz zum Abhängen. Allerdings nur das Original-Café, das auch heute noch 24 Stunden, 7 Tage die Woche offen hat. Obwohl Ma es nicht nötig hat, arbeitet sie noch immer als Kellnerin hier. Sie sagt, es erinnert sie an ihre Herkunft, an ihre Vergangenheit. Und hier hat sie Mum kennengelernt, also ist das wohl ein ziemlich guter Grund.

Ich liebe das MH, weil es klein und doch riesig ist. Von Videoaufnahmen weiß ich, dass ich hier meine ersten Schritte gemacht habe. Hier habe ich zahlreiche Geburtstage gefeiert und in den Wänden steckt viel Geschichte. Aber wehe jemand nennt mich kitschig.

»Nein danke, Kass«, lächelt Nora meine Ma an und dreht den Kopf wieder zu mir. »Dann ist sie ein Geist.«

Ich stöhne. Und weiß schon, bevor meine Ma begeistert den Mund öffnet, dass ich Nora dafür später eine Kopfnuss verpassen muss.

»Redet ihr von dem Mädchen, das Elias nachts immer trifft?« Ma zieht sich einen Stuhl heran, dreht ihn um und setzt sich zu uns. Ja, manchmal vergesse ich, wie alt sie ist. Und manches Mal vergesse ich, dass sie noch gar nicht so alt ist.

»Es spricht nicht mit ihm«, erklärt Nora und auch sie strahlt. Super. Wenigstens zwei der wichtigsten Menschen in meinem Leben finden es aufregend, wie ich mich zum Deppen mache.

»Gehst du heute Nacht wieder hin, Schatz?«

»Denke schon«, nuschle ich und muss es viermal wiederholen, ehe sie mich beide verstanden haben. Frauen. Immer wieder diese Frauen.

»Bring ihr heute Abend etwas mit«, sagt Ma und erhebt sich wieder. Kunden wollen bezahlen. Still danke ich den Fremden, die mich aus dieser Situation retten. »Einen Cupcake. Liebe geht bekanntlich durch den Magen.«

Everyday at midnight {I look up to the stars}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt