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[A/N: Das ist es also. Das große Ende, das eigentlich so klitzeklein ist.]


Sie stirbt. Niemand hat mit einem Aneurysma in ihrem Kopf gerechnet, das durch eine ihrer Kopfverletzungen zustande kam. Es platzt und Jo stirbt. In dieser Nacht. In meinen Armen.

Spaß. Leute, nur ein Spaß! Ich übe lediglich für meine Karriere als Drehbuchautor und hey, ich hab auch alle dran gekriegt, nicht wahr? So muss das sein. Spannende Unterhaltung, bei der man sich niemals sicher sein kann, was passiert.

Natürlich stirbt Jo NICHT. Wie scheiße wäre das denn bitte? Gerade jetzt, wo sie von ihrem schrägen Zuhause wegkommt, in dem ihr Bruder ihr wehtut, ihre Schwester wegsieht und ihr Vater dazu nur lacht? Dafür stirbt aber ihre Maus Luigi. Wir vermuten ja, dass der Kater Mario es getan hat. Beweise haben wir nicht. Vielleicht hat ihre Katze Yoshi auch den Mord begangen und kann ihre Spuren nur besser vertuschen. So oder so ist die Maus tot und die beiden Katzen leben jetzt bei mir. Mein Haus war ja noch nicht voll genug, was?

Jo wird dieses Schuljahr nicht an eine Schule gehen. Stattdessen bekommt sie jetzt geförderten Unterricht, um nächstes Jahr einzusteigen. Sie möchte ihr Abitur machen und ich kann ihr helfen. Denke ich. Mal sehen. So sicher, dass ich die Prüfungen nicht vermassle, bin ich immer noch nicht.

Eigentlich ist es fast schon wieder witzig, wie schnell sich alles aufgelöst hat. Jo ist ehrlich zu mir, ich rette sie, Tante Pennie dreht durch, Ma und Mum eilen zu meiner Hilfe und schon ist die Welt ein besserer Ort. Ich wünschte, so leicht wäre die Lösung aller Probleme.

»Happy Birthday to you«, reißen mich einige Stimmen aus den nächtlichen Gedanken und gähnend setze ich mich in meinem Bett auf. Stimmt. Da war ja noch was.

***

Ich bekomme keine Parade zu meinem Geburtstag, kein plötzlicher Geburtstagschor in der Cafeteria, niemand bringt mir Kuchen. Außer Nora und drei, vier Mitschülern denkt auch niemand daran. Ich sagte ja, dass mein Leben sich nicht verändert hat. Ihr wolltet ja nicht hören.

Zuhause läuft der Tag ähnlich. Habe ich schon erwähnt, dass Mum ihren Job gekündigt hat? Da Ma wohl noch öfter reisen muss, hielten sie das für logisch. Was daran logisch ist, einen gutbezahlten Job, den man liebt, aufzugeben, weiß ich nicht. Muss alles mit dieser Liebe zusammenhängen. Manche Menschen verlieren dadurch scheinbar ihren Verstand. Gut dass Jo und ich anders sind.

Jedenfalls gratulieren sie mir alle erneut, Oma Paula schaut vorbei, wir essen Kuchen und Nora und Jo quatschen die ganze Zeit, während ich mit Luca auf meiner neuen Playstation zocke. Es gibt Glückseligkeit und sie lebt in meinem Haus.

Und dann ist da etwas Unerwartetes, das in unser Haus reinstolpert, die Schultern hängen lässt und offensichtlich schluchzt. Es trägt ein Plastikding und stürmt sofort auf Ma zu, die nicht einmal mitbekommen hat, dass jemand versucht, sie mit einer Umarmung umzubringen.

Eigentlich müsste ich mich heute betrinken. Das würden andere Kinder tun, nicht wahr? Die 18. Geburtstage sind doch die Zeiten, wenn »das echte Leben« erst los geht. Und als ich Tante Pennie zusehe, wie sie vor sich hinheult, wünsche ich mir etwas Hochprozentiges.

»Ich bin schwanger«, ist alles, was ich verstehen kann, bevor der Sturm losbricht. Ma redet leise auf sie ein, während Mum kurz vor einem Wutanfall steht. Ich kann es ihr ansehen. Weiß was sie gleich sagen wird. Nämlich was sie von Tante Pennie wirklich hält.

»Dann bekomme ich also ein Geschwisterchen zum Geburtstag?«, sage ich dummerweise und bringe damit den Sturm zum Stillschweigen.

Na klar weiß ich, dass Tante Pennie meine Mutter ist. Was glaubt ihr denn, wo ihr euch befindet? In einer dieser Geschichten, in denen das größte Geheimnis ist, dass die Hauptfigur herausfindet, dass sie adoptiert ist?

Okay, gut. Ich weiß es noch nicht sehr lange, vielleicht seit drei Wochen. Aber ich weiß es und bin okay damit. Es ändert nämlich nichts. Mum liebe ich auch schon immer, ohne blutsverwandt mit ihr zu sein. Wieso sollte sich das jetzt zu Ma ändern? Blutsverwandtschaft macht keine Familie aus.

Die Idee, dass etwas im Busch ist, kam mir als Tante Pennie mich und Jo im MoonHour fanden. Sie war so aufgelöst und sprach hinterher mit Ma darüber, wie schlecht sie in ihrem Job sei und dass es gut ist, wie es gekommen ist. Hallo erster Verdacht. Als sich der Trubel um Jo ein kleines bisschen gelegt hatte und ich nicht schlafen konnte, suchte ich in Mums Arbeitszimmer nach Beweisen. Nicht gerade gut, aber das ist jetzt auch egal. Ich fand meine Adoptionsurkunde und konnte die einzelnen Puzzleteile alle zusammensetzen.

»Du ... weißt es?«, fragt Ma und tätschelt Tante Pennies Rücken, die gar nicht mitbekommt, wie schweigsam alle um sie herum geworden sind.

»Jops«, sage ich und lächle schief. »Wir müssen da jetzt auch nicht drüber reden. Nix hat sich verändert.«

Ma und Mum sehen sich an. Lange. Intensiv. Als würden sie gedanklich miteinander reden und vielleicht tun sie das ja auch. Wenn ich wem im Raum gruslige Superheldenkräfte zusagen würde, dann den beiden.

Noch immer schweigen alle. Nora verkneift sich ein Lachen, Jo sieht mich undurchdringlich an. Und dann steht Oma Paula auf.

»Wie kann es sein, Liebes«, sagt sie an Tante Pennie gewandt, »dass du dich zweimal schwängern lässt ohne einen Mann zu haben?«

Einfühlsamkeit ist scheinbar eine Tugend, die nicht in meiner Familie liegt. Aber es bricht das Eis. Diese Frage, die so gemein klingt, bringt den Raum zum Lachen und eigentlich kann der Geburtstag nicht besser werden – schlechter auch nicht, wenn wir es ganz genau sehen.

***

Stunden später wollen meine Mütter mit mir reden, was ich von mir weisen will. Auf meine mehrmaligen Behauptungen hin, dass es mir gut geht, ich nicht geschockt oder sauer bin, verlassen sie letztlich mein Zimmer, sodass Jo aus dem Schrank klettern kann.

»Du solltest ihn mal ausmisten«, sagt sie atemlos und lässt sich auf meinem Bett nieder. Sie ist viel gelassener, seitdem sie mit Josie gesprochen hat und ich finde es toll.

»Wen?«, frage ich unschuldig und lege mich zu ihr, vorsichtig und langsam. Sie hat keine Angst vor Berührungen oder dergleichen, ich will ihr nur nicht wehtun. Sie ist das größte Geschenk heute für mich. Geschenke macht man nicht kaputt.

»Deinen Kopf, zu viele Gedanken.« Sie küsst mich und bettet anschließend ihren Kopf auf meiner Brust. Ich will ihr sagen, dass sie wunderschön ist. Dass ich sie mal für einen Geist gehalten habe. Dass ich Angst davor habe, wie ich jetzt mit Tante Pennie umgehen soll und was jetzt aus meinem Geschwisterkind wird. Ob es überhaupt eines geben wird. Ich will Jo sagen, dass ich glücklich bin, dass sie die ersten Cupcakes abgelehnt hat, denn nur so konnte ich anfangen, sie wertzuschätzen. Nichts von alldem sage ich. Manche Dinge und Gedanken brauchen keine Worte, denn sie sind mächtiger ohne.

Jo musste nicht gesagt bekommen, dass sie für mich das erstaunlichste, schönste, echteste und sturste Mädchen für mich ist. Denn ich werde es ihr zeigen. Bei jeder Gelegenheit, die sich mir bietet. Denn sie wird immer meine Geister-Freundin bleiben.

Everyday at midnight {I look up to the stars}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt