Diese Schlüsselbeine. Diese verdammten Schlüsselbeine. Ich wünschte, sie würden nicht so zu sehen sein. Sie machen mich verrückt, wie sie da zu sehen sind, wenn du dich bewegst und das T-Shirt verrutscht. Ich wünschte, ich könnte jeden Zentimenter deiner Haut abküssen und mich an deinen Hals kuscheln, deinen warmen Puls unter meinen Lippen spüren.
Als wir uns kennenlernten betrat gerade der Frühling die Theaterbühne des Jahres und stellte sich vor. Er brachte Blumen, Neuanfang, Herzklopfen, grünes Gras, gelbe Rapsfelder, den Regen und dich. Luisa stellte uns vor und ich war sofort Feuer und Flamme. Deine blauen Augen, in denen das Leben tanzte und deine wundervollen Haare. Dein Lächeln, das strahlte wie tausend Sonnen und deine Stimme, sanft, leise. Wie ein Vogel, der nach langer Stummheit wieder sein Lied zwitschert. Deine Schlüsselbeine haben mich schon immer fasziniert. Wie sie hervorstehen, wie man etwas hineinlegen könnte, wie einen kostbaren Schatz. Ich fuhr mit meinen Fingern oft genug entlang und hinterließ brennende Spuren voller Leidenschaft und Liebe.
Der heiße Sommer brachte drückende Hitze, laue Abende, Grillenzirpen, trockenes Gras, Gewitter und brennende Leidenschaft. Ich weiß noch, wie wir am See lagen, abends. Und irgendwann hast du dich ausgezogen und bist komplett nackt in das Wasser gesprungen. Ich konnte es kaum erwarten, dir nachzulaufen. Es war so wundervoll, deine bloße Haut zu berühren und dir im Wasser so nah sein zu können. Deine braune Haut hob sich von meiner blassen Haut ab. Dein Duft umhüllte mich und du brachtest mich um den Verstand. Deine Lippen waren hart auf meine gepresst und verschlangen gierig meinen Atem. Ich strich mit meiner Hand über deinen Rücken und genoss jeden Zentimeter deiner Hülle.
Der Sommer neigte sich dem Ende zu, die Luft wurde wieder schwerer. Es wurde früher dunkel und die Theaterbühne des Jahres leerer. Der Wind fegte durch die Straßen, durch die Nacht. Er wirbelte Blätter auf und rüttelte an den Bäumen. Als könnte er dadurch dem Herbst schneller Einlass gewähren. Wir begrüßten den Herbst. Er brachte bunte Wälder, Nebel, Wind, warmes Licht und Melancholie. Die Sterne in deinen Augen haben mich in ihren Bann gezogen. Deine wunderschönen blonden Haare wickelten mich ein und umhüllten mich wie weiche Zuckerwatte. Die Küsse wurden vorsichtiger, seltener. Ich fuhr die Muster an deiner Haut entlang und hatte Angst vor dem Winter.
Es ist kalt, denn der jetzige Gast ist der Winter. Und er bringt uns dunkle Morgende, Schnee, kahle Äste, weiße Himmel, Erinnerungen und Abschied. Die Schneeflocken fallen auf deine blonden Wimpern und lösen sich auf in nichts. Du hältst meine Hand fest, als könntest du ohne mich in der kalten Luft ertrinken. Deine Augen singen mir ein Lied, aber ich kann es nicht hören. Unter unseren Füßen knirscht der Schnee.
Diese Schlüsselbeine. Diese verdammten Schlüsselbeine. Ich wünschte, sie würden nicht so zu sehen sein. Sie machen mich verrückt, wie sie da zu sehen sind, das T-Shirt verrutscht. Ich wünschte, ich könnte jeden Zentimenter deiner Haut abküssen und mich an deinen Hals kuscheln, deinen warmen Puls unter meinen Lippen spüren. Doch das geht nicht. Denn du hast keinen Puls mehr. Du bist tot.
Und ich habe dich umgebracht.
Ich wische das blutige Messer an deinem zerissenem Kleid ab und verlasse die Wohnung. Dein Herz, dein Herz habe ich bei mir. Ich habe es dir aus der Brust gerissen. So, wie du es mir aus der Brust gerissen hast. Nur mit dem Unterschied, dass du es nur metaphorisch tatest.
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Kurzgeschichten
KurzgeschichtenEin kunterbuntes Sammelsurium an Kurzgeschichten. Mal Tränen, mal Freude, mal Leben, mal Tod. Es ist für jeden etwas dabei. Tretet ein, macht es euch bequem. ...