Tödliche Blicke

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Alexander nahm meinen Arm als Stütze und hievte sich in den Beifahrersitz. Ich nahm hinten Platz und während der Fahrt wurde die angespannte Stimmung für jemanden, der kein Familienmitglied war unangenehm. Alle schwiegen für lange Zeit, bis Alexanders Mutter schließlich fragte, ob er denn aufgeregt sei. Er nickte bloß. Nach kurzem Überlegen sagte er:《Ich weiß nur nicht, welche Lüge ich ihm wegen des Rollstuhls auftischen will.》
《Warum willst du ihn anlügen Schatz?》
《Ich möchte kein Stressfaktor sein, falls es ihn interessieren sollte.》
《Aber Alex. Wie kannst du nur denken, dass es ihn nicht interessieren würde?》
《Jace ist in einer Klinik, Mum. Ich denke nicht, dass er sich sonderlich viele Gedanken um uns macht.》
Sie schwieg.
《Und Joe? Wie-》
《Josephine.》
《Alex. Bitte unterbrich mich nicht》, sagte seine Mutter in einem strengen Ton.
《Ihr Name ist aber Josephine.》
Ich mischte mich schnell ein:《Das ist doch egal. Alle nennen mich Joe.》
《Nein, es ist nicht egal! Nenn sie Josephine.》
Schwer schluckend lehnte ich mich zurürck und schwieg für den Rest der Fahrt, wie seine Mutter.

《Ein Kollege wird sie zum Besuchsraum bringen》, sagte die Mitarbeiterin lächelnd. Sie war klein, schmal gebaut und besonders hübsch. Ständig sah man ein Lächeln auf ihrem Gesicht und es war Paradox, wie jemand, der so rein schien, hier arbeitete.
Ich kaufte mir und Alexander einen Kaffee, der scheußlich schmeckte und nahm auf einen Stuhl neben ihm Platz. Sein Bruder würde jede Sekunde reinkommen und ich wunderte mich immer mehr wie ähnlich er Alexander sehen würde, oder ob sie sich überhaupt ähnlich sahen.
Die Tür wurde geöffnet und ein Mitarbeiter betrat den Raum. Die Tür blieb für wenige Sekunden offen, bis ein junger Mann sie schließlich betrat und ich wusste, nach einigen seiner Schritte schon, dass er -trotz des dunkelblonden Haares und der fast schwarzen Augen- Alexanders Bruder war. Es war die elegante Art wie er sich bewegte und der leichtfüßige Gang, der trotzdem männlich war. Das Gesicht war weiblicher als Alexanders, dank des starken natürlichen Rosa der Lippen. Es schien jedoch nicht unattraktiv.
Der Drogenkonsum und Entzug waren ihm jedoch deutlich ins Gesicht geschrieben. Tiefe Augenringe und ein blasser Hautton. Er war auch sehr dünn, was vor einigen Monaten nicht so war, wie ich durch Familienfotos erfahren hatte. Er war eine kaputte und blonde Version von Alexander.
Er ließ sich auf den Stuhl fallen und sah seine Mutter und seinen Bruder ausdruckslos an. Dann fiel sein Blick auf mich und so warm seine Augen von der Farbe sein mochten, ich erfrof innerlich. Sein Blick war tödlich. Erschreckend kalt und emotionsloser als Alexander wenn er tiefe Abneigung gegen jemanden verspürte. Und seit diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich niemals alleine mit Jace sein wollte.
《Also? Wie geht es dir?》, eröffnete Alexander das Gespräch und lehnte sich nach vorne.
《Besser als dir, wie es scheint.》
Dass diese Bemerkung an Alexanders Lähmung gerichtet war, brachte seinen Kiefer zum zucken.
《Ich habe dir eine gewöhnliche Frage gestellt.》
《Und ich habe normal geantwortet.》
Jace lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und sah seinen Bruder hasserfüllt an.
Alexander stöhnte auf und fragte genervt:《Du bist sauer auf mich, obwohl du es warst, der Drogen genommen hat?》
《Du hättest mich nicht verpfeifen müssen!》
Alexander legte die Hände auf den Tisch und wollte aufstehen, was ihm nicht gelang und ich sah wie er für einen kurzen Moment innerlich kaputt ging.
《Du...》 -Alexander knirschte mit den Zähnen-《Ich habe dir Zeit gegeben. Eine ganze Woche. Dann habe ich dich in der Gosse am dealen gesehen.》
Mürrisch knurrte Jace und blickte auf den Tisch. Ich sah ihre Mutter an und sie starrte verletzt auf den Tisch. Diese Situation war für jede Familie schwer, jedoch war das mit der Scheidung und Alexanders Behinderung zu viel.
《Ich möchte, dass du dich zusammenreißt und diesen Entzug machst oder-》
《Was willst du machen? Du bist doch gelähmt.》
Ehe Jace diesen Satz ausgesprochen hatte, wurde ihm bewusst mit welcher Härte er Alexander getroffen hatte. Es war ihm ins Gesicht geschrieben und seiner Mutter das entsetzen.
《Sei froh, dass meine Beine nicht mehr funktionieren, sonst hätte ich dir deine gebrochen.》
Jace schluckte schwer und stotterte ein ernst gemeintes:《Es tut mir Leid.》
《Halt den Mund!》
Alexander setzte sich aufrecht hin, so dass er eine unglaubliche Aura hatte, die einen einschüchterte.
《Ich werde dich nie wieder besuchen. Weder anrufen, noch sonst was. Mum und Dad sollen ruhig kommen. Auch Josephine, jedoch wirst du mich nie wieder sehen. Zumindest nicht, bis du dich änderst. Dann werde ich deine Entschuldigung ernst nehmen können, ob ich dir verzeihe ist jedoch etwas anderes.》
Damit drehte er den Rollstuhl und verließ ohne weiteres den Raum. Jace blickte ihm schockiert hinterher und hielt die Tränen zurück.
《I-ich möchte bitte in mein Zimmer.》
Seine Mutter stand auf und umarmte ihn, bevor sie mich umarmte und sich für das alles entschuldigte.
Es wurde an diesem Tag so viele Entschuldigungen ausgesprochen, jedoch war diese die erste, die mir ernst gemeint schien.

Elastic Heart {Sia}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt