1. Das Wiedersehen oder: Man sieht sich immer zwei Mal im Leben

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„Oh, ja hallo...", murmelte meine Freundin Tina, als ein Kunde in meine kleine Kneipe eintrat.

Wenn sie diese Tonlage einschaltete, hatte dies meist nur einen bestimmten Grund. Ohne aufzuschauen, wusste ich sofort, dass sie den Neuankömmling attraktiv, wenn nicht sogar sehr attraktiv, fand und ich mir gleich etwas anhören durfte.

Mit einem leisen Seufzen drehte ich mich und mir rutschte sofort das Herz in die Hose. Denn auf mich zu kam niemand geringerer als meine einmonatige Affäre von vor sechs Jahren und zudem der Vater meines Sohnes.

Allen Neal Jones, wie mein Unheil mit Namen hieß, hob ebenfalls seinen Kopf, erblickte und erkannte mich. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, offensichtlich hatte er nur gute Erinnerungen an mich.

Bei mir hingegen klingelten sämtliche Alarmglocken. Panisch überlegte ich, wo sich mein Sohn Ajay gerade befand, bis mir einfiel, dass er ja bei seinem Freund Rory war und dort spielte, während ich hier in der Kneipe arbeitete. Dann kam mir der Gedanke, dass Allen vielleicht wegen mir hier war und nun weiß Gott was vorhatte, doch dies verwarf ich nach einer Millisekunde wieder. Warum sollte er nach gut sechs Jahren noch was mit mir anfangen, mich geschweige denn erkennen sollen? Okay, er hatte mich ja anscheinend als die Frau erkannt, mit der er eine Affäre gehabt hatte, aber trotzdem.

Tina, die auf der anderen Seite des Tresens saß und sich auf diesen abgestützt hatte, unterzog den Ankömmling einer intensiven Musterung und drehte sich dann mit großen Augen zu mir um.

„Hey, der hat ja große Ähnlichkeiten mit ..."

Erschrocken unterbrach ich sie, indem ich ihr einen harten Schlag gegen den Oberarm gab und sie sich daraufhin schmollend die schmerzende Stelle rieb, aber wenigstens blieb sie ruhig.

Was man von Allen nicht behaupten konnte. Der Braunhaarige war nun bei uns angekommen und grinste mich lausbubenhaft an. Ich konnte seine Reihe gerader, weißer Zähne erkennen und musste zugeben, dass er immer noch gut aussah. Wenn nicht sogar besser.

„Sieh an, wer hätte gedacht, dass Toni Bradford noch hier in der Kneipe ihrer Eltern ist", begrüßte er mich und verwendete dabei meinen Spitznamen, als wäre er etwas Alltägliches.

Meine Augenbrauen zogen sich verärgert zusammen, doch innerlich war ich so nervös wie schon seit langem nicht mehr.

„Antonia", erwiderte ich kühl, „mein Name ist noch immer Antonia."

Unglücklicherweise mischte sich nun meine Freundin altklug mit ein. „Komm schon, du stellst dich jedem mit Toni vor. Also gehe ich davon aus, dass ihr euch kennt. Wie kommt's?" Ihre Augen hefteten sich bewusst neugierig auf Allen.

„Blitzmerker", knurrte ich leise, sagte jedoch sonst nichts weiter zu ihren Worten.

Das übernahm hingegen meine liebe Affäre: „Wir haben uns vor einigen Jahren kennen gelernt, als ich hier mal zur Rehabilitation war im Ort. Wie lange ist das genau her? Drei Jahre, vier..."

„Sechs", murmelte ich, „das waren sechs Jahre."

Er lachte leise. „Wow, das du dich daran noch so gut erinnern kannst."

Ich kniff meine Augen zusammen und hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschmettert, dass ich die Zeit der Entstehung meines Sohnes bis jetzt sehr gut im Gedächtnis habe. Doch ich wollte weder mir noch ihm das antun, und vielleicht würde er ja auch bald einfach wieder abhauen. Innerlich betete ich darum.

Nun war es wieder an Tina, sich einzumischen. „Verzeihung für die kleine Zwischenstörung, aber wie war dein Name noch gleich?", fragte sie Allen. Dieser hatte seinen Namen nicht genannt und das war ihr durchaus bewusst, aber so war meine Freundin.

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