Gute Karten - So spielt das Leben

13. Der Glaube oder: Gott schuf das Pferd aus dem Winde

„Warum genau bin ich nochmal hier?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Wispern.

„Weil Ajay und ich das gerne wollten." Auch Allen flüsterte nur.

„Und warum zum Teufel höre ich auf euch zwei Idioten?"

„Mama", mischte sich nun leise mein Sohn ein, „wir sind in einer Kirche. Nicht fluchen!"

„Entschuldigung." Wieder missmutig verstimmt ließ ich mich tiefer in die Kirchenbank sinken und versuchte, die neugierigen und empörten Blicke, die mir zugeworfen wurden, zu ignorieren.

Ich saß neben Ajay und Allen, die andächtig auf ihren Plätzen saßen und den Worten des Pastors lauschten. Ich wusste ja, dass Allen ein religiöser Mensch war und ich hatte es für völlig in Ordnung gehalten, dass er jeden Sonntag in die Kirche ging, doch gestern hatte er mich dazu gezwungen, heute hier neben ihm zu sitzen.

Eigentlich war ich ja gar nicht so sehr gegen die Kirche und gegen Religion, im Gegenteil, als Kind und Jugendliche hatte ich häufig mit meinen Eltern die Gottesdienste besucht, aber als ich dann mit zwanzig schwanger geworden war, kam das einem Ausstoß aus der Kirchengemeinde gleich. Zwar war ich noch immer Mitglied, denn wer austrat, war ebenfalls gebrandmarkt und konnte sich gleich nach einer neuen Wohngegend umschauen, doch mehr auch nicht. Dies war das erste Mal seit der Taufe von Ajay, dass ich wieder in einer kalten, muffigen Kirche saß, die zwar recht hübsch anzusehen war, aber mehr auch nicht.

Die Leute hatten nicht schlecht gestaunt, als ich mit Allen und unserem Sohn aufgekreuzt war, es hatte einiges an Getuschel gegeben, das jedoch schnell verflogen war. Offenbar wurde ich von der Kirchengemeinde wieder ein wenig mehr akzeptiert, trotz unehelichem Kind und einer wilden Beziehung mit einem Wrestler, der eigentlich nur zum Urlaub machen hier in Stoneville war. Dass Ajay das Produkt von Allen und mir war, wusste dank Tina nun auch fast die ganze Kleinstadt, da sie ihre Klappe wieder mal nicht hatte halten können, doch das störte mich recht herzlich.

Apropos Tina. Die saß selig beschwingt mit Jon eine Bank hinter uns und beide schauten erwartungsvoll nach vorne zum Pastor, der wohl gerade beim Höhepunkt seiner Predigt angekommen war. Ich hatte nicht gedacht, dass die beiden sich zu so einem Besuch überreden ließen, aber seit ihrer gemeinsamen Nacht vor zwei Wochen und der sofort darauf beginnenden Beziehung zwischen den beiden wunderte mich auch gar nichts mehr. Sie waren definitiv verliebt bis in die Haarwurzel in den jeweils anderen, hatten schon viel miteinander unternommen und mich zur Weißglut getrieben. Und das, obwohl Jon keinen Urlaub mehr hatte und schon wieder im Wrestlingring stand, er nutzte einfach jede freie Minute, um zu Tina zurückzukommen.

Die wiederum kam ihm da ganz entgegen, sie hatte ihre Praxis stark reduziert und wollte sie bald ganz aufgeben, um mit Jon reisen zu können. Das hatte ich zwar für ziemlich übertrieben empfunden, immerhin waren die beiden erst seit zwei Wochen zusammen, aber es steckte noch mehr dahinter. Die WWE hatte nämlich das physiologische Talent meiner Freundin entdeckt, sie zu einer kurzen Probearbeit eingeladen und ihr dann einen Job angeboten. Zwar war ich ziemlich niedergeschlagen, dass sie mich bald verlassen würde, andererseits freute ich mich total für sie und irgendwo beruhigte es mich auch, dass Jon bei ihr war. Er würde schon gut auf sie aufpassen.

Allens Ellenbogen landete in meiner Seite und ich kehrte von meinem Gedankengang wieder in die Gegenwart zurück.

„Was?!", fauchte ich etwas zu laut zurück und erntete daraufhin einige böse Blicke.

Der Braunhaarige antwortete jedoch nicht, sondern hob nur warnend eine Augenbraue und hob etwas die Hände, die er verschränkt hatte. Ach, jetzt war also das Beten dran. Brav verschränkte ich meine Hände, hörte dem Pastor schon nicht mehr zu und schaffte es trotzdem, zur rechten Zeit Amen zu sagen. War doch gar nicht so schwer.