„Sehe ich so anständig genug aus?", fragte Allen mich unsicher und besah sich ein weiteres Mal im Spiegel vor ihm.
Ich selbst legte mir gerade Ohrringe an und warf einen kurzen Blick auf ihn. „Ja, natürlich. Es sind nur meine Eltern, Honey, nicht die Inquisition."
„Angst habe ich trotzdem. Reichen normale Sneakers?"
Entnervt stöhnte ich auf und entgegnete: „Ja, natürlich zum zweiten Mal. Himmel, du bist zweiunddreißig Jahre alt und damit alt genug, um selbst deine Garderobe auszusuchen."
„Ist ja gut, Tiny", murrte er beleidigt und zog sich die Schuhe an, die er gerade in der Hand hielt.
Obwohl wir erst seit gut anderthalb Wochen verlobt waren, hatten sich ganz plötzlich solche Koseworte eingegliedert, als ob wir schon seit Jahren verheiratet waren. Vielleicht waren daran aber auch Tina und Jon Schuld, die sich momentan dauernd mit den schlimmsten Namen titulierten.
Die Neuigkeit von unserer Verlobung hatten wir natürlich gleich am nächsten Tag mit unseren Eltern geteilt, und sie wurde erstaunlich gut, wenn auch überrascht, aufgenommen. Gestern waren wir bei Allens Eltern gewesen zum Essen, die ich ja noch gar nicht gekannt hatte. Sie wussten zwar von Telefonaten mit ihrem Sohn, dass er Vater war und wir wieder zusammen waren, doch sie hatten mich nie persönlich gelesen. Glücklicherweise war alles gut gelaufen, seine Eltern hatten Ajay und mich gut aufgenommen und waren ganz vernarrt in ihren Enkel. Auch der freute sich, noch ein Paar Großeltern bekommen zu haben, was sich bei Weihnachten und Geburtstagen ja immer gut auswirkte.
Heute stand ein Besuch bei meinen Eltern an. Meine Mutter hatte versprochen, zum Mittagessen einen Hackbraten zu machen, während mein Vater mir wiederum versprochen hatte, seinen zukünftigen Schwiegersohn nett zu behandeln. Ich wusste ja, dass er immer nett war zu seinen Mitmenschen, aber auch er war halt nur ein Vater. Tina und Jon begleiteten uns übrigens, meine Freundin stand in einem mehr als guten Verhältnis zu meinen Eltern und war fast schon eine zweite Tochter für sie. Da ließ sie sich Einladungen zum Essen nicht entgehen, vor allem nicht, da sie dabei gleich ihren Ehemann präsentieren konnte. Ich war zwar anfangs etwas sauer gewesen, dass wir das nicht alleine klären konnten, aber vielleicht war es für Allen ja nicht schlecht, wenn sein bester Kumpel dabei war. Er war ja jetzt schon nervös genug.
Nachdem auch ich endlich fertig war, betrachtete ich meinen zukünftigen Ehemann noch einmal genauer. Er sah wirklich mehr wie ein liebender Familienvater als wie ein knallharter Wrestler aus, das konnte man anders nicht sagen. Zu einem schlichten Karo Hemd trug er eine anständige Jeans und seine Sneakers, die Haare ordentlich unter einer Mütze drapiert. Ja, so konnte man ihn mitnehmen. Ich selbst hatte mich auch nicht viel schicker gekleidet, dunkle Röhrenjeans, leichte Bluse, das musste reichen.
Allen bemerkte meinen musternden Blick und sah mich fragend an. „Alles ok?"
Lächelnd trat ich zu ihm und drückte ihm einen leichten Kuss auf die Wange. „Ja, alles okay. Ich habe nur gerade daran gedacht, dass ich verdammt viel Glück mit dir habe."
„Sehr schmeichelnd", meinte er lachend, „auch wenn ich das natürlich schon vorher wusste."
„Bah, das war jetzt arrogant."
„Ich habe dich auch lieb." Er wollte mich an sich ziehen und küssen, doch ich huschte rasch zur Seite.
„Nichts da", meinte ich gespielt streng, „das können wir uns nicht erlauben. Sonst kommen wir nie los."
„Aber..." Schmollend betrachtete Allen mich und ich lächelte angesichts dieses Hundeblicks.
„Nein, nicht jetzt. Erst müssen wir zu meinen Eltern, der Hackbraten wird sonst kalt."
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Gute Karten - So spielt das Leben
General FictionDas Leben von Toni, einer jungen Kneipenbesitzerin im kleinen Städtchen Stoneville, gerät aus allen Fugen, als sie eines Tages Allen wieder sieht. Mit diesem hatte sie vor vielen Jahren eine Affäre, aus der ihr kleiner Sohn Ajay entstanden ist, doch...