10. Die Fehler oder: Fear The Walking Dead

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„Doch, das war lecker“, murmelte ich zufrieden und schob den leeren Teller von mir. Nur mit Mühe konnte ich ein Rülpsen unterdrücken, so gut hatte es mir geschmeckt. Wenig damenhaft, aber wer scherte sich drum.
Meinen Tischpartnern schien es ebenfalls so ergangen zu sein, denn sie saßen satt und glücklich neben beziehungsweise gegenüber von mir und hatten bis auf den letzten Krümel alles leer gegessen.
„Wirklich göttlich“, murmelte Tina neben mir und ich lachte leise.
„Siehst du, dass hättest du verpasst, wenn du noch länger getrödelt hättest.“
„Nicht zu vergessen deine Auseinandersetzung mit Mr. Marley“, warf Allen mit einem Grinsen ein.
Abschätzend sah ich in die Runde und meinte: „Wie lange es wohl dauert, bis die Sache mit der Freundin die Runde macht?“
Jon sah Tina mit einem seltsamen Lächeln an. „Meinetwegen können wir das gerne testen. Wie wäre es mit einem Barbesuch heute Abend?“
„Klar, warum nicht?“ Die Augen meiner Freundin begannen zu leuchten und ich warf einen scharfen Blick zu Allen, der jedoch nur mit den Schultern zuckte.
„Seltsam“, bemerkte ich beiläufig, „dabei hast du doch eigentlich ein Date mit Norman Reedus…“
Dieser Kommentar verschaffte mir gleich zwei verwirrte und einen tödlichen Blick, letzterer natürlich von Tina.
„Was hat es denn damit auf sich?“, fragte Jon neugierig, aber dennoch mit einem Lächeln.
Tinas Blick ignorierend klärte ich ihn und Allen auf: „Der Grund, warum wir heute fast zu spät gekommen wären war der, dass sich meine liebe Freundin hier neben mir noch unbedingt zwei Folgen The Walking Dead reinziehen musste und nur schließlich mitgekommen ist, weil ich versprochen habe, weitere Folgen heute Abend mit ihr zu schauen. Glaub mir, Jon, die ist so verrückt nach dem, dass du das erst einmal toppen musst.“
„Challenge accepted“, erwiderte er mit einem breiten Grinsen und sah zu Tina, die leicht rot wurde und so aussah, als wenn sie mir gleich eine reinhauen würde. Deshalb rutschte ich auch unbewusst näher zu Allen, der das Ganze mit einem Schmunzeln verfolgte.
„Viel Glück“, murmelte ich nur.
Jon räusperte sich leicht. „Ach, ich glaube, wenn ich eine Frau wäre, würde ich auch nichts gegen ein Date mit Norman Reedus einzuwenden haben. Schlecht sieht der Junge ja nicht aus.“
Sichtlich schockiert sah ich ihn an und mir schossen gleich tausende von seltsamen und verwirrenden Gedanken durch den Kopf, die ich lieber nicht aussprach. Tina hingegen grinste nur breit und streckte mir die Zunge raus.
„Siehst du, ich habe Recht. Norman ist halt heiß.“
„Der Bursche sieht aus wie ein jahrelanger Obdachloser mit mindestens drei Kokslinien intus. So verpennt wie der immer aussieht“, widersprach ich heftig.
Nun mischte sich Allen ein. „Naja, so übertrieben würde ich es nicht ausdrücken…“
„Jetzt sag bloß, du stehst auch noch auf diesen Typen“, fauchte ich leise.
Er lachte ebenso leise. „Keine Panik, ich bin nicht schwul. Brauchst nicht gleich eifersüchtig werden.“
Gerade, als ich darauf eingehen und ihm meine Meinung klar machen wollte, meldete sich Ajay neugierig zu Wort: „Wer ist Norman Reedus, Mama?“
Ich warf Allen einen warnenden Blick zu, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen war, und wandte mich dann meinem Sohn zu: „Norman Reedus nennt sich der größte Fehler deiner Tante Tina. Ist ein bekannter Schauspieler einer Serie, die nichts für kleine Jungs ist.“
„Der größte Fehler?!“, mischte sich meine Freundin empört wieder ein.
Ajay lächelte ihr aufmunternd zu. „Keine Angst, Tante Tina, jeder macht mal Fehler. Das ist normal.“
„Hat deine Mutter ja auch gemacht“, brummte Allen leise vor sich hin, doch ich hörte ihn trotzdem.
Ich wusste nicht, ob ich ohnehin schon zu aufgewühlt war oder ob sein Kommentar gerade der alleinige Auslöser war, doch wortlos und mit wütendem Gesicht und Gefühl stand ich abrupt auf, schob den Stuhl zurück und rauschte davon.
Vergessen war das gute Essen, vergessen die bisher gute Atmosphäre zwischen uns, es zählten nur noch die Worte von Allen, der Vater meines Sohnes und momentan wohl mein größter Kritiker. Verstimmt verließ ich die Cafeteria des WWE-Centers, ich hörte noch meinen Namen rufen sowohl von Tina als auch vom Braunhaarigen, aber ich drehte mich nicht um. Ich wusste noch nicht einmal, was mein Ziel war, Hauptsache weg von hier. Vielleicht war die Toilette kein schlechter Ort, um wieder runterzukommen, allerdings hatte ich keinen Plan mehr, wo die waren. Ich und mein verdammter, nicht vorhandener Orientierungssinn.
Also nahm ich die einzige Möglichkeit, die sich mir auftat, wahr. Ich stiefelte vor die große Eingangstür des Performance-Centers, vorbei am misstrauisch dreinblickenden Mr. Marley, und ließ mich schwer atmend auf einen großen Stein nieder. Ziellos fuhren meine Hände meine Hosentaschen nach, fanden jedoch nicht meine alte Gewohnheit. Früher, vor sechs Jahren um genau zu sein, hatten sich dort noch meine sogenannten „Stress-Zigaretten“ befunden, die ich Situationen wie jetzt geraucht hatte. Aber das gehörte der Vergangenheit an, dennoch erwischte ich mich bei sowas immer noch dabei, sie zu suchen.
Ich hörte, wie sich die Eingangstür wieder öffnete, sah jedoch nicht hoch. Erst, als ich Allens vorsichtige Stimme hörte, blickte ich auf.
„Toni? Alles okay?“
Ich lachte verbittert auf. „Ist das dein Ernst?“, fragte ich leise und erhob mich. „Natürlich, mir geht’s super. Wie sollte es auch anders sein. Ich wurde ja gerade nur aufs Tiefste beleidigt, aber was macht das schon aus.“
Rasch wollte ich an ihm vorbeistürmen, da ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, doch mit einem festen Griff um meinen Oberarm hielt er mich zurück.
„Verdammt, jetzt hör mir doch mal zu!“
„Damit du mir noch mehr Fehler, die ich gemacht habe, aufzeigen kannst? Ich verzichte dankend!“ Freigegeben wurde ich trotzdem nicht.
Allen schob mich am Arm vor sich her und drückte mich dann mit sanfter Gewalt wieder auf den großen Stein, ehe er sich neben mich setzte. „Wir müssen reden. Ernsthaft, wie Erwachsene es eigentlich können sollten.“
„Hier?“, fragte ich schwach und blickte mich um. Viel los war hier nicht, aber das war immerhin der Haupteingang. Jederzeit konnte jemand hier vorbeischneien und Sachen hören, die nicht für die öffentlichen Ohren bestimmt waren.
Der Braunhaarige neben mir überlegte kurz. „Ist es okay, wenn wir ein Stück gehen? Hier in der Nähe befindet sich ein ruhiger Park, der extra für die WWE-Sportler angelegt worden ist. Da können wir ungestört reden.“
Nervös blickte ich zum Haupteingang. „Und was ist mit Ajay?“
„Tina und Jon passen auf ihn auf.“
„Na, das beruhigt mich ja ungemein“, murmelte ich, stand dann aber auf. „Okay, lass uns gehen.“
Der Park lag tatsächlich gar nicht mal so weit entfernt vom großen Gebäude, und wie er versprochen hatte, war niemand hier anzufinden. Aufforderung genug für uns, eine Bank unter einem großen Baum aufzusuchen und uns dort niederzulassen.
„Lass es mich gleich auf den Punkt bringen: So, wie es momentan ist, geht es zumindest für mich nicht weiter“, begann Allen und suchte Augenkontakt mit mir, dem ich nur schwer standhalten konnte. „Dir mag das alles ja nichts ausmachen - was ich allerdings bezweifle -, aber ich fürchte, wir müssen die Karten auf den Tisch legen.“
Es folgte eine kleine Pause, in der er mich abwartend ansah, doch da ich nicht reagierte, fuhr er fort: „Hör zu, Toni, es tut mir leid. Die Worte eben waren mit das Dümmste, was ich im Leben gesagt habe. Genau wie die Tatsache, dass ich dich damals habe sitzen lassen, ohne mich noch einmal zu melden.“
Perplex sah ich ihn an. „Was… Was willst du mir damit jetzt sagen?“ Meine Stimme zitterte ein wenig, doch ich schluckte die Aufregung mutig runter.
„Ich weiß es nicht“, entgegnete er vage. „Es ist alles so verwirrend. Bis vor zwei Wochen wusste ich noch nicht einmal von der Existenz meines Sohnes und in dieser kurzen Zeit habe ich so große Gefühle für ihn entwickelt, dass ich es kaum glauben kann. Und irgendwie gilt das gleiche auch für dich.“
„Du meinst, du liebst mich?“
Allen war hochrot angelaufen, während er nach passenden Worten suchte. „Naja… Ich weiß nicht, ob man da von großer Liebe sprechen kann, aber es ist einfach so viel passiert… Sagen wir einfach so, du bist mir nicht unwichtig und… Naja, vielleicht könnten wir es noch einmal versuchen? So ganz klischeehaft mit Dates und so weiter?“
Meine Antwort bestand aus einem leichten Lächeln, ehe ich stockend entgegnete: „Kann man sich die Dates nicht sparen? Immerhin sind wir ja schon im Bett gelandet.“
„War das also ein Ja?“ Seine Augen suchten gleichzeitig fragend und hoffnungsvoll die Lösung in meinen.
„Ja, aber unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“
„Ich möchte heute Nacht wieder mit dir im Bett landen, dieses Mal aber nüchtern.“
Seine Antwort bestand aus einem ausdauernden Kuss.

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