5. Das Gespräch oder: Pausen sind wichtiger als Worte

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„Soll ich Ajay zum Kindergarten bringen? Ich muss ja eh dort längs, um zur Praxis zu gelangen, da kann ich ihn gleich dort absetzen."

Meine Augen huschten zu Tina, von der dieser Vorschlag kam, dann weiter zur Uhr. Tatsache, etwas Zeit war noch. Zu spät würde er zwar kommen, aber wenn sie jetzt losfuhren, würde es noch nicht allzu schlimm werden.

„Gerne", erwiderte ich, „ich muss ihm nur noch eben ein Brot schmieren. Möchtest du einen Apfel mit haben, Ajay?"

„Nein, eine Banane."

Ich seufzte. „Die hattest du doch schon gestern und vorgestern. Ein wenig Abwechslung tut nicht schlecht."

Mein Sohn fing an zu schmollen. Und wenn er schmollte, wurde ich meistens ziemlich schwach in meinen Aufforderungen. Auch jetzt spürte ich, wie der Widerstand langsam, aber sicher, anfing, in mir zu bröckeln. Steinchen für Steinchen sank die Mauer, doch bevor sie gänzlich abgebaut war und Ajay seinen Willen bekam, schritt überraschenderweise der Vater ein, um eine erste pädagogische Tat walten zu lassen.

„Komm schon, Kumpel, Äpfel sind nicht schlechter als Bananen. Ich esse sie sogar lieber, da sie um einiges saftiger sind. Und sie halten schön fit."

Überrascht und gleichzeitig misstrauisch wanderten meine Augen zu Allen und ich nickte nur leicht, als er mir ein etwas entschuldigendes Lächeln zuwarf. Mein Sohn hingegen überlegte einige Sekunden lang, seufzte dann großzügig auf und nahm einen Apfel von der Küchenzeile. Mit leichter Anerkennung sah ich zu dem dunkelhaarigen Wrestler, dann kümmerte ich mich um das Schulbrot meines Sohnes.

Als das auch endlich geschafft war, räumte ich alles in den kleinen Rucksack meines Sohnes und ihm diesen auf den Rücken zog. Dann hockte ich mich vor ihm, nahm ihn fest in meine Arme und vergrub mein Gesicht in seinem dunklen Haar, welches er definitiv von seinem Vater geerbt hatte, denn ich selber war blond.

„Tut mir Leid, mein Kleiner, dass du das heute alles erfahren musstest. Ich habe dich lieb, ja?", flüsterte ich ihm leise zu.

„Ist okay, Mama", murmelte er zurück, „jetzt ist ja wenigstens alles geklärt."

Schön wär's fuhr es mir durch den Kopf, doch ich sprach es natürlich nicht aus.

„Also dann, viel Spaß heute!", antwortete ich stattdessen.

Ajay grinste. „Danke, Mama. Ich habe dich auch lieb." Dann zögerte er kurz, rannte zu Allen und umarmte diesen auch kurz. Beziehungsweise seine Beine, denn er war noch zu klein. „Tschüss, Papa."

Der Papa war ziemlich überrascht, legte jedoch kurz seine Hände um den kleinen Jungen und lächelte schief, wenn auch verwirrt. Irgendwie war das ja schon süß, wie hilflos er noch war, aber trotzdem fuhr mir ein kleiner Stich ins Herz. Moment mal, hatte ich gerade das Wort noch verwendet? Hatte ich innerlich etwa schon Zukunftspläne ausgearbeitet, um dieses Dilemma zu lösen? Die Wahrheit war einfach wie niederschmetternd. Ja, ich machte mir bereits Gedanken, ganz unterbewusst.

Die Tür hinter Tina und Ajay schloss sich, mit ihnen verschwand auch ein Teil meiner Hoffnung, dass alles entspannt von der Bühne gehen würde. Doch nun waren sie weg und ich fühlte mich von Sekunde zu Sekunde beklommener.

Mit einem unangenehmen Bauchgefühl drehte ich mich um und blickte in Allens gleichzeitig trauriges wie verärgertes Gesicht. Keine gute Kombination für ein ernstes Gespräch, aber das hatte ich sechs Jahre lang aufgeschoben ... Die Zeit war nun gekommen, ich musste da jetzt durch.

„Eine Frage habe ich, Toni", hörte ich auch schon die heisere Stimme von Allen. „Nur eine einzige, der Rest ist mir erst einmal egal."

„Und die wäre?", fragte ich mich schwacher Stimme.

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