26. Der Hamster oder: Frauen sollte man nicht reizen

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„Drei Tage noch?", murrte ich und vermutlich konnte man regelrecht aus meiner Stimme heraushören, dass ich kurz vorm Erbrechen stand. Sinnbildlich gesprochen, über die Zeit meiner nur geringfügig vorhandenen Morgenübelkeit war ich nämlich schon längst hinaus.

„Ja, drei Tage noch", bestätigte mir Allen mit einem Seufzen, denn das hatte er mir nun schon drei Mal gesagt und würde es vermutlich auch noch weitere drei Male sagen, weil ich immer wieder nachfragte und jedes Mal schlechter drauf war.

Mittlerweile war er ganze zweieinhalb Wochen nicht mehr zuhause gewesen, weil es logistisch einfach unmöglich umzusetzen gewesen war. Normalerweise hatte er kein Problem damit, auch zwischendurch mal zurück zu fliegen um wenigstens ein oder zwei Tage mit Ajay und mir zu verbringen, doch dieses Mal hatte dies überhaupt nicht geklappt. So hatte ich maximal mit ihm telefonieren oder wie jetzt über einen Videoanruf reden können. Und selbst diese Male waren so selten, dass ich mich jedes Mal hübsch zurecht gemacht hatte, um wenigstens ein bisschen Stimmung zu verbreiten.

Tatsächlich ging es mir mental momentan auch gar nicht so gut, wie man es sonst von mir kannte oder zumindest erwartete. Jason Steele war ein verdammt harter Fall und ich hätte wohl im „normalen" Zustand schon meine Probleme mit ihm gehabt, schwanger jedoch war meine Haut um einiges dünner als sonst und ich erwischte mich immer häufiger dabei, dass ich kurz davor stand, einfach loszuheulen. Ein sonst eher untypisches Verhalten, weil ich Tränen hasste, doch schon in meiner ersten Schwangerschaft war ich so nah am Wasser gebaut gewesen, dass Tina bereits über eine Umschulung zur Psychotherapeutin nachgedacht hatte, denn ihre Beruhigungstechniken und –gespräche mit mir hatten zu guten Ergebnissen geführt und dafür gesorgt, dass sie sogar ihre psychisch etwas schwierige Mutter besser verstanden hatte. Und das musste schon was heißen. Ihre Mutter hatte es zum Beispiel für völlig unproblematisch gehalten, ihre Tochter zu einem Kaffeetrinken mit dem Pfarrerssohn einzuladen – da war diese jedoch schon einige Zeit mit Jon zusammen gewesen. Zur allgemeinen Belustigung war sie trotzdem zu der Einladung erschienen, hatte sich mit Jack Daniels volllaufen lassen und war dann kurz davor gewesen, Telefonsex mit ihrem Liebsten zu beginnen. Zum Glück hatte in dem Moment die alte Telefonleitung ihrer Eltern den Geist aufgegeben.

„Toni, alles gut bei dir?"

Vor lauter Überraschung blinzelte ich und blickte wieder hoch in den Bildschirm, durch welchen Allen mich skeptisch musterte. Erst jetzt realisierte ich, dass ich während meiner Erinnerung gerade völlig still gewesen war und stattdessen nur stumm in mich hineingegrinst hatte, was bei meinem Gatten wohl ein mulmiges Gefühl ausgelöst haben musste. Kein Wunder, man bekam sicherlich schnell Panik, wenn die schwangere Ehefrau wie weggeschossen vor der Kamera hing und man selbst meilenweit entfernt war.

Beschwichtigend lächelte ich Allen deshalb an und nickte entschuldigend. „Ja, tut mir leid. Manchmal habe ich so Aussetzer, wo ich komplett in meine Gedankenwelt abdrifte. Und dort ist es so spannend, dass ich nicht sofort wieder zurückkomme."

„Lass mich raten", überlegte er laut. „In deiner Gedankenwelt hast du selbstverständlich eine ganze Wand voller Nacktbilder von mir, nicht zu vergessen von dem Schrank voll mit meinen Artikeln aus dem Fan-Shop und – ganz wichtig – den lebensgroßen Pappaufsteller mitten im Raum. Richtig?"

Ich blickte ihn abschätzend durch den Monitor an und runzelte nur kritisch meine Stirn. „Um ehrlich zu sein liegt dort von dir noch nicht einmal ein Passfoto in irgendeiner ranzigen Schublade", entgegnete ich frech und schürzte meine Lippen ein wenig. „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber von all den lustigen und schönen Erinnerungen nimmt Tina mal wieder den meisten Platz weg, dann kommt natürlich Ajay, gefolgt von den Hunden, den Pferden, meinen Eltern, andere Freunde... Und dann, ganz am Ende vielleicht, schaffe ich eine kleine Ecke für dein Passfoto. Solange es nicht zu groß ist."

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