Feind oder Freund

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„Adara, kommen Sie bitte kurz in mein Büro?" Überrascht lege ich den Bogen beiseite und folge dem Cheftrainer unserer Akademie. In seinem Büro werde ich von fünf weiteren Trainern angelächelt. Kate, eine relativ junge Trainerin, wippt mit ihrem Fuß. Warum ist sie denn so hibbelig? „Setzen Sie sich doch bitte." Joel, der Cheftrainer deutet auf einen Stuhl, der vor den Trainern steht. Ich folge seiner Aufforderung und versuche eine neutrale Miene zu wahren. „Adara, wie Sie wissen, ist morgen die alljährige Ernte." Ich nicke. Wie sollte ich dieses Ereignis auch vergessen?! „Wie jedes Jahr, haben wir zwei Schüler ausgewählt, die sich als Freiwillige melden sollten." Meine Handflächen werden feucht. Beunruhigt beiße ich auf die Innenseite meiner Wange. Auf meine Trainer muss ich noch immer ruhig und diszipliniert wirken. „Wir haben uns für Sie entschieden", verkündet Kate und schenkt mir ein strahlendes Lächeln. „Oh", ist das Erste, was mir dazu einfällt. Der unsympathischste Trainer in der Runde hebt arrogant grinsend die Augenbrauen. „Es tut mir leid, aber mir fehlen einfach die Worte", versuche ich meine Unsicherheit zu überspielen. „Sie können hervorragend mit Pfeil und Bogen umgehen. Sollten in der Arena Messer sein, stehen Ihre Überlebenschancen auch sehr gut." „Ich werde es mir überlegen." „Was gibt es denn da noch zu überlegen? Wenn Sie sich fürchten, sind Sie nicht die Richtige. Angsthasen wählen wir nämlich nicht aus." Wie ich diesen Trainer hasse! „Ich denke, Sie haben sich nicht falsch entschieden. Oder sehe ich aus wie ein Hase?", entgegne ich und sehe dem Trainer direkt in die schmalen Augen. Er presst die Lippen zusammen, erwidert aber nichts. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass sich Kate und ein weiterer Trainer das Lachen verkneifen müssen. „Ich sage nur noch nicht zu, weil ich vorerst abwägen muss, ob meine Schwächen im Umgang mit der Axt und der Armbrust nicht zu schwerwiegend sind." „Wenn Sie beim Training Ihr Können im Speerwerfen und Schwertkampf zeigen, werden Sie Verbündete finden. In der Einzelstunde können Sie Ihr wahres Talent preisgeben. Die Spielmacher werden dann schon dafür sorgen, dass auch für Sie Waffen in der Arena zur Verfügung stehen." „Während des Trainings müssen Sie noch Ihre Heilkenntnisse verbessern und das Fallenstellen trainieren. Im Zug können Sie bereits Krafttraining ausüben, damit Sie auch im Zweikampf ohne Waffen gute Chancen haben", weist mich ein anderer Trainer an. „Vielen Dank für Ihre Hilfe." Ich warte darauf, dass noch jemand etwas sagt. Da dies aber nicht der Fall zu sein scheint, verlasse ich den Raum.

Jetzt muss ich erstmal mit Samira reden. Was sie wohl davon hält, dass man ihre Schwester in die Arena schicken möchte? Ob sie stolz auf mich sein wird? Oder wird sie Angst um mich haben, obwohl sie meine Fähigkeiten kennt? Vorsichtig laufe ich den steinigen Weg entlang, der zu dem Haus von der Familie von Samiras Freund führt. Das ist im Dunkeln gar nicht so einfach! Samira ist in jeder freien Minute bei Kenneth. Ich frage mich, ob ich einen Jungen eines Tages genauso sehr lieben werde, wie meine Schwester es tut. Das kann doch nicht gesund sein, wenn man so abhängig von jemandem wird und nicht mehr klar denken kann. Natürlich hatte ich auch schon Freunde, aber das war nie etwas Ernstes. Meistens haben die Jungen nur meinen Eltern gefallen. Gerade will ich an Kenneths Haustür klopfen, als ein Schluchzen ertönt. Ich halte inne und lausche. Das Küchenfenster steht auf, weshalb es mir nicht besonders schwerfällt, die Beteiligten zu erkennen. „Du weißt, dass meine Familie nicht genug Geld hat. Ich habe mittlerweile mehr Tesserasteine, als ich zählen kann. Samira, die Wahrscheinlichkeit, dass ich gezogen werde, ist sowieso sehr hoch. Wenn ich mich freiwillig melde, kann ich vielleicht einem anderen Jungen und nicht nur meiner Familie das Leben retten." „Aber was ist, wenn du stirbst?" Ein mulmiges Gefühl breitet sich in mir aus, als ich die tränenerstickte Stimme meiner Schwester höre. „Sami, du weißt, dass ich keine Wahl habe." „Jeder Mensch hat eine Wahl!" „Ich nicht... Würdest du Adara und deine Eltern sterben lassen, auch wenn du sie retten könntest?", fragt Kenneth verzweifelt. Ich kann ihn verstehen. Für meine Familie würde ich auch alles tun. „Wir sehen uns morgen." Ich verstecke mich hinter einem kleinen Strauch. Das wäre gar nicht nötig gewesen, da Samiras Blick durch ihre Tränen verschleiert wird. In dem Moment, als ich ihre verquollenen Augen und wie sie die Arme um ihren Körper schlingt sehe, fasse ich einen Entschluss.
Zielstrebig betrete ich den Raum. Kenneth steht noch immer im Flur, die Hände vor den Augen verschränkt, so, als wolle er alles um sich herum vergessen. „Kenneth." Er zuckt zusammen. „Adara, was machst du denn hier?" „Ich muss mit dir reden." „Komm rein", entgegnet Kenneth unnötigerweise, da ich schließlich bereits in seinem Flur stehe. „Ich habe eben zufällig euer Gespräch mitbekommen." „Natürlich... Zufällig...", murmelt Kenneth vor sich hin. „Du kannst dich nicht freiwillig melden." Jetzt erst sieht Kenneth mich direkt an. In seinem Blick liegt etwas Undefinierbares, als würde er gerade darüber nachdenken, ob ich Feind oder Freund bin. „Ich muss es tun." „Du wirst Samira das Herz brechen. Denn ich werde mich auch freiwillig melden. Einer von uns beiden wird sterben. Das wird Samira nicht verkraften." Feind. Kenneth hat sich entschieden. „Das wirst du nicht tun." Kenneth hat mich noch nie so gehässig angefaucht. „Oh doch. Die Trainer der Akademie haben mich ausgewählt. Außerdem kann ich nicht zulassen, dass du in der Arena stirbst und Samira danach für immer an irgendwelchen Depressionen leidet." „Und wenn du stirbst, leidet sie nicht, oder was?" Damit hat Kenneth wahrscheinlich Recht. „Ich werde nicht sterben", entgegne so zuversichtlich und selbstbewusst ich nur kann. „Und weshalb bist du dir da so sicher?" „Die Trainer haben MICH ausgewählt. Ich bin talentiert und nicht auf den Kopf gefallen." Gerade will Kenneth etwas einwenden, doch ich lasse ihn nicht zu Wort kommen. „Du wirst ein Drittel meines Sieggeldes bekommen." Kenneth schluckt die ungesagten Worte herunter. „Das würdest du tun? Du würdest dein Leben für meine Familie opfern?" „Nein, aber für Samira."

Blut schmeckt salzig Rache ist süß Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt