„Komm mit." Als ich die Tür zu dem Zimmer des Mädchens öffne, lässt es nur flüchtig seinen Blick durch den luxuriösen Raum schweifen. „Ich bin Adara Grace", stellt es sich nun vor und sieht mich entschlossen an. „Setzen wir uns doch", fordere ich sie auf und lasse mich auf einen Stuhl in der Ecke des Raumes sinken. „Du hast dich also freiwillig gemeldet." „Ja, meine Trainer haben mich als Freiwillige unseres Distrikts ausgewählt." In ihrem Blick erkenne ich sofort, dass das nicht ihre einzige Motivation ist. „Du glaubst, dass du diese Spiele überleben kannst?" Adara scheint zu wissen, dass sie nun auf gar keinen Fall verneinen darf. „Natürlich", entgegnet sie mir. „Das ist gut", knurre ich und stehe auf. „Stell dich hin." An ihrer angespannten Körperhaltung erkenne ich Adaras unterdrückte Unsicherheit.
Plötzlich stürze ich nach vorne und packe das Mädchen an den Schultern. Ein leiser Schrei entfährt ihm, bevor es anders reagieren kann. Ich muss noch nicht einmal annähernd mein volles Kraftpotenzial aufwenden, um Adara durch den Raum zu schieben. „Aufgabe für die Zugfahrt: Trainier deine Muskeln. Du bist eindeutig zu schwach für eine Siegerin." Für einen Moment scheint das Mädchen verletzt zu sein, doch dann nickt es entschlossen. „Das hatte ich sowieso vor." „Du hast nicht viel Zeit für weiteren Muskelaufbau. Deshalb konzentrier dich auf deine Bein- und Armmuskulatur. Bauchmuskeln können zwar hübsch aussehen, nützen dir in der Arena aber nur begrenzt. Was sind deine Stärken?" „Ich kann sehr gut mit Pfeil und Bogen umgehen und Messer sind mir ebenfalls vertraut. Außerdem bin ich nicht auf den Kopf gefallen." An der Veränderung ihrer Stimme merke ich, dass Adara sich ihre Stärken öfter bewusst machen sollte. „Und wo liegen deine Schwächen?" „Abgesehen von meiner ausbaufähigen Muskulatur bereiten mir die Armbrust und die Axt Probleme." „Das habe ich mir schon fast gedacht. Eine Axt ist zu schwer für dich. Wie sieht es denn mit einem Speer oder Schwert aus?" „Ich denke, auch damit wäre ich in der Arena tödlich genug." Ich muss grinsen. Das ist die Antwort einer Kämpferin.
„So musst du während der Interviews sein. Die Schwache zu spielen ergibt bei dir keinen Sinn. Man sieht dir sofort an, dass du Potenzial hast." Stolz reckt Adara ihr Kinn ein wenig. „Du wirst während des Trainings nur mit dem Schwert oder mit Speeren trainieren. So wirst du Verbündete bekommen. Erst beim Einzeltraining zeigst du dein volles Potenzial." „In Ordnung. Dann werde ich nur heimlich meine Kraft trainieren, damit niemand diese Schwäche ausnutzen kann?" „Richtig. Auch wenn du denkst, dass du klug bist und vielleicht schon eine ganze Menge weißt, will ich, dass du dein Wissen beim Training erweiterst. Man weiß nie, was die Spielmacher in der Arena für Überraschungen versteckt haben." Eine feine Gänsehaut verrät das Unbehagen des Mädchens. „Hast du noch Fragen?" „Was ist das Schlimmste an den Hungerspielen?" Amüsiert antworte ich Adara: „Sie sind zu schnell wieder vorbei."
Lachend verlasse ich ihr Zimmer und suche nun den Jungen auf. „Copper Simmons", begrüßt er mich und steht hastig von seinem Bett auf. Mein Blick bleibt in seinem Gesicht hängen. „Du malst dir ernsthaft einen Schönheitsfleck auf?" „Das ist ein Muttermal", entgegnet Copper kühl. „Was kannst du mit deinen vierzehn Jahren denn schon?" „Wollen Sie damit sagen, dass ich gegen Adara geringere Chancen hätte?" Wutentbrannt macht der Junge einen Schritt auf mich zu. Schnaubend holt er aus. „Das würde ich mir an deiner Stelle noch einmal überlegen", rede ich auf den Jungen ein. Er ist mir bei weitem nicht so sympathisch, wie Adara. Ganz langsam lässt Copper seinen Arm sinken. „Ich bin stark und kann gut logisch denken." Ich schnaube verächtlich. „Außerdem kann ich gut mit dem Schwert und der Axt umgehen." Er würde Adara sehr gut ergänzen... „Lass mich raten; deine Schwächen sind die eigene Gefühlskontrolle?" „Ja", gibt Copper mit zusammengebissenen Zähnen zu. „Außerdem sind alle Waffen, mit denen man zielen muss, nicht mein Ding." „Wie sieht es mit Ängsten aus?" „Wasser."
Energisch packe ich den Jungen am Arm. „Was wollen Sie von mir?" Ich reagiere nicht auf den Protest von Copper und schleife ihn durch den Zug. Im Speisewagon plätschert ein Springbrunnen vor sich hin. Er ist vermutlich einen Meter tief. Als Copper mein Ziel erkennt, stemmt er panisch die Füße gegen meine Laufrichtung. Entschlossen hebe ich den Tribut hoch und laufe auf das Wasser zu. Dann packe ich Coppers Kopf und halte ihn unter Wasser. Zehn, neun, acht... In Gedanken zähle ich die Sekunden und lasse nicht nach, auch wenn sich um den Körper des Jungen lauter Luftblässchen an der Wasseroberfläche bilden. Drei, zwei... Prustend taucht Copper auf. „Was sollte der Mist?", brüllt er mich an. „Du musst deine Angst vor Gewässern noch vor deiner Zeit in der Arena überwinden", herrsche ich ihn an. „Und das soll funktionieren, indem Sie mir das Gefühl geben, zu ertrinken?" „Hättest du dir bewusst gemacht, dass ich mich strafbar mache, wenn ich den Tribut meines Distrikts töte, wäre es nur halb so schlimm gewesen. Du musst auch in Situationen der Angst dein logisches Denken einsetzen, Junge!" Durchnässt trottet Copper in sein Zimmer, wobei er Pfützen im halben Zug hinterlässt.
„Welche Strategie schlägst du vor?", frage ich Copper, nachdem ich seine Zimmertür hinter mir geschlossen habe. „Ich könnte den Schwachen spielen." „Glaubst du, dass du deine Gefühle dafür genug kontrollieren könntest?" Copper streift sich ein neues Shirt über. „Ja." „Gut. Aber übertreib es nicht. Du brauchst Verbündete." Noch bevor Copper erneut einem Gefühlsausbruch verfallen kann, fahre ich fort. „Die Karrieros kommen bei deiner Strategie eher nicht infrage." „Mit denen will ich nichts zu tun haben", murmelt Copper leise. „Such dir jemanden, der gut auf Distanz kämpfen kann; jemanden, der gut mit Zielwaffen umgeht." Copper nickt. „Wir sehen uns beim Abendessen." Nun wirkt der Blick des Jungen wieder desinteressiert. Genervt verlasse ich sein Zimmer und begebe mich in den Trainingsraum. Ich muss erstmal eine Runde boxen, damit mich dieser nervige Wicht nicht mehr aufregt. Manche Tribute vergessen wohl, dass sie einen Sieger vor sich stehen haben!
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Blut schmeckt salzig Rache ist süß
ActionHaymitch Abernathy hat bei den 50. Hungerspielen das Kraftfeld genutzt, um seine letzte Gegnerin zu töten. Doch die Eltern des Mädchens sind von dieser unfairen Aktion gar nicht begeistert. Deshalb verspricht Präsident Snow dem Vater, der in diesem...