Eve Allison Shepherd
„Ich will spielen!" Sofort stehe ich senkrecht im Bett, als der markerschütternde Schrei den halben Zug aufweckt. Wie gerädert schlage ich meine Decke zurück und tapse ins Badezimmer. Noch immer von einem Halbschlaf umwoben taste ich nach dem Lichtschalter. Ich kann ein Seufzen nicht unterdrücken, als ich mein Spiegelbild erblicke. Die alltäglichen Albträume haben mir auch in dieser Nacht hässliche, lila Ringe unter die Augen gemalt. Ich spritze mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, um endgültig wach zu werden.Danach widme ich mich der restlichen Hygiene, putze meine Zähne und hole schließlich etwas Make up und andere Schminkutensilien hervor. Normalerweise Schminke ich mich nicht. Schminke ist in unserem Distrikt nur schwer zu bekommen und außerdem reine Geldverschwendung. Doch hier im Zug steht sie nun mal bereit. Wenn ich meine Augenringe kaschieren kann, wirke ich automatisch stärker, was mir für die Hungerspiele von Vorteil sein wird. Zögernd stehe ich vor dem Kleiderschrank und wähle schließlich eine lockere, kaminrote Hose und eine hübsche, weiße Bluse aus. Schnell drehe ich meine braunen Haare ein und binde sie zu einem Dutt, damit mir die lästigen Strähnchen nicht im Weg sind, wenn ich diesen Tag bestehe.
Nun bereits wesentlich wacher, verlasse ich mein Zimmer und mache mich auf die Suche nach dem Ursprung des Schreis, der mich heute Morgen eindeutig zu früh aus meiner Traumwelt entführt hat. Ohne dass ich großartig darüber nachdenke, schlage ich den Weg in unser Gemeinschaftsabteil ein. Ich bleibe abrupt stehen, als mein Blick auf meinen Mittribut fällt. Mühevoll muss ich mich daran hindern, mein Gesicht zu einer entrüsteten Grimasse zu verziehen. Da liegt er, Bilius. Seine Oberschenkel lehnt er gegen die Rückenlehne, so dass seine Waden in der Luft baumeln. Kopfüber sieht mich mein Mittribut aus zusammengekniffenen Augen an. Doch es ist nicht die Röte, welche dem Jungen langsam zu Kopf steigt, die mich verharren lässt. Es ist das geknautschte Gesicht, an das ich mich einfach nicht gewöhnen kann. Die Nase des Jungen ist schief. Ich würde vermuten, dass es mit einem schlechtverheiltem Bruch zusammenhängt. Die Mundpartie von Bilius ist ebenfalls schief. „Ich will spielen! Warum kommst du jetzt erst du dummes Ding?!", keift Bilius mich plötzlich an und rollt sich ungeschickt vom Sofa. Mit einem dumpfen Geräusch fällt er wie ein nasser Sack zu Boden.
„Au! Ich habe mir den Kopf gestoßen", beginnt er zu weinen. In diesem Moment erinnert er mich an Talon, den Wilderen meiner kleinen Brüder. Eines Tages ist Talon auf einen noch sehr jungen Baum geklettert, was dazu führte, dass die zu dünnen Äste unter ihm wegbrachen. Zum Glück ist er damals nicht tief gefallen und hat sich nur das Knie aufgeschürft. Damals hat er nach mir gerufen und ich musste auf seine Wunde pusten und die Tränen aus seinem Gesicht wischen. Danach konnte Talon sofort wieder lachen und nahm mir das Versprechen ab, niemandem von seinem kleinen Ausrutscher und den Tränen zu erzählen.
All das geht mir durch den Kopf, als ich Bilius so vor mir sehe, mit dem überdimensional großen Kopf und den Tränen in dem hässlichen Gesicht. Mein Beschützerinstinkt ergreift die Macht über mich, weshalb ich nicht anders kann und mich vor Bilius niederknie. Langsam strecke ich meine Hand nach Bilius aus und lege sie ihm sanft auf die Schulter. Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass Bilius wie ein unberechenbarer Hund ist- im einen Moment noch lieb und verspielt und im anderen Moment zähnefletschend und gefährlich. Sobald ich Bilius berühre, stellt er das Wimmern ein. Stattdessen sieht er mich mit seinen schlammgrünen Augen an. Augenblicklich wird sein Atem langsamer, ruhiger. „Tut es noch sehr weh?", frage ich leise. Bilius schüttelt langsam den Kopf. „Ich heiße Eve, weißt du das?" Etwas an Bilius Auftreten vermittelt mir den Eindruck, dass Bilius anders ist, als Kinder in seinem Alter... „Nenn mich Billy", fordert mich Bilius auf. „In Ordnung, Billy." Ich will meine Hand wieder zurückziehen.Plötzlich schießt Billys riesige Hand hervor und packt meine Hand. „Du zerquetscht meine Finger." Ich kann einen leicht wimmernden Unterton nicht unterdrücken. Der Kleine hat nämlich erstaunlich kräftige Hände. Bestimmt führt Billy meine Hand zurück auf seine Schulter. „Nicht loslassen!" weist er mich an. Fassungslos starre ich ihn an. Als könnte mir ein gestörter Zwölfjähriger sagen, wo es langgeht! „Lass die Finger von mir", weise ich Billy an. Das herrische Funkeln in seinen Augen jagt mir einen Schauer über den Rücken. Billy schüttelt entschlossen den Kopf. „Du sollst mich loslassen!" Normalerweise schreie ich nicht oft herum, aber Billys Verhalten jagt mir Angst ein.
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Blut schmeckt salzig Rache ist süß
ActionHaymitch Abernathy hat bei den 50. Hungerspielen das Kraftfeld genutzt, um seine letzte Gegnerin zu töten. Doch die Eltern des Mädchens sind von dieser unfairen Aktion gar nicht begeistert. Deshalb verspricht Präsident Snow dem Vater, der in diesem...