Ein Geräusch, und Nacht im Bunker

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Ein metallisches Geräusch weckt Leonie. Sie öffnet die Augen und sieht einen sich bewegenden Lichtschein auf der Zellenwand vor sich.

„Leonie!" Ein Flüstern. 

Sie blickt zur Zellentüre und sieht, wie diese sich öffnet. Ein Licht blendet sie. Eine Taschenlampe?

„Komm!"

Sie richtet sich auf und erkennt eine Gestalt in der Türe. Langes Haar.

„Anna?", fragt Leonie.

„Ja. Sei still und komm!"

Anna wendet sich zum Gehen um. Leonie zögert. Rettung, oder noch eine Falle? Aber wozu noch eine Falle? Sie blickt sich um und ergreift ihre Jacke und ihre Schuhe, welche sie am Abend neben die Pritsche gelegt hat.

„Beeil dich!", drängt Anna, zurückblickend. „Ich bring dich hier raus. Die anderen schlafen alle."

Anna eilt los, und Leonie folgt ihr durch die Gänge des Bunkers. Sie gehen schnell und wortlos. Alles ist still und dunkel, nur einige Notleuchten ergänzen das unruhige Licht der Taschenlampe, welches Geister in jeder Ecke erahnen lässt.

Sie betreten einen Korridor, und Anna biegt nach links ab. Da hört Leonie ein Geräusch von rechts.

„Hey!" Eine Männerstimme. Sie bleiben stehen. Eine Gestalt tritt aus der Dunkelheit.

Anna richtet ihre Lampe auf sein Gesicht. Leonie erkennt den Mann mit dem Lockenkopf, den sie schon mehrmals mit Anna gesehen hat. Er hält sich die Hand vor seine Augen, geblendet. Anna senkt die Lampe.

„Was...", beginnter, dann sieht er Leonie.

„Sei still", flüstert Anna, „ich bring sie hier raus." Anna weist mit der Lampe auf Leonie. „Geh zurück ins Quartier. Ich komme, sobald sie draussen ist."

„Aber...", macht er nochmals einen Versuch, einen vollständigen Satz zu bilden. Er mustert Leonie. Sein Mund wird zu einer dünnen, missbilligenden Linie. „Sie kommt von draussen." Dann schaut er wieder Anna an. "Und Jan wird ausrasten."

„Vielleicht", flüstert Anna. „Aber wenn sie nicht abhaut, wird er sie chippen. Jetzt verschwinde!"

„Ich komme mit!", flüstert er zurück.

„Nein. Ich brauch dich nicht. Ich bin gleich zurück." Sie zögert und blickt ihn flehend an. „Bitte!"

„OK, aber mach schnell ...und gib acht."

„Komm", sagt Anna zu Leonie und geht weiter. Leonie folgt ihr. Ein Blick zurück zeigt ihr, dass der Mann immer noch im Gang steht und ihnen besorgt und mit zweifelndem Blick nachschaut.

Bald erreichen sie den grossen Raum mit den Tischen. Auch hier brennt nur die Notbeleuchtung, doch selbst im schwachen Licht ist zu erkennen, dass die Möbel alt und abgenutzt sind. 

Sie durchqueren ihn und erreichen den Korridor an der gegenüberliegenden Seite, der zur Treppe nach oben führt. Als sie den Fuss der Treppe erreichen, hört Leonie Stimmen hinter sich. Sie blickt zurück und sieht, wie im grossen Raum das Licht angeht.

„Mach schnell", raunt Anna ihr zu, die Augen weit aufgerissen. Zusammen beginnen sie, mit möglichst leisen Schritten die Treppe hochzugehen.

Als sie die oberste Stufe erreichen, bleiben sie einen Moment stehen und horchen. Annas Atem geht keuchend, sonst hören sie nichts. Da geht auch im Treppenhaus das Licht an.

„Weg hier!", sagt Leonie und geht voraus. Sie kann sich an den Raum vor ihr erinnern, durchquert ihn und erreicht den breiten Tunnel, der schräg nach oben Richtung Ausgang führt. Sie beginnen zu rennen.

Der Tunnel ist länger als in Leonies Erinnerung, aber schliesslich erreichen sie die grosse Halle, in der die Fahrzeuge stehen. Aus dem Tunnel dringen die schwachen Echos von Stimmen an Leonies Ohren, aber sie vermag nicht zu sagen, ob sie näher kommen. 

Anna geht zum Tor, das nach draussen führt, und beginnt mit zitternden Händen einen Mechnaismus an der daneben liegenden Wand zu betätigen. Sie dreht an einem Rad, und Leonie hört, wie sich ein Verschluss entriegelt.

Anna dreht weiter am Rad. Der Türflügel bewegt sich langsam, und von draussen dringt frische Nachtluft herein. Leonie atmet das Versprechen von Freiheit, das sie mitbringt, begierig ein und bemerkt erst jetzt,wie abgestanden die Atmosphäre des Bunkers ist.

„Versteck dich hinter den Fahrzeugen", sagt Leonie. „Von hier kann ich alleine weitergehen."

Anna blickt sie an. „Viel Glück."

„Dir auch. Unddanke!"

Anna legt Leonie die Hand auf den Arm. „Mach's gut!"

Da geht das Licht an. „Anna, halt!" Eine Männerstimme.

Leonie und Anna drehen sich um und erblicken Jan und den kleinen Mann mit Bart, Robert, die aus dem Tunnel in die Halle treten.

Welt der RuinenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt