Rauch und eine Nachricht

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Anna hat recht. Die Drohne fliegt in die Richtung ihres Camps.

Sie rennen ihr nach. Leonie bemerkt, dass Anna nicht mit ihr Schritt halten kann, und reduziert ihre Geschwindigkeit. Sie will ihre Freundin nicht zurücklassen.

„Glaubst du, dass Jan weiss, wo unser Camp ist?", fragt Anna.

„Keine Ahnung", antwortet Leonie. „Ich weiss nicht, wie empfindlich die Infrarotsensoren der Drohne sind."

„Infrarotsensoren?", fragt Anna.

„Interrot", sagt Leonie, die nicht in der Stimmung für eine Physiklektion ist.

Dann fragt sie sich, ob Anna den Ärger in ihrer Stimme gehört hat, und beginnt im Kopf eine Entschuldigung zu formulieren, als sie das Geräusch einer Explosion hört.

Leonies Herz bleibt stehen.

„Scheisse", ruft sie, und beginnt wieder zu rennen.


Als sie zwischen den Bäumen vor sich Rauch aufsteigen sieht, hält sie an und wartet auf Anna. Sekunden später steht sie an ihrer Seite, schwer atmend.

Zusammen gehen sie weiter, und das Industriegebäude, wo sie ihr Lager aufgeschlagen haben, kommt in Sicht. Davor ist im Boden ein rauchender Krater aufgerissen und die angrenzende Wand ist schwarz und hat Risse. Ein beissender Gestank hängt in der Luft.

Die Drohne hängt immer noch über der Stelle der Explosion.

Leonie ist versucht, direkt auf das Gebäude zuzulaufen, um nach Klaus und Rosie zu schauen. Sie hält sich aber zurück. Jan weiss nicht, wie viele sie sind, und er darf sie nicht sehen.

„Komm", sagt sie zu Anna, und führt sie nach links, weg von der Drohne.

Schweigend machen sie einen Halbkreis um das Gebäude. Schliesslich nähern sie sich ihm von der Rückseite. Sie finden ein leeres Fenster und steigen ein.

„Klaus, Rosie!", ruft Leonie.

Die einzige Antwort ist das schwache Surren der Drohne von der anderen Seite.

Sie durchqueren einen Raum und erreichen einen Korridor dahinter.

„Hallo! Klaus, Rosie?", ruft sie nochmals.

„Leonie?" Sie hört Klaus' angespannte Stimme, irgendwo vor ihr.

Sie suchen sich den Weg durch Schutt und Trümmer und erreichen den Raum auf der Vorderseite, wo sie ihr Gepäck deponiert haben. Rosie liegt auf dem Boden, Klaus kauert neben ihr. Ihr Gesicht ist von Blut überströmt.

„Was ist passiert?", fragt Leonie und kniet nieder, um Rosie genauer anzuschauen.

Rosie greift nach Leonies Hand. „Leonie!"

„Wir waren draussen", sagt Klaus, „am oberen Ende des Gebäudes. Plötzlich hörten wir die Drohne, und sie erschien über den Baumwipfeln. Ich glaube, sie hat die Wärme unseres Feuers detektiert." Er legt eine zitternde Hand auf Rosies Bauch. „Du ... du hast ja gesagt, dass sie mit einer Bombe bewaffnet ist. Wir rannten deshalb sofort rein. Sie hat wohl etwa gleichzeitig das Ding abgeworfen. Die Bombe explodierte, kaum als wir drin waren. Rosie ist hingefallen. Ich glaub, sie hat sich am Kopf gestossen."

Leonie ignoriert sein Geplapper und untersucht Rosies Verletzungen. Ein langer Schnitt am Haaransatz blutet stark aber er scheint ihr nicht tief zu sein. „Hat es dich noch anderswo erwischt?"

„Nein, ich glaube, das ist alles", antwortet Rosie. „Aber es tut weh."

„Lass mich mal schauen", sagt Klaus. Er beginnt, Rosie zu untersuchen.

Der Lärm der Drohne vom Fenster links von Leonie wird lauter.

Sie steht auf und blickt sich um. Die Armbrust ist an eine Wand gelehnt. Sie ergreift sie. Ihre Hände zittern, als sie sie spannt, und der Draht schneidet in ihre Finger, aber sie hat keine Zeit, um zuerst ein Tuch zu suchen. Sie schafft es, den Draht in die Kerbe einzuführen, und dann legt sie einen Bolzen ein. Ihre Finger sind glitschig von Blut. Rosies Blut, und ihr eigenes.

Sie nähert sich dem Fenster.

Langsam, wie ein Raubtier, das sich einer wehrlosen Beute nähert, sinkt die Drohne tiefer und beschreibt ihre seltsamen, suchenden Kreise. Leonie legt die Armbrust in das zerbrochene Fenster und zielt.

Sie hält die Luft an und zieht den Auslöser.

Der Schaft der Waffe schlägt gegen ihre Schulter und der Bolzen zischt davon. Er verfehlt die Drohne um einen halben Meter.

Sie spannt den Draht der Armbrust nochmals und versucht, ihre Finger dieses Mal mit ihren Ärmeln zu schützen. Als sie es schliesslich schafft, das Ding zu spannen, zerreisst der Draht mit einem metallischen Geräusch.

Sie beisst die Zähne zusammen. „Wo ist der Ersatzdraht?", zischt sie.

„Warte", antwortet Klaus und steht auf. Rosie ist jetzt an die Wand gelehnt und Anna hält ihre Hand.

Der Lärm wird lauter. Leonie blickt raus und sieht, wie die Drohne vor dem Fenster schwebt, das Kameraauge auf sie gerichtet. Sie packt ein Trümmerstück und wirft. Sie verfehlt. Das Gerät zieht sich ein paar Meter zurück. Dann macht es eine seltsame Kippbewegung nach links, danach nach rechts, als wenn es mit seinen nicht vorhandenen Flügeln winken wollte. Wie wenn es sich über Leonie lustig machen wollte.

Klaus ist mit der Armbrust und dem Ersatzdraht beschäftigt, aber Leonie ist das egal. All ihre Aufmerksamkeit, ihre Wut und ihr Hass sind auf die Drohne draussen fokussiert. Sie geht zur Türe und verlässt das Gebäude. Die Maschine schwebt etwa fünf Meter entfernt von ihr in der Luft. Ein Steinwurf, aber ihre Hände sind leer. Das ist für sie in Ordnung, weil sie nicht hier ist, um das Ding zu zerstören, nicht jetzt. Sie ist hier, um eine Nachricht zu hinterlassen.

Sie nähert sich der Drohne und sieht ihr Bild in der Linse reflektiert.

Sie hebt ihre Faust, die Knöchel der Kamera zugewandt. Dann streckt sie den Mittelfinger.

Welt der RuinenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt