Gedankenverloren

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Als sie Zuhause ankam beschloss sie nach draußen Spazieren zu gehen. Ihre kleinen Geschwister waren noch nicht zurück aus der Schule und sie brauchte etwas Zeit für sich.

Zum Nachdenken. Denn das tat sie oft.

Sie legte ihre Sachen ab, setzte  ihre Kopfhörer auf und machte sich auf den Weg zu ihrem Lieblingsplatz. Es war ein kleiner unscheinbarer See auf einer Lichtung im Wald, wo sie oft hin ging um ihre Ruhe zu haben.

Als sie ankam setzte sie sich an das Ufer des Sees und betrachtet die glitzernde Oberfläche, in der sich das Sonnenlicht brach.

Sie dachte nach. Über das Leben, die Freiheit und die Liebe. Tief in Gedanken versunken fing sie an ihr Lieblingslied leise mit zu singen. Es hieß „You know what?" von Madeline Juno.

Es ist eines ihrer Lieblingslieder, weil es sich damit beschäftigt, dass nicht alles für immer ist. Nicht alles ist für immer und man hat nur eine gewisse Zeit lang mit einander bevor man sich wieder trennen und jeder seinen eigenen Weg gehen muss.

Noch so ein Thema worüber sie oft nachdachte.

Plötzlich schreckte sie auf, da sie ein Geräusch gehört hat. Sie stand auf, drehte sich um und sah in die schönsten Augen, die sie je gesehen hat.

Sie hatten die Farbe des Sees hinter ihr, den sie so liebte. Seine Augen waren hellblau gemischt mit etwas türkis. In ihnen funkelten kleine goldene und silberne Sprenkeln. Sie versuchte weg zu sehen und sich auf etwas anderes zu konzentrieren, weil diese Augen sie etwas verwirrte. Doch sie kam einfach nicht von ihnen los. Sein Blick verhackte sich in ihren, sie verlor sich in ihnen und dann wurde ihr schlagartig etwas klar.

Sie hatte sich in diese Augen, diesen Jungen verliebt.

Früher dachte sie immer so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gab es nicht. Alles Quatsch. Nur irgendwelche Märchen,die eh nie in Erfüllung gingen.

Doch da war sie. Die Liebe auf den ersten Blick. Und sie hatte total und vollkommen von ihr Besitz ergriffen.

Plötzlich räusperte er sich. „ Du hast eine wundervolle Stimme."

Seine raue, etwas kratzige Stimme ging ihr bis ins Herz, welches nun einen Schlag aussetze und dann doppelt so schnell schlug wie vorher.

„Dankeschön", antwortete sie leise und etwas atemlos und wurde rot.

Solche Komplimente war sie nicht gewohnt. Eigentlich sang sie auch nur wenn sie alleine und niemand in der Nähe war.

„Was machst du hier?", fragte er genau so leise zurück.

„Nachdenken", sagte sie und blickte wieder über das Wasser, welches sich durch einen leichten Windzug etwas kräuselte.

„Worüber?", fragte er leise und etwas besorgt.

Sie drehte sich um und sah ihm wieder in die Augen. „Das Leben."

„Warum denkst du über das Leben nach?" Mein Gott war er neugierig. Doch sie antwortete, da sie sich sicher war ihm vertrauen zu können. Obwohl er ein fremder Junge war, den sie nicht kannte.

„Weil.... es so kompliziert ist und es mir schon so oft... wie soll ich das sagen.. verletzt und erniedrigt hat. Es ist voller Probleme und ich weiß nicht bei welchem ich anfangen soll. Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich meine ich hatte einen Plan... Ich hatte einen Plan und jetzt hab ich keinen mehr!"

Ihre Stimme bebte etwas und sie konnte nichts dagegen tun. Langsam sammelten sich Tränen in ihren Augen. Aber sie wollte nicht weinen. Nicht jetzt. Nicht hier.

Langsam löste sich doch eine Träne aus ihren Augen und lief ihre Wange hinunter.

Der fremde Junge ging auf sie zu, legte seine großen, warmen Hände an ihre Wangen und strich behutsam die Tränen weg, welche nun unausweichlich flossen.

„Alles wird wieder gut werden, okay? Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber irgendwann.", sagte er mit sanfter Stimme zu ihre und sah ihr in die Augen.

„Aber... warum bist du dir da so sicher? Ich meine...woher willst du das wissen?"

„Weil ich weiß wie es dir geht. Vor langer Zeit ging es mir genauso wie dir jetzt. Ich war auch verzweifelt und dachte das Leben wäre scheiße. Aber das ist es nicht. Absolut nicht."

Nun nahm er sie in die Arme und hielt sie fest, weil er wusste wie sehr sie jemanden brauchte, der sie einfach nur in dem Arm nahm.

Dankbar für seine Nähe und diese Geborgenheit, die er ausstrahlte ließ sie sich von ihm umarmen, lehnte sich an ihn, klammerte sich an ihm fest, wie eine Ertrinkende und durchnässte sein Shirt.

Alles und Nichts - KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt