4. Kapitel

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Ich bemerkte, wie jemand vor meinen Augen herumfuchtelte, jemand anderes, der mir immer wieder nervtötend in die Schulter piekte und eine dritte Person, die mir versuchte mein Mittagessen in die Nase zu stopfen.
Ich schlug Dylans Hand mit der kleinen Karotte weg und funkelte ihn an. „Sag mal, spinnst du?! Was sollte das denn werden, wenn es fertig geworden wäre?"
Mason, der sich über den Tisch gelehnt hatte, um vor meinen Augen herumzufuchteln, liess sich mit einem belustigten Grinsen in seinen Stuhl zurückfallen.
„Das hätte eine Nati-mit-Karotten-in-der-Nase-Skulptur gegeben, mit der ich bestimmt viele Preise gewonnen hätte", prahlte mein bescheuerter Bruder.
„Da siehst dus!", rief Roxie aus, die sichs auf Logans Schoss gemütlich gemacht hatte. „Er hat nicht nur zu viel Zeit im Kindergarten verbracht, sondern besitzt auch noch ein ausgebrägtes Wunschdenken! Jeder Mensch weiss doch, dass Karotten-in-der-Nase-Skulpturen total out sind! Dafür müsstest du schon Spargel nehemen."
Logan verdrehte nach dieser Aussage die Augen, was ich ihm nicht übelnehmen konnte, und sah mich hilflos an. Mir war selbst ein Rätsel, wie wir unsere Freundin jemals dazu brachten eine Spur... Wie sollte ich es ausdrücken? ...normaler zu werden. Einerseits wusste ich ja, dass das mein Freundeskreis war und dass wohl nie jemand besonders normal sein wird. Andererseits bedachte ich, wenn Roxie und der ganze Rest normal wäre, so würden sich auch alle blendend verstehen... Leider verstand ich nicht, weshalb Roxie und Dylan sich nicht ausstehen konnten. Die beiden waren ähnlich verrückt und immerhin wussten wenigstens sie, worum es in ihrem Gespräch ging. Denn von uns anderen wusste es definitiv niemand.
„Du hast doch keine Ahnung, du Langweiler! Spargel? Wo lebst du?! Hinterm Mond?" Dylan beugte sich nach vorne, um seine Ellenbogen auf der Tischkante abzustützen. Natürlich ergriff ich sofort meine Chance, krallte mir meinen Spinat vom Teller und platschte ihn mitten ins Dylans Gesicht. Spinat mochte ich sowieso noch nie besonders.
Das zum Thema 'Normaler Freundeskreis'.
Nachdem Dylan ein erschrockenes Glucksen von sich gegeben hatte, meinte ich achselzuckend:„Wieso denn nur die Nase benutzen, wenn man auch das ganze Gesicht in das Kunstwerk packen kann?"
Meine banale Aussage und das bescheuerte Gesicht meines Bruders liessen alle Dämme brechen und unser gesamte Tisch brach in schallendes Gelächter aus. Selbstverständlich erhaschten wir so die Aufmerksamtkeit der anderen Tische, was keine Menschenseele hier juckte.

Nachdem jedoch Dylan aufgestanden war, um sich den Spinat abzuwaschen, kehrte auch die Ruhe zurück und der Vorfall war schon wieder vergessen, was ich eigentlich richtig traurig fand. Wieso vergassen wir solche Momente so schnell wieder, während viel schlimmere Augenblicke tief in unser Gehirn eingeschraubt waren?

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Wir hatten gerade unseren ersten Schultag hinter uns und ich konnte schwören, dass heute so viel getuschelt worden war, wie in einem halben Jahr! Ich seufzte. Was hatte ich auch anderes erwartet?
Eigentlich hatte ich mich bereits darauf gefreut nach Hause zu gehen und auf unserem Dach Gitarre zu spielen. So wie ich es eben gerne mochte, wenn ich nicht viele Hausaufgaben auf hatte, aber der Tag dennoch irgendwie stressig war. Denn das konnte ich wahrhaftig behaupten. Aber nein! Mein fabelhafter Freund hetzte mich bereits wieder durch die Gegend! Er wollte mir unbedingt jemanden vorstellen und gleich darauf etwas trinken gehen. Klar konnte ich nicht dauernd meinen eigenen Plänen folgen, aber konnte ich mich jetzt nicht einfach verkriechen? Ich hatte heute bereits genug Bekanntschaften geschlossen. Nicht zu vergessen mit dem Blödmann von heute morgen. Wie hiess der noch gleich? Owen? Oscar? Oberto? Ich hatte keine Ahnung mehr.

„Mensch Ethan! Nicht so schnell bitte. Meine Tasche ist schwer und ich habe müde Beine!", quengelte ich und kam mir dabei schon etwas blöd vor. Ethan nahm mir die Tasche ab. „Wovon hast du denn müde Beine?", fragte er amüsiert. „Wir haben heute mehr gesessen, als dass wir gelaufen sind."
„Na gut. Müde Beine habe ich nicht", gab ich mich geschlagen, da ich doch einen gewissen Stolz hatte, den ich nicht damit zu Nichte machen wollte, indem ich indirket behauptete, dass ich unsportlich war. Ich ging fast jeden Tag mindestens 20 Minuten laufen und war entweder in unserem Tanzraum oder im kleinen Fitnessraum, der einen wundervollen Blick aufs Meer freigab. Ich war also alles, aber ganz bestimmt nicht UNsportlich.
Ethan konnte sich natürlich kein Lachen verkneifen und schleifte mich weiter in Richtung Ausgang.
Dies war auch wieder so ein Moment, in dem ich mich glücklich schätzte, dass ich kein besonders grosser Fan von High Heels war.

Alive - Wie er mich am Leben hielt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt