47. Kapitel (Ethans Sicht!)

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Benommen kam ich langsam zu mir. Ich versuchte meine Augen zu öffnen, doch sie fühlten sich schwer wie Blei an. Ich versuchte es mehrfach, doch sie liessen sich einfach nicht öffnen.
Als ich es fürs erste aufgab, meine Augen zu öffnen, bemerkte ich einen leichten Druck an meiner linken Seite. Als würde dort etwas Schweres stehen. Des Weiteren fiel mir auf, dass auch meine Hand von einem sanften Druck umgeben war.
Nach und nach fielen mir einige weitere Dinge auf. Zum Beispiel dass der Druck an meiner Linken Seite nicht immer gleich war, sondern dass es meinen Körper regelrecht durchschüttelte, was in meiner Schulter einen stechenden Schmerz auslöste.
Ich hörte etwas weiter entfernt ein Murmeln, doch ich verstand es nicht.
„Natalia, bitte rede doch mit mir! Er kommt wieder in Ordnung, das der Arzt doch selbst gesagt. Ich kann ihn herholen und er sagt es dir noch einmal, wenn du willst."
Plötzlich arbeitete mein Gehirn auf Hochtrab. Es war, als würde mein Körper schon nur bei der geringsten Erwähnung ihres Namens reagieren.
Aber weshalb sollte sie hier sein? Ich hatte ihr schreckliche Dinge angetan. Nur meinetwegen ist sie in all diese Probleme gekommen. Nur wegen mir musste sie noch mehr durchmachen als ohnehin schon. Und egoistisch betrachtet, war ich nur ihretwegen überhaupt aus dieser Organisation gekommen.
Die Organisation.

Erinnerungsfetzen überfluteten mich.
Mein Cousin hatte mich verraten, schon beim ersten Mal als wir uns gesehen hatten, wusste er, was Sache war. Er hatte von Anfang an eine einzige Absicht verfolgt, er hatte von Anfang an gewusst, was passieren würde.
Und mein Vater hatte mich und Rylie unser Leben lang kaltblütig begelogen! Immer wieder hatte er uns dieselbe Geschichte von wegen 'unausweichlicher Autounfall' aufgetischt. Und überhaupt hatte er mir seit Jahren damit gedroht meiner Schwester etwas anzutun, wenn ich nicht exakt das tat, was er von mir verlangt hatte.
Er drohte, seine eigene Tochter zu verletzen! Auch wenn er meinte, dass er das niemals gemacht hätte, war ich mir sicher, dass er zu allem in Stande gewesen wäre. Wenn es hart auf hart gekommen wäre, so hätte er bestimmt auch seine Tochter getötet. Welcher kranke Mensch tötete schon die Frau, die er liebte?
Etwas Schweres legte sich mir auf  die Brust und ich hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können.

„Nati, bitte!"
Meine Grübeleien unterbrachen sich und meine Gedanken kehrten in die Realität zurück.
Weshalb sollte sie hier sein? Weshalb sollte sie sich um meine Gesundheit sorgen? Ich hatte dieses Mädchen nicht verdient. Sie musste schon genug Scheisse durchmachen und ich würde ihr nur mehr davon in ihr Leben bringen. Alles an mir war eine riesengrosse Scheisse!
Das Einzige, was sie bereichern würde, wäre meine Schwester und diese hatte noch nicht einmal viel mit mir zu tun. Aber ich erinnerte mich, als wäre es erst gestern gewesen, wie ich mit meinen beiden Mädchen in unserem Haus herumgealbert hatte. Beide waren so glücklich, wenn sie einander auch nur sahen. Sie halfen sich gegenseitig.
Doch auch das hatte ich kaputt gemacht. Rylie hatte oft nach Natalia gefragt, und dass sie sie unbedingt wieder sehen wollte. Und was hatte ich getan? Ich hatte ihr gesagt, dass ich sie nicht mehr mochte, weshalb sie nicht mehr zu uns kommen würde. Ich hatte gesehen, dass es meiner kleinen Schwester das Herz brach. Sie hatte in Natalia eine wahre Freundin gefunden. Sie hatte mich gefragt, ob Natalia nicht vielleicht trotzdem nicht mehr zu uns kam, weil sie sie nicht mehr mochte. Weil sie nicht so alt war wie Natalia und sie deshalb keine Lust mehr hatte.

„Nein, Ryles. Dich hat sie noch immer lieb. Sie hat mich nicht mehr lieb", hatte ich gesagt, worauf Rylie bloss fragend die Stirn in Falten legte.
„Und warum kann ich sie dann nicht mehr sehen?", hatte sie daraufhin gefragt.
„Sie braucht Zeit. Du wirst sie bestimmt wieder sehen."

Ich wusste nicht, was mich veranlasst hatte, das zu sagen. Vielleicht hegte ich doch eine gewisse Hoffnung, dass Natalia mir vergeben und mir noch eine zweite Chance geben würde. Das hatte ich eigentlich schon immer gehofft. Aber gerade schien mir dieser Hoffnungsschimmer ziemlich weit hergeholt.
„Natalia! Hör auf mich zu ignorieren!", hörte ich eine hysterische, weibliche Stimme kreischen. Es fühlte sich fast so an, als ob diese Stimme mich auffordern würde, auf der Stelle die Augen aufzumachen und Natalia zu helfen.
Also tat ich das. Ich schlug die Augen auf und sah als erstes einfach  nur eine weisse Decke mit einigen schwarzen Punkten. Das helle Licht blendete mich. Ich blinzelte etwas, dann drehte ich meinen Kopf zur Seite und erblickte auf meiner Brust einen schwarzen Haarschopf. Ich wollte ihr über den Kopf streichen, doch mein Arm lag in einer Schlinge und sobald ich ihn bewegte, schmerzte mir die Schulter höllisch. Die andere Hand wurde von Natalia sanft umklammert und ich wollte sie nicht daraus lösen.
„Nati", flüsterte ich, worauf sie sofort den Kopf hob und mich aus tränenverschleierten Augen ansah.
„Tu, was deine Schwester von dir verlangt", meinte ich, während ich versuchte zu lächeln. Natalia fuhr sich mit den Handballen über die Augen und ignorierte meine Aufforderung. Wäre es anders gewesen, hätte ich mir deutlich mehr Sorgen gemacht, als ich gerade tat.
„Wie geht es dir?", fragte sie mich stattdessen mit brüchiger Stimme.
Ich erinnerte mich, was Atlanta vorhin gerade noch gesagt hatte und meinte nur mit einem leichten Lächeln: „Ich werd schon wieder, keine Angst."
Nati schüttelte langsam den Kopf. „Das meinte ich nicht."
Der Blick ihrer eisblauen Augen schien mich gnadenlos zu durchbohren und wieder schossen mir diese ganzen schrecklichen Bilder durch den Kopf. Ich sah Natalia vor mir, wie sie mich hilflos angesehen hatte, ich hörte sie, wie sie nach mir geschrien hatte. Und die Erkenntnis, dass mein eigener Vater immer mein Gegner war, traf mich noch viel härter als bisher.
„Ich weiss es nicht", antwortete ich ihr schliesslich. Ich wusste wirklich nicht, wie es mir ging. Jahre lang verhielt sich mein Vater mir gegenüber seltsam und manchmal unausstehlich und immer hatte ich gedacht, dass es mein Fehler war. Immer hatte ich gedacht, dass ich etwas falsch machte, dass ich eine Enttäuschung für meinen Vater war, während er meine Schwester wie eine kleine Prinzessin behandelte. Auch wenn sie sich immer weigerte, die neuen Sachen, die mein Vater für sie gekauft hatte, auch nur anzusehen, schenkte er ihr alles, was ein Mädchen sich in diesem Alter wünschte.
Mag sein, dass ich eine Enttäuschung für ihn war, aber das war sicherlich nicht der einzige Grund, weshalb er sich so verhalten hatte. Nein, er musste auch die ganze Zeit vor mir geheim halten, dass er es war, der mich zu Dingen zwang, die ich selbst nie wollte. Von Anfang an war er es gewesen, der von mir verlangte jegliche Geräte und Datennetzwerke zu hacken, um mich schliesslich für seine eigenen Zwecke zu benutzen.
Ich wusste bis heute nicht, was eigentlich genau sein Ziel war. Bis heute hatte ich keinen blassen Schimmer, weshalb er sich solch eine Mühe gemacht hatte, mich dazu auszubilden, wenn er mir ja doch niemals etwas erzählen wollte.

Weder ich noch Natalia brachen den Blickkontakt auch nur für eine einzige Sekunde. So schauten wir uns an und waren dabei in unsere eigenen Gedanken versunken. Ich sah sie an und mir wurde warm ums Herz. Sie war ein so guter Mensch, auch wenn sie in der letzten Zeit sehr viel durchmachen musste und sich gewissermassen auch etwas in ihrer Art veränderte. Daran war ich ja auch nicht gerade unschuldig.
Aber genau das war der springende Punkt. Natalia wollte, seit sie hier in Kalifornien war, immer nur ein normales Mädchen sein. Auch wenn ich nicht ganz damit einverstanden war, dass sie ihre Krankheit, also ein Teil ihrer selbst, dafür versteckt hielt, konnte ich sie bis zu einem bestimmten Grad immer verstehen.
Ich konnte ihr dieses Normalsein mit meiner ganzen Vergangenheit und meiner verkorksten Familiengeschichte einfach nicht ermöglichen. Ich konnte ihr nicht geben, was sie sich wünschte, was sie brauchte. Ich würde nur immer wie mehr Sorgen mit mir in ihr Leben bringen und das hatte sie nicht verdient.

Kurz wandte ich meine Augen von ihren ab, um einen Entschluss zu fassen, damit ich mir wirklich sicher sein konnte.
Ich sah sie wieder an und etwas in ihrem Blick hatte sich verändert. War da ein Hoffnungsschimmer zu sehen? Hoffte sie vielleicht auf eine Zukunft? Auf einen weiteren Versuch zusammen?
Aber nein, ich hatte einen Entschluss gefasst und ich war es mir selbst schuldig, diesen Entschluss auch einzuhalten.
„Natalia, ich möchte, dass du jetzt gehst und ich will, dass du nicht mehr wieder kommst.
Nie mehr."

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Hallo meine Lieben :D
Ich habe es doch geschafft, ein Kapitel hochzuladen, und ich kann versprechen, dass ich am Mittwoch wieder eines hochladen werde. ;)

Habt ihr irgendwelche Kommentare zu diesem Kapitel?
Es würde mich freuen. ;)

Bleibt geschmeidig und bis bald
Eure DancingPalabras

Alive - Wie er mich am Leben hielt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt