Da mich die freundliche Ärztin noch einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus behalten wollte, blieb mir keine andere Wahl übrig, als die Mädchen anzurufen und ihnen zu erklären, dass ich nicht mehr in der Gruppe mitmachen konnte. Das hiess, eigentlich hatte ich sehr wohl eine andere Wahl, aber ich konnte einfach nicht mehr. Ich hatte zu viel durchgemacht und jetzt schien alles auf einmal auf mich einzubrechen. Die Krankheit, der Umzug, das neue Leben, Ethan, die Trennung mit Ethan, der Rückfall, meine Familie, Tessa, meine Mitschüler und jetzt auch noch den Vorfall von gestern. Wie viel musste ein siebzehnjähriges Mädchen denn noch ertragen, bis es endlich erlöst war?
Plötzlich traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag Mitten ins Gesicht. Ich sah mich wieder in Emily's Home. Ich befand mich wieder am selben Punkt wie vor zwei Jahren, kurz bevor John mit dem Wunder in mein Leben schneite. Wieder fragte ich mich, ob ich wohl in einem früheren Leben so ein furchtbarer Mensch war, dass ich das alles durchmachen musste.
Dieses Mal würde niemand mit einem Wunder ins Zimmer kommen, das alles wieder zum Guten wenden würde. Dieses Mal musste ich mir selbst aus eigener Kraft helfen. Einer Kraft, die ich nicht mehr besass.Verzweifelt schlug ich die Hände vors Gesicht und seufzte laut auf.
Mein Handy klingelte nun schon zum vierten Mal, jetzt war es Delancy. Sie schienen sich abzuwechseln.
„Du musst irgendeinmal rangehen, sonst stürmen sie noch das verdammte Krankenhaus", meinte Dylan lachend, worauf Atlanta ihm einen warnenden Blick zuwarf.
„Ich finde, sie sollte sich zuerst vollkommen sicher sein, was sie will. Vor allem wenn Delancy anruft. Nati lässt sich von der viel zu sehr einschüchtern"
„Hey! Ich lasse mich gar nicht einschüchtern!", warf ich frustriert dazwischen.
Atlanta hob entschuldigend die Schultern. „Tut mir leid, kleine Schwester. Aber so wie du über sie sprichst, tust du das sehr wohl."
„Ich habe nunmal einen gewissen Repekt vor dem Mädchen", versuchte ich mich zu verteidigen.
Mason lachte. „Wer hat das schon nicht? Die Frau hat echt Feuer unterm Hintern. Dafür dass sie sechzehn ist, könnte man meinen, sie ist in einer Kriegerfamilie aufgewachsen."
Damit lag er gar nicht so falsch. Mit Tessa in einem Haus zu leben, mussten schon einige Granatenopfer gebracht werden.
Mein Handy verstummte und ich atmete erleichtert aus. Mir war bewusst, dass ich das unangenehme Gespräch bloss hinauszögerte, aber ich fand es besser, als jetzt gleich mit ihnen zu sprechen. Ich nahm es in die Hand. Vier entgangene Anrufe innerhalb von sechs Minuten.
„Du benimmst dich wie ein kleines Kind, Nati!", tadelte Kyle, doch ich hörte ihm nicht zu, da mein Handy erneut zu vibrieren begann. Roxies Name erschien auf dem Display. Erschrocken und überfordert zugleich warf ich das Handy kreischend fort - direkt in Aidens Arme. „Es ist Roxie", meint er, nachdem er es erfolgreich auffangen konnte.
Meine grosse Schwester schaute mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Roxie ist deine beste Freundin und du kannst nicht einmal mit ihr sprechen?"
Ich zog die Decke über mich und strich sie mit meiner vollen Aufmerksamkeit glatt.
Dylan klatschte in die Hände, worauf ich erschrocken den Kopf hob.
„So, ich habe keinen Bock mehr auf das Theater", meinte er und schnappte sich mein Handy. Er drückte auf das Display und hielt es an mein Ohr. Ich war zu perplex, um etwas sagen zu können.
„Natalia? Natalia!"
Delancy.
„Ja, ich... Hallo. Ich bins", antwortete ich verlegen. Dylan schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Ich zuckte hilflos mit den Schultern und hielt mir mein Handy selbst ans Ohr. Mein Bruder begab sich wieder auf seinen Platz.
„Wo steckst du, verdammt nochmal? Wir warten auf dich! Wieder einmal."
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Ja, da gibt es ein kleines Problem... Ich kann nicht kommen."
Einen Moment war es still auf der anderen Seite, so dass ich das Handy von meinem Ohr nahm, um nachzusehen, ob sie noch dran war.
„Delancy?"
„Was hast du denn jetzt wieder für eine Ausrede, Miss Ocean?"
Ich konnte genau hören, wie sie sich zusammenreissen musste, um mich nicht anzubrüllen. Vermutlich waren die anderen nicht weit von ihr enfernt.
„Ich liege im Krankenhaus", meinte ich schnell.
„Was? Spinnst du? Ich habe echt genug von deinen Scheissproblemen!"
Das zum Thema, sie würde sich zusammenreissen, um mich nicht anzubrüllen.
„Delancy! Sie liegt im Krankenhaus! Gib mir sofort mein Handy!" Roxies dumpfe Stimme wurde immer lauter, bis es raschelte und sie begann mit mir zu sprechen. Vermutlich hatten per Lautsprecher alle mitgehört.
„Nati? Ist bei dir alles in Ordnung? Was ist passiert?", fragte sie auf der Stelle besorgt und ich entspannte mich. Mit Delancy ein Gespräch zu führen war wirklich anstrengend. Auch wenn ich ihr dankbar dafür war, dass sie mich nicht mit Samthandschuhen anfasste. Aber das würde sie so oder so bei keiner Menschenseele tun.
„Das ist eine lange unglaubwürdige Geschichte. Ich erzähle es dir später, ja?"
„Was meinst du bitte mit unglaubwürdig?", fragte meine beste Freundin misstrauisch.
„Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass ich von fünf Typen umzingelt und angegriffen wurde, als wäre ich der Fehler des Jahrhunderts?"
Roxie sog scharf die Luft ein, im Hintergrund hörte ich leises Gemurmel.
Da Roxie nichts sagte, wurde ich wieder unruhig. „Roxie? Wer hört alles mit?"
Roxie senkte die Stimme etwas. „Alle deine Freunde, und irgendwie auch Tessa."
„Wieso ist Tessa bei euch?" Ich wurde panisch. Falls Tessa wirklich mitgehört haben sollte, dann wusste es gleich die gesamte Schule. Dieses Mädchen suchte sowieso immer etwas, womit sie mich fertig machen konnte. Ich wollte gar nicht wissen, was sie unseren Mitschülern erzählen würde, damit sie mich noch mehr hassten.
Die Sache mit der Trennung, dem Video, in dem Delancy mir ihre Meinung gegeigt hatte, dass das Cheerleaderteam keine Neulinge mehr aufnahm, machten mich nicht wirklich beliebt. Naja, abgesehen von meinen Freunden redete niemand mehr mit mir.
„Keine Ahnung. Sie ist einfach hergekommen und hat mit den Jungs geflirtet. Das heisst sie hat sich einmal weit nach vorne gebeugt, die Jungs waren baff, alle waren ruhig und dann kamst du ins Spiel."
Sie redete so schnell, dass ich sie kaum verstehen konnte.
Ich beschloss, mir die Situation bei meinen Freunden nicht im Kopfkino vorzustellen und machte mir lieber Sorgen um Tessa. Im Gegensatz zu ihr war Paige eine kleine Schmusekatze. Und ich dachte ernsthaft die Schule in Phoenix war schlimm.
'Liebes altes Ich. Du hast dich masslos getäuscht'
„Natialia, der Unterricht fängt gleich an. Logan und ich kommen nach der Schule vorbei, versprochen. Versuch einfach bis dahin am Leben zu bleiben, ja?"
Ihr Worte zauberten mir ein kleines Lächeln auf die Lippen, und als ich den Rest meiner Freunde lachen hörte, verwandelte sich dieses Lächeln in ein breites Grinsen.„Du wirst angerufen und du sagst, 'ich bins'? Wer hat dir Telefongespräch-Unterricht gegeben?", höhnte Dylan und ich verschränkte einarmig meine Arme. Naja. So gut das eben möglich war.
„Du hast einen richtigen Hau-Weg, weisst du das?", neckte ich meinen Bruder, der mich verständnislos anschaute.
„Was zur Sahnetorte ist das denn schon wieder?"
Ich hob mein Kinn überlegen. „Etwas, dass man am liebsten weghauen würde."
Dylan schüttelte entrüstet den Kopf. „Der war schlecht."
„Machs besser", forderte ich ihn auf.
Dylan richtete sich auf seinem Stuhl auf und ich fuhr das Kopfende meine Bettes nach oben.
Atlanta verdrehte die Augen. „Jetzt geht das schon wieder los."
Doch ihre Worte versanken in Dylans erbrämlichen Versuch, sich mit mir zu messen. „Im Prinzip sind wirklich alle Menschen intelligent. Nur die Ausnahmen tragen die Regel. Vielleicht erklärt uns das dein Talent beim Telefonieren?"
Ich lachte. „Wow, der hat gesessen. Aber du kannst so einen Spruch nicht völlig aus dem Kontext reissen, denn schliesslich kommen nur die Harten in den Garten."
„Das macht noch nicht mal einen Sinn!"
„Eure Wortgefechte haben noch nie einen Sinn gemacht. Also hör auf zu Schmollen, Dylan."
Ich streckte meinen gesunden Arm aus und wartete, bis Mason einschlug.
„Ja, und wenn der Hund nicht geschissen hätte, dann hätte er den Hasen gefangen!", meinte Dylan wie ein trotziges kleines Kind. Mason hatte recht. Wenn wir unseren kleinen Machtkampf ausführten, machte das nie einen Sinn. Es ging immer nur darum zu zeigen, wer die besseren Sprüche klopfen konnte. Da ist es egal, ob sie zur Situation passten oder nicht, aber es machte schon einen besseren Eindruck, wenn sie passten.
„Weisst du was? Tu doch irgendetwas, worin du nützlich bist: Aufpassen, dass die Wand nicht umfällt zum Beispiel", gab ich also grinsend zurück.
Ich musste nicht lange auf eine Antwort von ihm warten: „Eine Leiche rannte um die Ecke und verreckte -"
„Deinen Wahtsapp Status musst du gar nicht erst bringen, den kennen wir bereits!", schnitt ich ihm das Wort ab, was ihn völlig aus dem Konzept brachte.
„Du... Man..."
„Was ist denn jetzt los? Sprachverstopfungen?", fragte ich fies lächelnd.
Meik legte sich fast auf den Boden vor lachen.
Ich pustete überlegen über meinen Zeigefinger. „Treffer versenkt!" Damit hatte ich gewonnen und klatschte mich einmal mehr mit Mason ab.
„So, Schwesterherz. Gehen wir einen Kaffe trinken?", fragte Kyle so gesittet wie möglich, stand auf und hielt Atlanta den Arm hin.
„Mit grossem Vergnügen, liebster Bruder", meinte sie lachend und hakte sich bei ihm ein. Zusammen verliessen sie das Zimmer und übrig blieben Aiden, Dylan, Meik, Mason und ich.
Dylan guckte nachdenklich in die Luft, bis er den Zeigefinger hob und seinen Gegenschlag ausübte, den er sich hätte sparen können. „Weisst du Nati, die Weisheit verfolgt mich - aber ich bin schneller!"
Ich prustete los, sodass mir die Schnittwunde an meiner Wange schmerzte. „Oh ja, das bist du, Dylan!" Ich verschluckte mich beinahe vor lachen. Die Tatsache, dass Aiden fast panisch aufsprang, „Wartet auf mich!" schrie und ebenfalls aus dem Raum flüchtete, machte die Sache auch nicht unbedingt besser. Ich kriegte mich erst einige Minuten später wieder ein.*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
Hallo ihr Lieben. :)
Ich hoffe wirklich sehr, dass ihr die Geschichte bis hier hin nicht zu sehr vergessen habt. Ehrlich gesagt war auch nur eine Pause von einigen wenigen Wochen geplant und nicht von Monaten... Das tut mir leid. :(
Aber jetzt bin ich wieder da und werde diese Geschichte an einem Stück zu ende schreiben, das schwöre ich mit aller grösster Freude. ;)
Bis bald
Eure CatGirl1313
DU LIEST GERADE
Alive - Wie er mich am Leben hielt
Подростковая литератураNun scheint Natalias Leben nur noch bergauf zu gehen. Müsste es doch, nachdem sie in ihrer Vergangenheit mehrere Male dem Tod direkt ins Auge geblickt hat. Doch die 16-jährige macht die Rechnung nicht mit dem Alltag einer normalen High-School-Schül...