44. Kapitel (Ethans Sicht!)

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Stöhnend hielt ich mir die Wange und drückte meine Faust auf den Bauch.
Einen Moment lang hatte ich wirklich gedacht, mein letztes Stündlein hätte geschlagen, als diese Typen begannen, auf mich einzudreschen.
Offensichtlich war dies nicht der Auftrag, denn kurzerhand schleppten sie mich in das Gebäude, in dem sich laut GPS Natalia befinden sollte.
Als ich meinen Cousin auf mich zukommen sah, dachte ich, ich drehte gleich durch. Vor meinen Augen sah ich vor Wut nur noch rot und ich hätte ihn mit Sicherheit zu Tode geprügelt, hätte er nicht Verstärkung gehabt.

War das Natis Stimme? Hatte sie nach mir geschrien?
Noch bevor ich länger darüber hätte nachdenken können, dröhnte plötzlich ein lautes schadenfreudiges Lachen zu mir durch. Etwas an diesem Lachen kam mir bekannt vor und ich versuchte die Augen zu öffnen, um zu sehen, was hier überhaupt gespielt wurde. Weshalb war Natalia hier? Was zur Hölle hatte sie damit zu tun? Ich hatte sie in den letzten drei Wochen doch ignoriert. Jedenfalls so gut es eben ging.

Nachdem dieses widerliche Lachen endlich verstummt war, fasste ich wieder die ersten klaren Gedanken.
Sie mussten gewusst haben, dass Natalia noch immer meine Schwachstelle war. Sie mussten irgendwie gewusst haben, dass sie mich nicht kalt liess, egal, was ich auch versuchte. Aber wie? Ich wusste, dass sie Handys zu Mikrofonen umprogrammieren konnten, deshalb hatte ich meines doch meistens zu Hause gelassen. Was hatte ich übersehen?

Ich schüttelte den Kopf. Jetzt war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Zuerst musste ich dafür sorgen, dass Natalia hier sicher wieder herauskam. Das könnte aber schwierig werden, wenn sie sich nicht dafür bereiterklären sollte, ebenfalls Mitglied in dieser scheusslichen Organisation zu werden. Nein, das würde ich ganz bestimmt nicht zulassen. Die Organisation war der grösste Fehler, den man machen konnte. Sie zerstörte einem das Leben. Genauso wie die Tatsache, wie wenn man vom Mädchen seiner Träume getrennt sein musste. Aber Natalia hatte recht: Was ich getan hatte, war unverzeihlich und ich konnte wohl noch von Glück reden, wenn sie mich noch anschaute und mit mir sprach.

„Na, wie fühlt es sich an, so weit unten und ohne jegliche Ehre, werter Cousin?", fragte mich plötzlich Oliver und ging neben mir in die Hocke. Ohne gross darüber nachzudenken, packte ich ihn am Kragen. Die Wut von vorhin, übernahm wieder die Überhand über mich.
„Du widerliches Arschloch! Fahr zur Hölle!", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Wer will denn hier gleich so sein. Wir sind doch immerhin eine Familie", meinte eine tiefe Stimme direkt hinter mir und ich fuhr herum.
Perplex und unfähig irgendetwas zu sagen, starrte ich meinen Vater an.
„Schliess deinen Mund, Sohn. Oder hast du vor, auch den Rest des Respektes zu verlieren, der dir noch geblieben ist?"
Was um alles in der Welt wurde hier gespielt? Was hatte das zu bedeuten? Was hatte mein Vater hier zu suchen?
Ich raffte mich auf, um nicht mehr zu meinen Vater hochsehen zu müssen, sondern mit ihm auf Augenhöhe sein zu können.
„Es scheint ganz so, als müssest du unserem Wunderkind erklären, was Sache ist, Boss", meinte Oliver und ich verkrampfte mich.
Boss?
„Ich muss sagen, dass es mich ein bisschen enttäuscht, dass dich das so zu überraschen scheint. Du bist doch sonst so intelligent und scheinst alles zu wissen." Mein Vater ging selbstbewusst auf seinen Schreibtisch zu und nahm auf einem Sessel direkt dahinter platz.
Erst jetzt sah ich mich im Raum um und erblickte Natalia an einen Stuhl gefesselt mit einer Platzwunde auf der Unterlippe und so wie es aussah, wird sie morgen ein blaues Auge haben.
Sie hatten sie geschlagen!
Wortlos stürzte ich mich fast auf sie und ging vor ihr in die Knie. Ich nahm ihren Kopf in meine Hände und zwang sie, mich anzusehen. Sie wich meinem Blick aus.
„Nati", flüsterte ich besorgt und fast ein bisschen verzweifelt.
In diesem Moment hätte ich mich für meine Schwäche selbst ohrfeigen können. So machte ich das Ganze für uns nur noch schlimmer.

„Dich scheint es wohl gar nicht zu interessieren, dass du die ganze Zeit für mich gearbeitet hast", stellte mein Erzeuger trocken fest.
Hasserfüllt blickte ich über Natis Schulter direkt in seine verlogenen Augen.
Nati zu liebe versuchte ich nicht völlig auszurasten. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was hier noch auf uns zukommen würde. „Du hast recht. Ich habe für dich gearbeitet. Aber da ich das jetzt nicht mehr tue, interessiert es mich nicht mehr.
Denkst du eigentlich auch einmal an Rylie? All die Zeit hast du mir mit ihrem Wohl und ihrem Leben gedroht, dabei ist sie deine eigene TOCHTER!"
„Ich hätte ihr niemals etwas angetan. Aber dich kann man mit ihr viel zu einfach kontrollieren. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich nicht gedacht hätte, dass das mit dieser Göre hier noch einfacher geht. Das war eine sehr zugute kommende Überraschung."
„Ich verstehe nicht, weshalb du sie hierher hast kommen lassen. Natalia hat mit all dem hier nichts zu tun. Lass sie gehen!", befahl ich ihm, was so aussah, als wäre es eine falsche Bemerkung gewesen. Denn mein Vater schürzte die Lippen und schaute mich tadelnd an, als hätte ich eine wichtige Information nicht erhalten.
„Das geht nicht und das weisst du, mein Sohn. Sie weiss zu viel. Ich kann sie nicht gehen lassen. Ausserdem tut diese Art Frau der Welt nicht gut. Sie ist zu neugierig, zu gutherzig und zu zielstrebig. Das ist nicht gesund für eine Frau. Und schon gar nicht für deren Umgebung."
Er beugte sich nach vorne und fixierte einen Punkt auf Natalias Rücken. Sie war noch immer ganz still, schien kaum zu atmen.
„Weisst du eigentlich, was du da sagst? Deiner Meinung nach sind doch alle Frauen schlecht! Aber soll ich dir etwas verraten, Vater? Sie sind nicht schlecht für die Welt sondern für dich! Du bist nie über Moms Tod hinweggekommen, nicht wahr?", langsam aber sicher verlor ich die Fassung. Meine Stimme wurde lauter und ich bemerkte, wie sich Natalia vor mir verkrampfte. Sofort wurde ich wieder etwas ruhiger.
Mein Vater lachte leise vor sich hin. „Oh doch. Es war mir ein Leichtes. Aber ich verstehe dein Interesse für dieses Mädchen sehr gut. Sie hat sehr viel mit deiner Mutter gemeinsam, weisst du? Deine Mutter war genau wie sie."

Alive - Wie er mich am Leben hielt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt