„Nati!", kreischte Abygail vergnügt. Naja, ich wusste, dass sie kreischen würde, wenn sie bei Kräften wäre, doch leider war dem gerade nicht so. Ich trat zu ihr ans Bett und sah mit Tränen in den Augen auf meine kleine Kämpferin herab.
„Hey Süsse. Wie gehts dir denn so?", fragte ich sie unsicher und völlig überflüssig. In Wahrheit wusste ich, wie schlecht es ihr zur Zeit ging. Da wir hier wie eine riesige Familie zusammen hielten, machten wir, wie auch die Ärzte, nie ein grosses Drama und versuchten die Zustände zu vertuschen. Ganz Emily's wusste über jeden Patienten Bescheid.
Aby lächelte mich tapfer an. „Wird schon", meinte sie. Sie ahnte wohl schon, dass ich wusste, was los war. Aby litt bereits seit frühen Jahren an Leukämie. Und sie verdiente es genauso wenig wie alle anderen, die in dieser Klinik festsassen und nur aus diesem Gebäude herauskamen, um sich im Garten die Zeit zu vertreiben. Ab und zu, wenn es der Zustand erlaubte, schafften es einige Patienten auch einmal in die Stadt, um einige Stunden Emily's Home fernbleiben zu können. Leider hielt dieses Fernbleiben nicht lange an.
Sanft strich ich ihr über den Kopf und nickte. „Bestimmt, Kleines. Du zeigst es ihm, so wie du das immer machst", sagte ich lächelnd, worauf Aby mich traurig ansah. „Ich wünschte nur, ich bräuchte dabei keine Hilfe."
Darauf wusste ich keine Antwort. Ich kannte dieses Gefühl zu gut. Auch ich wünschte mir, die Krankheit ohne das Wunder bekämpfen zu können, doch leider war ich auf diese Hilfe angewiesen. „Unsere Körper sind stark, weisst du. Aber unsere Krankheiten sind es auch." Mir war bewusst, dass dies ein schwacher Trost war, aber dennoch fühlte ich mich verpflichtet, irgendetwas dazu zu sagen.
Abygail nickte, die Zeifel konnte sie nicht aus ihrem Blick verbannen.
„Und wie geht es dir?", lenkte sie das Thema auf mich.
Ich zuckte die Schultern. „Ich weiss es noch nicht. Ich bin direkt zu dir gekommen und war noch nicht bei John. Aber du weisst ja: Den nächsten Sommer werde ich wohl wieder hier verbringen."
Aby schüttelte den Kopf. „Nein. Ich meinte wie es dir in deinem Leben geht. Also ohne Emily's", stellte sie klar und ich setzte mich zu ihr aufs Bett.
„Gut. Es geht sehr gut. Ich habe vier Mädchen kennengelernt und wir sind nun gerade dabei eine Gruppe, etwas wie eine Art Band, zu gründen", erzählte ich ihr.
Aby sah verträumt nach draussen. „Das macht bestimmt Spass. Ist dieses Mädchen immernoch so gemein zu dir? Und liebst du den Jungen, der dich hier so oft besucht hat?"
Ich seufzte schwer. Aby sah wieder mich an.
„Ja, das Mädchen hat sich nicht geändert. Aber das wird sie wahrscheinlich auch nicht. Und ja, den Jungen liebe ich. Aber es ist gerade etwas schwierig", versuchte ich ihr zu erklären. Nachdenklich musterte sie mich. „Wieso? Liebt er dich nicht?"
Bei dieser Frage wurde mein Herz ganz schwer und während ich sie ansah, fielen mir erstmals einige Züge auf, die auch Rylie besass. Nicht vom Aussehen sondern vom Charakter.
„Doch. Ich glaube schon, dass er mich liebt."
„Dann darf es nicht schwierig sein. Sag ihm das, ja?
Und dem Mädchen solltest du eine zweite Chance geben. Sie kann sich bestimmt ändern."
Ja. Das war auch so ein Punkt, den wir alle gleich sahen. Die zweite Chance. Viele, wie Abygail, warteten auf so eine, einige, wie zum Beispiel ich, hatten sie bereits erhalten, doch nicht alle würden eine bekommen. Trotzdem könnte man sagen, dass sie unser Leben bestimmte.
Wieder nickte ich bloss. „Ich werde ihr eine zweite Chance geben, sobald sie bereit dazu ist. Sie ist noch nicht so weit", erklärte ich und strich ihr über den Kopf. Aby wollte noch etwas erwidern, aber ich merkte selbst, wie dieses Gespräch sie erschöpfte. Auch wenn die Chemo ihre Hilfe war, führte es sich auf, als wäre auch das der Feind.
Ich beugte mich nach vorne und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich sollte zu John. Bevor ich gehe komme ich noch einmal vorbei, in Ordnung?"
Abygail deutete ein wages Nicken an und ich verliess mit einem Okay ihr Zimmer. Im Gang wartete bereits Derek auf mich. „Wie geht es ihr?", fragte er unsicher. Ich zuckte die Schultern und lächelte ihn müde an. Auch mich hatte dieses Gespräch völlig ausgelaugt. Einerseits weil es mich fertig machte, die kleine Abygail so zu sehen und andereseits weil es mir wieder viel Material zum Nachdenken gegeben hatte.
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Alive - Wie er mich am Leben hielt
Novela JuvenilNun scheint Natalias Leben nur noch bergauf zu gehen. Müsste es doch, nachdem sie in ihrer Vergangenheit mehrere Male dem Tod direkt ins Auge geblickt hat. Doch die 16-jährige macht die Rechnung nicht mit dem Alltag einer normalen High-School-Schül...