41. Kapitel (Ethans Sicht!)

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Ich konnte nicht glauben, dass ich wirklich vor Natis Haus stand. Wie konnte es bloss so weit kommen? Ich hatte mich von ihr ferngehalten, so gut es ging. Es konnte der Organisation doch nicht aufgefallen sein, dass ich wegen ihr ausgestiegen bin. Das war unmöglich. Ich hatte sie behandelt wie den letzten Dreck. Sogar Rylie hatte ich erzählt, dass ich sie nicht mehr mochte. Einfach für den Fall, dass man mich strenger überwachte, als mir im Klaren war.
Wenn nur nicht das Arschloch von einem Cousin hier angekommen wäre! Der hatte es mir wirklich nicht einfach gemacht. Warum konnte er nicht einfach die Finger von meinem Mädchen lassen?
Ehe ich es mir noch anders überlegen konnte, klingelte ich an der Tür. Es dauerte nicht lange, da öffnete mir auch schon die Haushälterin die Tür und blickte mich überrascht an.
„Was willst du denn hier, junger Mann?", fragte sie mich misstrauisch. Ich konnte es ihr noch nicht einmal vergönnen.
„Ich muss mit Natalia sprechen", meinte ich so eindringlich wie möglich.
Die Haushälterin schien nicht überzeugt. „Ich denke nicht, dass sie mit dir sprechen möchte. Ausserdem hat sie in weniger als einer halben Stunde eine Verabredung mit einem ganz reizenden jungen Mann."
Der Gedanke, dass sie damit Oliver meinte, löste bei mir puren Würgereiz aus. Aber da ich meinen tollen Cousin seit heute Mittag nicht mehr gesehen hatte, war er wohl schon seit längerem dabei, sein perfektes Date zu planen.
„Es ist wirklich wichtig!", drängte ich weiter. Ich liess mich hier ganz bestimmt nicht so einfach abwimmeln, das wäre doch gelacht.
Ich hatte heute Morgen ein Gespräch mit jemandem aus der Organisation, der mir versichert hatte, dass mein Benehmen nun Folgen haben würde. Was sollte man da denn anderes verstehen können, als dass er vor hatte, meiner Natalia etwas anzutun?
„Gute Frau, wenn Sie mir nicht gleich Platz machen, dann werde ich mich mit Gewalt an Ihnen vorbeidrängen, obschon ich das nicht will. Aber ich wäre wirklich nicht hier, wenn es nicht wirklich wichtig wäre." Ich fragte mich langsam ernsthaft, wie oft ich noch betonen musste, wie wichtig es war. Konnte sie mich nicht einfach ohne Widerrede durch lassen?
„Das werde ich nicht erlauben. Und wenn du tatsächlich ins Haus kommen solltest, so rufe ich die Polizei!", drohte sie mir nun auch noch.
Darüber konnte ich mir jetzt wirklich keine Sorgen machen. Deshalb drückte ich mich an der Haushälterin vorbei und rannte nach oben in den zweiten Stock direkt vor Natis Tür. Davor blieb ich wie angewurzelt stehen, um erst wieder zu Atem zu kommen. Und um mich auch etwas zu sammeln. Wie lange hatten wir nicht mehr mit einander gesprochen? Drei Wochen?

Sachte klopfte ich an der Tür und wartete auf eine Antwort.
„Ja? Komm rein!", hörte ich die sanfte Stimme, die mir den schönsten Sommer beschert hatte, den ich jemals erleben durfte.
Ich öffnete die Tür nur langsam. Ich hatte noch ein bisschen mit der Angst zu kämpfen, dass sie mich gleich wieder rausschmeissen würde.
Als ich in ihrem hellen Zimmer stand, schaute ich mich kurz um, bis ich sah, dass im Badezimmer gleich nebenan Licht brannte. Kurz darauf hörte ich, wie etwas polternd zu Boden fiel, gefolgt vom harmlosesten Fluchen, das die Menschheit je gehört hatte. Ich musste schmunzeln und ging auf das Badezimmer zu, wo ich die Tür aufstiess. Ich sah gerade noch, wie Natalia ihre Haarbürste aufhob, bevor sie sich erschrocken zu mir umdrehte und die Haarbürste wieder fallen liess.
Ich bückte mich, hob sie wieder hoch und hielt sie ihr entgegen. Doch anstelle dass sie sie nahm, fragte sie mich nur emotionslos: „Was machst du hier?" In ihrem Blick lag wieder diese Kälte, mit der sie mich seit ihrem Geburtstag immer anschaute.
Nein, das war nicht wahr. Anfangs hatte sie mich mit diesem verletzten Blick angesehen, der so viel besser war als dieser kalte und emotionslose. Das hatte mir immerhin noch gezeigt, dass ich ihr nicht egal war, dass ich ihr noch immer etwas bedeutete. Doch jetzt war ich mir dem nicht mehr so sicher. Dennoch hoffte ich einfach, dass ihr Herz meinetwegen nicht wieder diese Schutzmauer aufgebaut hatte, die ich im letzten Jahr so mühsam zu durchdringen versucht hatte.
„Antworte mir gefälligst!", forderte sie mich im scharfen Tonfall auf. Sie klang nicht wütend. Das hätte mir ebenfalls besser gefallen. Ich hätte mich so gefreut, wenn sie mich angeschrien hätte, wenn sie in Tränen ausgebrochen wäre und nach mir geschlagen hätte. Einfach nur um eine aufrichtige Gefühlsregung in ihr zu sehen. Doch sie tat es nicht.
„Ich wollte mich bei dir entschuldigen", meinte ich also nur, obschon ich noch so vieles mehr wollte.
„Wofür?" Ich könnte vor Verzweiflung etwas kaputt schlagen!
„Für alles, was ich dir angetan habe. Es tut mir leid."
„Es ist ein bisschen spät, findest du nicht?", meinte sie, während sie sich zurück zum Spiegel drehte und an ihren Haaren herumzupfte.
„Du siehst hübsch aus."
Sie ignorierte mich.
Ich stand noch immer da und schaute ihr zu, bis sie mich plötzlich durch ihr Spiegelbild ansah. Das warf mir kurz aus der Bahn, da ich in ihrem Blick doch etwas sah, das wie Leid oder Verletzlichkeit aussah.
„Wars das jetzt?", fragte sie.
Ich antwortete nicht. Ich konnte es nicht. Natürlich war es das nicht, aber was hätte ich auch sagen können, um wieder gut zu machen, was ich angestellt hatte?
„Ethan, warum tust du mir das an? Ich habe angefangen damit klarzukommen, dass du mich nicht mehr willst, aber warum bist du so grauenhaft und tauchst hier auf? Ich habe gleich eine Verabredung, auf die ich mich so gefreut habe und jetzt bist du hier!"
Ich konnte ihr ansehen, wie bemüht sie darum war, die Haltung zu bewahren, doch in ihren Augen stauten sich Wellen von Gefühlen auf, die nur darauf warteten endlich auszubrechen. Sie stand kurz davor in Tränen auszubrechen.
„Nati, ich will so nicht weitermachen. Ich kann so nicht weitermachen. Ich will das du mir verzeihst und zu mir zurückkommst." Ich machte einen Schritt auf sie zu, sie entfernte sich einen Schritt von mir.
Resigniert liess sie die die Arme sinken. Die ersten Tränen bahnten sich über ihre Wange und plötzlich gefiel es mir gar nicht mehr, dass sie Gefühle zeigte. Jedenfalls wollte ich diese Art von Gefühlen sehen. Sie sollte doch jetzt in meinen Armen liegen, mir sagen, das sie mir natürlich verzeihte, aber sie tat es nicht.
„Du willst? Schon einmal daran gedacht, was ich eigentlich will? Ich will endlich abschliessen, Ethan! Du hast mich verletzt, das ist dir klar oder?", fragte sie mich leise.
„Ja. Ja. Ja! Ich denke nur daran, was du willst, Natalia, das kannst du mir glauben." Ohne darüber nachzudenken nahm ich Natis Hände in meine und ignorierte ihre Versuche sich wieder von mir zu lösen.
„So fühlt es sich aber nicht an!", klagte sie, stoppte aber ihre Versuche, sich aus meinem Griff zu befreien.
„Ich will, dass du mich in Ruhe lässt. Ich will, dass du mir die Möglichkeit gibst, mit einem Anderen zusammen zu sein."
Ihre Worte schockierten mich. Ich war immer davon ausgegangen, dass sie zu mir zurück wollen würde. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass sie möglicherweise mit einem Anderen zusammen sein wollte. In diesem Moment löste sie sich von mir und eilte in ihr Zimmer zurück. Ich folgte ihr so gleich. Sie schrieb schnell eine SMS und steckte ihr Handy in ihre Tasche. Sie hob ihre Schuhe auf, die vor ihrem Bett lagen und schaute mich an.
„Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest. Ich habe eine Verabredung mit Oliver und ich will nicht zu spät kommen. Er wartet unten bereits auf mich."
Dies warf sie mir einfach so um die Ohren, als ob sie nicht wüsten würde, dass ich sie noch immer liebte!
„Nati, bitte. Ich will nicht, dass du mit meinem Cousin ausgehst", flehte ich sie an.
„Das ist mir egal, Ethan. Ruf doch Tessa an, die hat bestimmt Zeit für dich. Aber dann seit doch bitte so freundlich und geht zu dir nach Hause!", zischte sie und ging aus der Tür in den Gang. Ich folgte ihr.
„Das ist wirklich unfair. Zumal Tessa die Letzte wäre, die ich anrufen würde. Ich würde keine andere mehr anrufen ausser dir, versteh das doch endlich!"
Kurz vor der Treppe machte sie auf dem Absatz kehrt und drückte mir ihren Zeigefinger an die Kehle. Überrascht keuchte ich auf.
„Du hast mir mein Herz aus der Brust gerissen, es in Millionen Teile zerrissen und du bist darauf herumgetrampelt, als würdest du einen Kaugummi von deiner Schuhsole entfernen wollen! Ich muss gar nichts verstehen!"
Wieder drehte sie mir den Rücken zu und ging flink die Treppe herunter. Es sah fast aus, als ob sie schweben würde.
„Aber ich möchte, dass du verstehst", meinte ich als ich sie wieder am Handgelenk festhielt. Dieses Mal riss sie sich aber so gleich wieder los.
„Dann erklär es mir, Ethan! Sag mir warum du mich ausgerechnet an meinem Geburtstag betrügen musstest! Sag mir, weshalb du ins Krankenhaus kommen bist und diese komischen und verwirrenden Dinge gesagt hast! Erklär mir, warum du jetzt hier bist!" Sie schaute mich die ganze Zeit über nicht an, was die Sache nicht unbedingt einfacher machte. Eher im Gegenteil. Ich konnte gar nicht einschätzen, was sie gerade dachte oder fühlte.
Ich konnte nichts mehr antworten. Ich konnte es ihr nicht sagen! Wenn ich ihr von der Organisation erzählen würde, dann würde sie mich nicht nur hassen, sondern sie und Rylie könnten in wirkliche Gefahr gelangen. Das wollte ich nicht riskieren.
„Das dachte ich mir", meinte sie und ging weiter.
„Natalia, ich kann es dir nicht erklären. Wirklich nicht. Bitte vertrau mir doch!"
Wir waren unten an der Treppe angekommen, als Natalia plötzlich ironisch auflachte. „Sag mal hörst du dir eigentlich zu? Ich soll dir vertrauen? Das sagst ausgerechnet du! Vertrauen muss man sich verdienen!"
„Ich weiss, aber ich hatte dein Vertrauen doch schon einmal", argumentierte ich und ich konnte fühlen, dass diese Art von Argumentation in die falsche Richtung ging. In die total falsche Richtung. Aber ich konnte es jetzt nicht mehr zurücknehmen.
„Ja, das hattest du, aber du hast es ausgenutzt und es verspielt. Wenn du willst, dass ich dir wieder vertraue, musst du dir etwas anderes einfallen lassen. So geht es nämlich nicht." Gegen das Ende wurde sie immer wie lauter, bis schliesslich ihre Haushälterin wie auch Meik und Mason antanzten.

„Es tut mir so leid, Schätzchen. Ich wollte ihn eigentlich gar nicht ins Haus lassen, aber er ist einfach so an mir vorbei gestürzt", entschuldigte sich die Haushälterin überschwänglich.
Natalia winkte ab. „Halb so schlimm, Mary. Ich werde jetzt gehen, okay? Oliver bringt mich pünktlich nach Hause zurück." Sie drückte ihren Brüdern einen Kuss auf die Wange und ging weiter in Richtung Haustür.
Wieder wollte ich ihr folgen. So schnell würde ich ganz bestimmt nicht aufgeben.
„Das solltest du echt nicht machen, Mann", meinte Mason, während er sich mir in den Weg stellte.
„Geh mir aus dem Weg!", sagte ich nur und behielt dabei die Frau meiner Träume im Blick.
„Lass gut sein, Ethan", mischte sich auch Meik ein.
Die Haustür fiel ins Schloss und kurze Zeit später ging draussen ein Motor an.
Grob schob ich die Zwillinge zur Seite und rannte nach draussen, nur um zu sehen, wie das Auto meines bescheuerten Cousins um die Ecke bog.
Aufgebracht kickte ich gegen einen Stein und fasste kurz darauf einen Entschluss.
Ich eilte in mein Auto und donnerte die Auffahrt hinunter, während ich mein Handy aus der Tasche zog. Es wurde Zeit, dass dieser Irrsinn endlich aufhörte.

Egal was der Preis war.

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Hier noch das versprochene zweite Kapitel für heute. :)

Mich würden mal eure Theorien zu der ganzen Sache mit der Organisation interessiern. Also wenn ihr gerade Lust und Zeit habt, so schreibt es doch in die Kommentare. ;)

Bleibt geschmeidig und bis zum nächsten Mittwoch.
Eure DancingPalabras. :*

Alive - Wie er mich am Leben hielt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt