37. Kapitel

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„Na sag schon!", lachte ich und schlug Oliver spielerisch auf den Unterarm. „Wo gehen wir hin?"
„Von mir erfährst du kein Wort", lachte Oliver, während er stur nach vorne in die Dämmerung blickte.
„Darf ich raten?", fragte ich ihn lächelnd und wartete, bis er mich ansah.
„Du kannst es versuchen", meinte er amüsiert, nachdem er mich kurz gemustert hatte. Und während ich nachdachte: „Das findest du sowieso nicht heraus."
„Unterschätze niemals die Intuition einer Frau", versuchte ich ihn etwas hinzuhalten, da mir gerade auf die Schnelle nichts einfiel.
Oliver lachte mich aus. „Das hat doch nichts mit weiblicher Intuition zu tun! Es hat nicht einmal im Geringsten etwas mit irgendeiner Intuition zu tun."
„Mag sein, und jetzt lass mich nachdenken." Nachdenklich blickte ich aus dem Fenster. „Also, es ist schon fast dunkel und wir haben morgen Schule. Also wirst du mich bestimmt nicht in ein Hotel bringen." Lächelnd mustere ich Oliver. Mir war natürlich klar, dass er das auch nicht getan hätte, wenn wir morgen keine Schule gehabt hätten.
„Nati, streng dich an!" Mein Plan ihn aus der Reserve zu locken scheiterte.
„Na gut... Gehen wir essen? Wenn ja, dann hoffe ich doch in einem Fast-Food-Restaurant. So wie ich angezogen bin, müsste ich mich sonst überall schämen." Oliver lachte.
„Also erstens: Wir gehen nicht direkt irgendwo essen. Das heisst wir essen, aber nicht in einem Restaurant. Und zweitens: Egal was du trägst, du müsstest dich niemals schämen. Du siehst nämlich toll aus." Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen stieg, als er mich angrinste.

Das war auch so etwas, das Ethan praktisch nie getan hatte. Er hatte mir kaum Komplimente gemacht. Nicht das mich das gestört hätte oder so, aber es fiel mir eben gerade so auf.
„Ich gebe auf!", ich warf teatralisch die Hände in die Luft.
„Das ist aber nicht die Natalia, die ich kennengelernt habe", neckte mich Oliver und knuffte mich in die Seite.
„Man muss auch akzeptieren können, wenn man etwas nicht erreichen kann." Ich spielte auf beleidigt und verschränkte meine Arme vor der Brust. Dabei musste ich mir verkrampft das Lächeln verkneifen.
Ich konnte Olivers Grinsen beinahe hören. „Typisch Frau: Immer die grossen Sachen vornehmen und die kleinen Dinge gleich nach dem ersten Versuch in den Wind schiessen."
Ich drehte mich lächelnd zu ihm. „Zum Glück stimmt das nicht."
Oliver antwortete etwas darauf, das ich nicht mitbekam, da mich etwas an unserer Route stutzig machte. Draussen war es schon ziemlich dunkel, weshalb man nicht viel erkennen konnte. Aber trotzdem wusste ich genau wohin wir fuhren und etwas Schweres legte sich auf meine Brust. Woher konnte Oliver von diesem Ort wissen? Das war doch nicht möglich. Hatte Ethan ihm etwas erzählt? Nein. Das würde er nicht. So wie ich ihn kannte war sein Cousin sowieso der Letzte, dem Ethan etwas von uns erzählen würde.

Oliver hielt in der Bucht und stellte den Motor ab. Ich schwieg. Ich vermutete, er interpretierte mein Schweigen nicht ganz richtig.
„Gefällt es dir? Ich habe sie letzte Woche zufällig entdeckt, als ich mal aus dem Alltag verschwinden musste. Ich dachte, dir würde es hier vielleicht auch gefallen."
Wahrscheinlich dachte er ich war beeindruckt oder mir hätte es die Sprache verschlagen, doch dem war nicht so. Ich war schockiert und ich spürte, wie etwas in mir wieder einen Riss bekam. Ethans geheime Bucht hatte einst ihm gehört, bis ich kam und sie zu unserer Bucht gemacht hatte. Ich wusste nicht einmal mit Sicherheit, ob Ethan selbst das überhaupt wollte. Und jetzt? Jetzt war die Bucht alles andere als geheim. Wie vielen hatte Oliver schon von ihr erzählt? Bestimmt werden hier nächsten Sommer die wildesten Strandpartys gefeiert.

„Nati? Gefällt es dir hier nicht?", fragte Oliver mich unsicher.
Ich wollte ihn nicht verunsichern. Das war definitiv das Letzte, was ich zu erreichen plante. Ich wollte doch bloss einen schönen Abend mit ihm zusammen verbringen, nichts weiter. Warum also musste er mich unbedingt an diesen Ort bringen?
Ich setzte mein gekünsteltes Lächeln auf und nickte viel zu wild. „Doch! Ich liebe es! Es ist wirklich wunderschön hier", meinte ich und wusste, dass er mir das nicht abkaufen würde. Zu meiner Überraschung erhellte sich sein Gesicht und er entspannte sich wieder. Er hatte mir einfach so geglaubt. Ethan hatte meine Lügen oder falschen Emotionen immer gleich nach der ersten Sekunde erkannt. Er wusste genau, wie ich mich verhielt, wenn ich nicht so handelte, wie wenn ich wirklich erfreut war.

Alive - Wie er mich am Leben hielt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt