Teil 7

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„Ich verbitte mir solch einen Ton", unterbrach die Richterin Erik mit harscher Stimme. Man merkte ihr deutlich an, dass ihr das Verhalten des jungen Mannes gründlich missfiel. Gleichzeitig konnte Lyjana deutlich erkennen, dass Erik bald der Geduldsfaden reißen würde und das verhieß nichts Gutes. Deswegen versuchte sie möglichst diplomatisch dazwischen zu gehen. „Er braucht nicht weiter zu fragen, da er die Antwort sowieso schon kennt", erklärte sie mit ruhiger Stimme. Überrascht wanderte der Blick der Richterin von Erik zu ihr. Erst da bemerkte Lyjana, dass keiner außer sie die unterschwellige Frage verstanden hatte. Woher auch. Schließlich waren sie nicht diejenigen gewesen, die über zwei Jahre mehr oder weniger willenlos gewesen waren- eingesperrt im eigenen Kopf. Dabei kam ihr eine weitere Erinnerung ins Gedächtnis; eine, die sie am liebsten vergessen würde. Doch auch diese Zeit gehörte zu ihrem Leben, war ein Teil von ihr. Vergessen durfte sie nicht, wie schrecklich die Vergangenheit auch war.

Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen, befand sich dann auch schon wieder in der kalten leblosen Zelle. Man konnte kaum glauben, dass es ein Stockwerk höher einen wunderschönen Ausblick auf einen kleinen fast idyllisch wirkenden See mitten in der Natur gab. Sie hatte sich so lange das Tageslicht gewünscht, dass sie den Anblick des vor ihr liegenden Bildes gar nicht wahrhaben wollte. Sie war zwar schon einmal draußen gewesen, doch dies war am Anfang der Gefangenschaft gewesen. Sie konnte sich an kaum etwas erinnern. Wahrscheinlich hatte sie in dieser Zeit unter Schock gestanden und ihr Gedächtnis hatte gar nicht alles wahrhaben wollen. Erik hatte sie mit nach draußen genommen, ohne zu sagen warum er das tat. Vorsichtig deutet sie an, dass sie etwas fragen wolle und kurz darauf bekam sie die Erlaubnis zu sprechen. Es war ihr noch immer zuwider nach allem zu fragen und um alles zu bitten, doch sie hatte gelernt, dass sie so am längsten überlebte. „Warum bin ich hier?", fragte sie schüchtern, fürchtete sie sich noch immer jederzeit etwas falsch zu machen. „Brauche ich einen Grund?", kam es zurück. Langsam schüttelte sie den Kopf, woraufhin sie im nächsten Augenblick eine saftige Ohrfeige erhielt. „Sprich gefälligst mit mir, wenn ich dich etwas frage. Oder hast du deine Zunge verloren?", fauchte Erik sie an. Erschrocken zuckte sie zurück, wofür sie gleich noch eine erhielt. „Es...es tut mir leid", stammelte sie, „ Du brauchst natürlich keinen Grund" „Richtig, trotzdem habe ich einen. Ich möchte, dass du tanzt", stellte Erik nun klar. Er wusste natürlich, dass sie nicht tanzen konnte, doch er würde es ihr schon beibringen. Sie hatte alle Voraussetzungen, die sie brauchte und mit ein bisschen Übung, Disziplin und Zeit würde daraus schon noch etwas werden. Da war er sich sicher. „Ich...ich kann nicht tanzen", flüsterte Lyjana. Die Angst stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. „Ich weiß", antwortete Erik sanft, „Du wirst lernen" Mit Freude beobachtete er, wie ihre Augen groß vor Überraschung wurden. Ja, das würde definitiv spannend werden. Dann drückte er auf den Knopf einer Fernbedienung, die er im Moment aus der Hosentasche zog und von innen waren die wohltönenden Klänge seiner Stereoanlage zu hören. „Gut, fangen wir an.", begann er mit dem Unterricht.

Lyjana lernte schnell, aber sie war noch nicht annährend perfekt. Nach zwei Stunden war sie den Tränen nahe und völlig fertig mit der Welt, doch er ließ nicht locker. „Nochmal", war das Wort, dass sie in dieser Zeit am häufigsten hörte. „Ich...", fing sie an, zitterte bereits am ganzen Leib. Nach der langen Zeit, die sie in dem dunklen kleinen Keller verbracht hatte, war ihr Körper solche Hochleistung nicht gewöhnt. Auch ihre Stimme begann allmählich wieder zu versagen, hatte sie sie doch durch die vielen Schreie der Vergangenheit zu sehr beansprucht. Doch schon hörte sie das schon bald vertraute Zischen der Peitsche, die Erik so gut wie immer bei sich trug. Keinen Augenblick später spürte sie, wie diese einen langen Striemen auf ihrem Rücken hinterließ. Natürlich hatte sie sich nichts anziehen dürfen, als sie mit ihm nach draußen gegangen war und sie hatte auch nicht die Geistesgegenwart oder den Mut bessern nach Kleidung zu fragen. Hastig beeilte sie sich die ihr vorgegebenen Übungen wieder und wieder von vorne zu machen, bis Erik endlich zufrieden zu sein schien. „Komm her", befahl er ihr. Gehorsam trat sie an ihn heran, schmiegte sie sanft in seine offene Umarmung und versuchte sich die Angst nicht anmerken zu lassen. „Das hast du gut gemacht", flüsterte Erik ihr zu und streichelte dabei über ihren Kopf. Sie war zwar verschwitzt, doch das machte ihm nichts aus.

Für einen Moment standen sie beide einfach nur da und hingen ihren Gedanken nach. Lyjana glaubte sich schon fast in Sicherheit, überlegte bereits, ob sie es schaffen würde sich loszureißen und schnell genug laufen konnte, um zu fliehen. Doch dann wurde ihr bewusst, dass sie gerade mehr als 4 Stunden am Stück getanzt hatte und nicht gerade in sportlicher Höchstform war. Sie würde es wahrscheinlich noch nicht einmal bis zur nächsten Straße schaffen. Und dann wäre ihr der Tod gewiss. „Du würdest es nie schaffen", flüsterte Erik ihr gerade ins Ohr. Erschrocken zuckte sie mit dem Kopf zurück und schaute ihn dabei in die Augen. Zwar hatte er ihr das verboten, doch dies war eher ein Reflex und keine Absicht gewesen. Schnell senkte sie wieder ihren Blick. Eine bleischwere Stille breitet sich zwischen ihnen aus, worauf hin Lyjana wieder zu zittern begann. Sie spürte bereits jetzt schon den Schmerz, der sie gleich erwarten würde.

Mit der rechten Hand packte Erik sie plötzlich am Pferdeschwanz und zog sie brutal nach hinten. Rücksichtlos schleifte er sie hinter sich her ins Haus. Lyjana schrie vor Schmerzen, woraufhin er nur noch fester an ihren Haaren riss. Er ging mit ihr ins Bad und öffnete den Mechanismus zu seinem unterirdischen Bunker. Eigentlich hätte er warten sollen, bis die Metalltreppe ausgefahren war, doch dazu hatte er keine Geduld. Er zog das mittlerweile weinende Mädchen vor sich, drehte es zu sich um und gab ihr noch einmal eine saftige Ohrfeige. „Hör auf zu heulen", sagte er bestimmt und ruhig. Sein teurer Teppich würde noch ganz nass werden. Aber das Kind war nicht zu beruhigen. Wütend darüber schmiss er sie mit einem unerwarteten Schups in das Loch vor sich, wo sie mit einem dumpfen Aufschlag und einem erstickten Schrei landetet. Er würde sie später untersuchen, ob sie sich fast verstaucht oder gebrochen hatte, doch jetzt war er dafür nicht ruhig genug. Erik selbst stieg ganz gemütlich die Leiter hinunter und baute sich dann vor Lyjana auf. Diese schien ihn gar nicht mehr wahrzunehmen. Schmerzhaft zog er sie wieder an den Haaren zu sich hoch und schlug sie erneut. „Hör auf zu heulen", schrie er sie jetzt an, schleifte sie den Gang entlang bis zu ihrer Tür und schmiss sie mit Schwung in die Zelle. Sollte sie doch in der Dunkelheit verrotten. Sie hatte ihre Chance gehabt.

Dies alles hatte sich Lyjana wie aus weiter Ferne angeschaut, doch jetzt schien ihr Geist zurück in den Körper der 15- Jährigen schlüpfen zu wollen. Sofort wurde sie von tausenden Gefühlen überschwemmt. „Ich hasse ihn.", schoss es ihr durch den Kopf, „am liebsten würde ich ihn umbringen..." Es ihr noch viele weitere Beschimpfungen in den Sinn, aber vor allem spürte sie den Schmerz. Ich ganzer Körper tat ihr weh. Sie konnte sich kaum noch bewegen. Bei dem Fall durch das Loch hatte sie sich wahrscheinlich eine Rippe gebrochen. Auf jedenfalls schien dort der Schmerz herzukommen. In gewisser Weise war sie sogar froh, dass er sie kurz in Ruhe gelassen hatte, doch sie war sich sicher, dass sie eigentliche Strafe noch kommen würde. Und warum sollte sie unbedingt für ihn tanzen? Was hatte das für einen Sinn?

„Lyjana", riss Erik sie wieder in die Gegenwart zurück. Dabei erschreckte sie sich daran so sehr, dass sie unwillkürlich wieder anfing am ganzen Leib zu zittern. Die Vergangenheit hielt sie noch zu sehr fest. Sie bekam so gut wie nichts mit, was irgendjemand zu ihr sagte.


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