Als kleine Bitte vorneweg. Hört euch den Song an, wenn ihr dieses Kapitel lest. Es wird bei euch eine völlig neue Welt der Gefühle auslösen. Er passt hierhin so gut, wie nichts anderes.
LG ckolb98 und AngelinaEvita*******************************************************
Als sie aufwachte, war er weg, verschwunden. So, wie er es oft getan hatte. Nur heute lag sie nicht auf dem kalten Boden einer Zelle, die ihre Vergangenheit war, sondern in einem federweichen Bett. Die Laken waren schneeweiß und wirkten si rein und unschuldig, wie sie es einst war. Dann kam er in ihr Leben und hatte alles, was sie kannte auf den Kopf gestellt. Es gab nicht mehr wonach sie greifen konnte, nichts mehr Handfestes. Keine Sicherheit. Sie hatte sich daran gewöhnt den Moment zu Leben und keinen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden. Denn wer wusste schon, was morgen war. Sie konnte morgen tot sein.
Und dann war da ihr 18. Geburtstag. Nachdem sie das schönste Jahr gelebt hatte, was sie jemals gehabt hatte, waren sie wieder in Hamburg angekommen. Vor der Haustür erwartete sie die Polizei. Sie hatte ihn ihr einfach weggenommen, hatten sie wieder an den Abgrund gestellt, wo er sie mühsam weggezogen hatte und nun stand sie wieder an solch einem Abgrund. Nur, weil sie der Realität nicht in die Augen blicken wollte. Das hatte sie nun davon. Aber sie würde nicht kampflos aufgeben. Das hatte sie noch nie getan. Warum also jetzt. Mit diesen guten Vorsätzen im Kopf, stand sie auf und war gerade auf dem Weg ins Bad, als es an der Tür klopfte. Verwirrt ging sie hin, um zu öffnen.
Vor ihr stand ein Haus Page im schwarzen Livre und schaute sie mit ausdrucksloser Mine an. In seinen mit weißen Samthandschuhen bekleideten Händen hielt er ein kleines schwarzes Päckchen.
„Für mich", fragte Lyjana etwas überrascht. Natürlich konnte sie sich denken, von wem das Geschenk war, aber eigentlich dachte sie, dass Erik und sie aus dieser Phase einer Beziehung schon lange raus wären. Er wusste, wie ungern sie sich beschenken ließ. Doch als der Mann vor ihr nickte und ihr wortlos das Päckchen überreichte, wusste sie, dass dies kein normales Geschenk sein würde. Erik dachte sich bei allem was er tat etwas. Da geschah nichts grundlos.
Lyjana wollte sich da noch bei dem Haus Page bedanken, aber dieser war schon verschwunden. So kehrte sie zurück in ihr Zimmer und machte es sich auf ihrem Himmelbett bequem. Dann öffnete sie in kindlicher Vorfreude das Geschenk. In dem edlen schwarzen Karton befand sich nichts anderes als eine Uhr. Sie sah teuer aus und war es sicher auch, doch sie wusste, dass Erik dies aus der Portokasse zahlen konnte. Wobei dies auf keinster Weise den Kauf rechtfertigte. Fast hätte sie den Spruch übersehen, der Hinten auf die Uhr hauchdünn eingraviert worden war. Worte, die sie nur noch einmal daran erinnern sollte, dass sie das Leben genießen musste. Dass sie jeden Augenblick in vollen Zügen mitnehmen musste. Denn genauso wie damals wusste sie nicht, wann es vorbei war. Es konnte heute sein, aber auch erst in einem Jahr. Mal wieder hatte nicht sie, sondern das Schicksal die Zügel ihres Lebens in die Hand genommen.
Und in dem Moment, als sie nach dem Duschen und Anziehen die Uhr anlegte, wusste sie, dass sie sich bedanken musste. Sie wollte ihm danke sagen und zwar für alles, was er ihr geboten hatte. Er hatte seine Freiheit für sie geopfert. Jetzt wollte sie ihm endlich einmal sagen, wie wichtig er ihr war. Die Idee nahm so langsam auch Gestalt an in ihrem Kopf und freudestrahlend verließ sie das Hotel und stieg in ein Taxi.
Gute eineinhalb Stunden später war sie fast an ihrem Ziel, wobei der Taxifahrer immer nervöser wurde. Natürlich wusste mittlerweile ganz Hamburg von dem Serienmörder Bescheid und nachdem sie schon die ehemalige Tankstelle passiert hatten, die nur noch im Grundstein erhalten war, nährten sie sich nun immer mehr einem kleinen Wanderparkplatz. Die Tankstelle war zu einem absoluten Totenplatz geworden. Hier trieb sich keiner mehr herum, der noch alle Tassen im Schrank hatte, denn Erik hatte irgendwie dafür gesorgt, dass dieser Ort das reinste Minenfeld geworden war. Überall konnten neue Explosionen und Brände entstehen und Lyjana merkte auch deutlich, dass es ihrem Fahrer überhaupt nicht gefiel durch diese Gegend fahren zu müssen. Vier Leute hatten sich schon geweigert, sie an diesen Ort zu bringen. Erst dieser hier hatte nach langer Überlegung endlich zugesagt. Vielleicht würde man sie besser verstehen, warum sie hier her wollte, wenn sie sich zu erkennen gegeben hätte, aber dieses Spiel des Verkleidens hatte sie noch immer so in Fleisch und Blut, dass sie es selten ablegte. So trug sie auch heute eine Perücke und Kontaktlinsen.
„Sie wollen hier wirklich aussteigen?", fragte der Mann sie nun schon zum dritten Mal. Lyjana nickte eifrig. So langsam nervte er.
„Soll ich hier warten?", ereiferte er sich noch. Dies lag vielleicht auch an dem großzügigen Betrag, den sie ihm gezahlt hatte. Sah er in ihr wahrscheinlich nur ein unschuldiges Mädchen, das zur falschen Zeit am falschen Ort war, aber sie lehnte es ab. Sie würde bis zur Tankstelle zurückjoggen, wie sie es oft mit Erik getan hatte und sich von dort aus ein Taxi rufen. Es musste schließlich keiner wissen, was sie dort trieb. Endlich fuhr er los und sie konnte in einem strammen Lauftempo den Weg einschlagen, der sie zurück in die Vergangenheit katapultierte.
Schnell war sie an dem Haus angekommen, dass noch immer so verlassen und einsam dalag, wie sie es in Erinnerung hatte. Das breite Absperrband um das gesamte Grundstück sah sie nicht, wollte es nicht sehen. In aller Seelenruhe holte sie aus ihrem Rucksack ein Stativ und eine Kamera heraus. Dann noch ihren iPod in die Ohren und schon konnte es losgehen. Erik hatte immer gesagt, sie würde aussehen, wie ein Engel, wenn sie tanzen würde. Mittlerweil war genau das zu ihrem Beruf geworden. Aber noch einmal wollte sie nur für ihn tanzen, wusste sie doch nicht, wann sie wieder die Gelegenheit dazu bekommen konnte. Hastig zog sie noch ihre Verkleidung aus. Sein Lieblingslied, das Weiße- das sie so gerne im Sommer getragen hatte und noch immer liebte, hatte sie ebenfalls wieder einmal herausgeholt. Obwohl es im Herbst, was es mittlerweile war, eigentlich schon fast zu kalt dafür war.
Und dann war sie berauscht von der Musik, die in ihre Ohren und ihren Kopf drang. Sie tanzte in diesem Moment nur für ihn, ließ alles hinter sich, was sie beschäftigte oder was ihr Sorgen machte. Sie vergaß wo sie war. Sie vergaß die Diagnose, die er ihr letzte Nacht mitgeteilt hatte. Sie vergaß sogar die Zeit, den Raum, einfach alles. Es existierte nur noch der Tanz. Die Vereinigung von Körper und Seele. Sie wollte nur, dass er stolz darauf war, was er da geschaffen hatte. Denn alles, was sie heute war, war sie dank ihm. Sie konnte ihm nicht sagen, was ihr die Zeit mit ihm bedeutete, deswegen tanzte sie. Das Unsichtbare sollte sichtbar werden. Er sollte in ihr lesen können, wie in einem offenen Buch. Er sollte verstehen, warum sie das tat und wie sehr sie ihn bauchte. Er sollte alles wissen, was sie ihm die ganzen Jahre nie hatte sagen können. Er sollte verstehen weshalb ihr diese Zeit des Grauen, die jeder andere so gerne vergessen würde- weshalb sie diese Zeit für immer im Gedächtnis haben wollte. Es war ein Teil von ihr, gehörte zu ihrem Leben genauso dazu wie dieser Moment. Und wenn man freiwillig vergaß...dann hatte man es nicht verdient zu leben.
Sie tanzte und zwar genau das, was er ihr beigebracht hatte. Er hatte sein Versprechen wahr werden lassen und am Ende hatte sie eine Kojographie gekonnt, die alles übertraf. Mit Bravur hatte sie die Aufnahme in die Akademie geschafft und auch mit genau der gleichen war sie zur ersten Solisten der Kompanie geworden. Sie hatte Freunde gefunden und dank ihm ein neues Leben beginnen dürfen. Sie hatte eine Zukunft vor sich gesehen, hatte wieder angefangen Pläne zu schmieden. Sie tanzte es nicht perfekt, hatte sie die Schritte doch schon seit langem nicht mehr getanzt, aber sie freute sich über jeden, der ihr noch einfiel. Wie hatte Erik am Anfang immer zu ihr gesagt.
„In jedem steckt ein Tänzer. Und ich bin Kojograph genug, dass ich auch aus dir eine mache" Er hatte sie zur besten Tänzerin der Welt gemacht. Sie war ein Star, egal, wo sie hinkam, hatte alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Sie hatte auf jeder, der großen Weltbühnen gestanden. Und doch war ihr dieses Publikum viel lieber. Die Stille. So gefährlich, wie verführerisch. Man konnte sie lieben und hassen. Früher hatte auch sie sie gehasst, doch mittlerweile fing sie wieder an, sie zu lieben. Es war ein Albtraum. Sie hatte keine Angst mehr vor dem Tod, war sie doch schlimmeres gewohnt. Nach dem, was Erik mit ihr gemacht hatte, hatte sie schon oft das Gefühl den Tod überlebt zu haben. Es war nicht so, dass sie sich auf den Tod freute oder sie herbeisehnte, aber sie begrüßte ihn eher, wie einen alten Freund. Und doch wollte sie es sein, der die Entscheidung traf, hatte das Schicksal es in den letzten Jahren doch immer schlecht mit ihr gemeint. Sie hatte Erik schon früh gesagt, dass sie den Schlussstrich ziehen wolle. Sie und kein anderer. Aber nicht nur diese Gedanken gingen ihr durch den Kopf, sondern noch vieles andere. Sie hatte das Gefühl, als würde sich mit diesem Akt, mit diesem Tanz ein Kreis schließen.
Es war etwas Besonderes für sie und es würde auch etwas besonders für ihn sein. Er hatte ihr die Freiheit zurückgegeben mit dieser Uhr. Hatte ihr einen Weg gezeigt, wie sie es beenden konnte, wenn sie wollte, wenn alles schief ging. Und er würde ihr dabei helfen. Würde noch einen Mord begehen, sollte sie nach der Operation nicht mehr die sein, die sie war. Doch mit diesem Video zeigte sie ihm viel mehr, als ein einfaches Dankeschön. Sie zeigte ihm damit auch den Ort, wo es enden sollte. Sie wollte, dass es hier endete. Hier, wo alles angefangen hatte.
DU LIEST GERADE
Sag es!
HorrorWenn der Tod einem begegnet können die meisten Menschen nicht mehr entfliehen, doch für Lyjana Hathaway ist der Tod nicht das Ende - nein. Der Tod will sie und er spielt ein grausames Spiel mit ihr in dem nicht nur ihr Leben der Einsatz ist, jede S...