„Ich wachte mit enormen Kopfschmerzen auf. Die ersten Minuten war ich noch recht benommen; wahrscheinlich einer der Nebenwirkungen des Opiums. Aber irgendwann realisierte ich, dass es gar keinen Unterscheid machte, ob ich die Augen schloss oder offen behielt. Es blieb stockdunkel. Den Gedanken, dass ich blind sein könnte, kam mir erst gar nicht. So pessimistisch war ich noch nie gewesen. Als nächstes kam die Erkenntnis, dass ich gefesselt worden war. Zwar konnte ich mit den Füßen den Boden berühren, doch meine Hände waren über meinem Kopf zusammengefasst. Ich konnte mich nicht wirklich bewegen, da ich nur auf den Zehenspitzen stand. Bei der kleinsten Bewegung würde ich umkippen und mein ganzes Körpergewicht würde auf meinen Armen hängen. Kein schöner Gedanke. In meinem Rücken spürte ich eine glatte kalte Wand. Es roch nach Eisen und jeder Menge Desinfektionsmittel. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was hier alles sauber gemacht worden war und warum. Da ich sowieso nichts sah, schloss ich nach einiger Zeit meine Augen wieder, denn so langsam wurde mir schwindelig. Ich konnte mich schließlich auf nichts fokussieren, da mein Blick immer nur absolute Schwärze aufnahm. Damit war ich vollkommen orientierungslos.
Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit vergangen war, bis ich Geräusche von irgendwo her vernahm. Vielleicht war ich sogar noch einmal eingeschlafen. Einen großen Kontrastunterschied wäre es sowieso nicht gewesen. Doch das grelle Neonlicht, das mit einem Mal von der Decke schien, schmerzte noch mehr, wie die Dunkelheit und plötzlich wünschte ich mir genau jene wieder zurück. Eine Tür gegenüber von mir schob sich auf, wobei dort, wo eben noch einen glatte Wand zu sein schien, sich jetzt ein Durchgang befand. Von dem grellen Licht taten mir jedoch die Augen weh, weswegen ich sie zu kleinen Schlitzen zusammenkniff. Alle meine Sinne richten sich nun auf die Person, die langsam auf mich zukam. Dabei sah sie aus, wie eine Raubkatze, die auf der Jagd war und sich nun an sein Opfer heranpirschte. Nur, dass ich das Opfer war. Er durschritt den kleinen quadratischen Raum, der mir immer unsympathischer wurde und stand auf einmal direkt vor mir. Die Wände waren weiß und wirkten ebenso kalt, wie die ganze Atmosphäre hier. Es gab keine Fenster oder dergleichen, nur eine Tür, die praktisch mit der Wand verschmolz. Doch was mich viel mehr beunruhigte war die Tatsache, dass sich außer ihm und mir sonst nichts in dem Raum befand und ich würde das Gefühl nicht los, dass dies keine einfachere Zelle war.
Zudem bezweifelte ich keine Sekunde lang, dass dies das letzte gewesen sein sollte, was ich jemals zu Gesicht bekommen würde. Dazu war Eriks Erscheinungsbild zu perfekt, zu kultiviert, zu normal. Er sah in seinen schwarzen Jeans und seinem weißen Hemd, wie der typische CEO aus. Nur die Rolex- Armbanduhr an seinem Handgelenk verriet mir, dass er zu den Reichen der Stadt gehörte. Smaragdgrüne Augen schauten mich einige Augenblicke stumm an, dann hörte ich ihn das erste Mal etwas sagen. „Lyjana Hathaway. 15 Jahre alt. Geboren am 24. Mai 2002 in Hamburg" Ich hatte keine Ahnung, was er mir damit sagen wollte, doch ich war verwirrt. Ich kannte diesen Mann nicht, hatte ihn noch nie zuvor gesehen, doch er schien mich genauestens zu kennen. Die Frage, woher er dies alles wusste, stellte ich erst gar nicht. Als ich keine Reaktion auf diese Aufzählung banaler Fakten von mir gab, wurden seine wunderschönen Augen zu den harten Kristallen, die seine Namensvetter waren. „Stimmt das?", fragte er mich sanft. Schnell nickte ich hastig. „Gut", kam es von ihm, „Wir erden eine Menge Spaß zusammen haben, Lyjana" Als er dieses Mal meinen Namen nannte, bemerkte ich die Betonung auf dem YJ, was mir absurder Weise sofort gefiel, wobei ich bis heute nicht sagen kann warum. „Was hast du mit mir vor?", fragte ich ihn, dabei zuckte ich vor meiner eigenen Stimme zurück. Sie klang heiser und war nur noch ein Krächzen. Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig und durstig ich eigentlich war und fragte mich gleichzeitig, seit wie viel Tagen ich schon hier war bzw. wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte.
Erik schien ebenfalls zu der Erkenntnis gekommen zu sein, dass ich was essen sollte, denn er verschwand kurz durch die wieder lautlos aufgehende Tür und kam kurz darauf mit einem Tablett voll Nahrung zurück. Die Tür machte mir noch immer ihre Sorgen, denn ich hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass er irgendeine Taste gedrückt hatte, damit sie aufging. Auch konnte ich mir nicht zusammenreimen, wie auf einmal der Tisch aus dem Boden gefahren kam, aber wenigstens bestätigte sich damit meine Vermutung, dass dieser Raum mehr verbarg, als es den Anschein hatte. „Wer bist du?", versuchte ich es mit einer anderen Frage, doch ich bekam wieder nur Schweigen als Antwort. Dafür hielt er mir kurz darauf ein Stück Apfel hin, doch ich verweigerte es. Ich wollte zuerst eine Antwort. Wortlos sah er mir tief in die Augen, bevor er das Apfelstück selbst aß. Bei dem zweiten verweigerte ich es noch immer. Daraufhin zuckte er nur mit den Schultern und wandte sich zum Gehen, doch ich konnte ihn gerade noch davon abhalten. „Warte. Bitte. Bleib", flehte ich ihn an, wobei meine Stimme mittlerweile nur noch ein heiseres Flüstern war. Kurze Zeit blieb er wie erstarrt stehen, dann drehte er sich zu mir um, war schneller da, als ich dachte und schon spürte ich seinen Atem auf meinem Gesicht, als er zu mir runter sah. „Denkst du etwa, ich wäre einer dieser Personen, bei denen du nur mit dem Finger schnippen musst und ich komme sofort angelaufen?", fragte er mich mit ruhiger Stimme, doch diese hätte nicht bedrohlicher klingen können. „Nein, ich...", begann ich, doch er schnitt mir mit einem sanften Streicheln meiner Wange das Wort ab. Mir stockte der Atem und ich zuckte zurück, dabei schlug ich mir den Kopf an der Wand hinter mir an. Ich stöhnte. Und Eriks Lippen umspielte ein Lächeln. „Weißt du", begann er, trat dabei noch näher an mich heran, „du wirst dich noch an den Tag zurückwünschen, an dem du nicht vor Schmerzen schreist und mich nicht um alles anflehen musstest."
Ich schluckte schwer, musste das eben gesagte zuerst einmal verarbeiten und wollte ihm noch etwas erwidern, doch er war schon wieder raus aus dem Zimmer und ich sah nur noch die Tür zugleiten. Jetzt sah ich vor mir nur noch eine weiße nahtlose Wand. Doch die sah ich nicht lange, denn eine Sekunden später ging das Licht wieder aus und ich befand mich wieder in stockdunkler Finsternis. Als nächstes hörte ich ein Klicken direkt über mir und ich bin reflexartig zu schreien. Einen Moment später lag ich mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Erst als ich eine gefühlte Ewigkeit dort liegen blieb, realisierte ich, dass das Klicken nur das Öffnen meiner Handfesseln gewesen war. Mein Körper hatte mich nach dem langen Stehen nicht mehr tragen können, da er die ganze Zeit so angespannt war. Das Resultat war, dass ich jetzt am Boden lag. Bei dem Sturz hatte ich mir das Knie an dem Tisch angeschlagen, der noch immer da zu sein schien. Dort würde ich sicher einen blauen Fleck bekommen und da ich auf mein Gesicht gefallen war, wohl auch dort einen. Doch die blauen Flecken waren momentan mein kleinstes Problem, denn mittlerweile hatte sich mein Magen vor Hunger verkrampft. Auf der Suche nach dem Tisch mit etwas Essbarem darauf, kroch ich auf allen Vieren den kalten Boden entlang. Doch schließlich hatte ich auch ihn gefunden und konnte meinen Magen wenigstens notdürftig beruhigen.
Nach dem Essen rollte ich mich in einer Ecke zu einem kleinen Ball zusammen und wiegte mich leicht hin und her. Die gesamte grausame Realität schlug mit voller Wucht nun auf mich ein und in meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß, bis ich haltlos anfing zu weinen. Ich war nämlich keineswegs das mutige, taffe Mädchen, das ich vorgab zu sein- ganz im Gegenteil. Ich war verstört, müde und völlig am Ende."
Für einige Augenblicke herrschte eine Tortenstille im Gerichtssaal, sodass Lyjana sogar ihren eigenen Atem hören konnte. Dann erhob sich langsam ein Stimmengemurmel unter den Anwesenden und sogar die Staatsanwaltschaft steckte noch einmal ihre Köpfe zusammen. Lyjana und Erik tauschten einvernehmliche Blicke miteinander, aber sie wurden von der Richterin schnell unterbrochen. „Wenn ich Ihnen noch eine Frage stellen dürfte, Miss Hathaway, warum haben Sie in dieser ersten Zeit nie versucht um Hilfe zu schreien?", fragte diese Lyjana. Im Saal wurde es wieder still, denn alle erwarteten gespannt die Antwort der jungen Frau. „Ich weiß es nicht", gestand diese schlicht. Sofort wurden wieder einige Stimmen laut, aber die der Staatanwaltschaft übertönte alle. „Was soll das heißen?!", fragte sie anklagend, doch bevor Lyjana noch irgendetwas antworten konnte, meldete sich Erik zu Wort und dabei klang seine Stimme alles andere als ruhig.
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Sag es!
TerrorWenn der Tod einem begegnet können die meisten Menschen nicht mehr entfliehen, doch für Lyjana Hathaway ist der Tod nicht das Ende - nein. Der Tod will sie und er spielt ein grausames Spiel mit ihr in dem nicht nur ihr Leben der Einsatz ist, jede S...