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Kierran

Es war Nacht. Tiefste Nacht, denn die große Uhr schlug gerade Mitternacht. Doch ich konnte trotzdem immer noch nicht schlafen. Ich musste schon die ganze Zeit an meinen Traum denken, den ich vorhin gehabt hatte.

Ich war draußen gewesen. Nein, nicht nur draußen im Hof, sondern ganz draußen. In der großen, weiten Welt, im wilden Wald.

Ich war zusammen mit meinem Vater auf der Jagd gewesen, wir hatten uns eine Blumenelfe als Beute ausgemacht, uns langsam angeschlichen und sie beobachtet.

Das kleine Wesen hatte lila Haut und Haare, die aussahen wie die Samen einer Pusteblume. Außerdem hatte die Elfe durchscheinende, schimmernde Flügel, die denen einer Libelle ähnelten.

Wir beobachteten, wie sie den Nektar der umstehenden Blüten auf der Lichtung einsammelte und dabei ein Lied sang.

Wir registrierten jede ihrer Bewegungen und schließlich gab Vater das Zeichen zum Angriff. Wir schlichen uns noch näher an sie heran und trennten uns, damit wir gleichzeitig von zwei Seiten angreifen konnten. Wir bewegten uns lautlos durch das dichte Gebüsch, bis wir uns in einigem Abstand genau gegenüber standen.

Schließlich nickte Vater und wir beide wollten gerade aus dem Gebüsch springen, als ein lautes Rascheln im Wald hinter uns unsere Aufmerksamkeit erregte, sofort war die Blumenelfe vergessen, als hinter dieser ein riesiger schwarzer Schatten aus dem Gebüsch sprang. Er knurrte wild und die Blumenelfe schwirrte schnellstmöglich davon.

Als ich einen genaueren Blick auf den Schatten warf, erkannte ich, dass er ein Wolf war. Ein riesiger Wolf.

Mein Name ist Kierran, erster und einziger Prinz des Eisernen Hofes. Meine Mutter ist die Eiserne Königin und Tochter von Oberon, dem Sommerkönig, Meghan Chase, mein Vater Ash, der ehemalige Prinz des Winterhofes und Sohn von der Winterkönigin Mab.

Meine Mutter ist zudem nur eine halbe Fee, denn ihre Mutter ist ein Mensch. Mein Vater ist rein theoretisch auch ein Mensch, denn er hat vor einiger Zeit eine lange Reise mit vielen Gefahren auf sich genommen, um eine Seele zu erlangen und ein Mensch zu werden. Andererseits ist in ihm anscheinend immer noch ein Stück Fee, denn er hat die Fähigkeiten einer Winterfee behalten.

Also bin ich quasi eine Vereinigung aller Arten: Ich bin teils Sommer-, teils Winter- und teils Eiserne Fee und dazu noch teils Mensch und teils Fee.

Mein Leben am Eisernen Hof verlief eigentlich recht normal für das eines dreizehn-jährigen Halbmensch-Halbfee-Wesens. Ich wurde von meinem Vater in Bogenschießen, Zweikampf und Umgang mit dem Schein unterrichtet. Außerdem musste ich mich auch durch sowas langweiliges wie Pflanzenkunde, Spuren lesen oder Geschichte quälen.

Aber ich fühlte mich wohl, es war halt mein zu Hause. Ich hatte zwar keine gleichaltrigen Freunde, weil es die Eisernen Feen noch nicht so lange gibt, aber ich verstand mich auch gut mit den Erwachsenen. Und ich konnte ja auch noch mit den Gremlins und Beau spielen.

Die Gremlins sind lustige kleine Feen, die aussehen wie eine Mischung aus Affe und Fledermaus. Sie haben riesige Ohren, lange Arme, grüne Augen und scharfe, neonblaue Zähne. Die Gremlins leben in Horden und sind fast immer und überall in Mag Tuiredh zu sehen und hören.

Mag Tuiredh ist die Hauptstadt des Eisernen Reiches. Es wird auch die Stadt der Formoranier genannt, weil vor sehr, sehr langer Zeit diese Riesen hier gewohnt hatten.

Neben den Gremlins lebten hier im Eisernen Reich auch noch jede Menge andere Eiserne Feen. Es gibt Wanzen, Hacker, Drachen, die aus Schrott bestehen zu scheinen, libellenähnliche Gleiter und natürlich die Eisernen Ritter.

Die Ritter begleiten meine Mutter immer und überallhin, was auf Dauer wahrscheinlich ein bisschen nervig ist. Aber sie sind nun mal unglaublich loyal ihrer Königin gegenüber und wollen nicht, dass ihr etwas zustößt, was auch gut so ist, denn es gibt viele Gefahren, die die Königin bedrohen.

Zum ersten ist es so, dass es das Eiserne Reich noch nicht so lange gibt, wie die anderen Reiche und das es außerdem bis vor kurzem als Feind angesehen wurde.

Erst seitdem Meghan Chase die Eiserne Königin war, wollten die Eisernen Feen nicht mehr die anderen Reiche vernichten, was sie zweifellos könnten, da die Altblütler, wie viele Eisernen Feen die ursprünglichen Feen nennen, kein Eisen vertragen.

Aber meine Mutter hatte es irgendwie hingekriegt, dass der Sommer-, sowie der Winterhof einen Friedensvertrag unterschrieben.

Trotzdem gab es noch einige Altblütler, die das Eiserne Reich noch bekämpfen wollten. Sie wollten die Eiserne Königin umbringen und somit die Toten rächen, die im Krieg gegen das Eiserne Reich gefallen waren, als noch der alte Eiserne König regierte.

Der alte König wollte die anderen Reiche vernichten und hätte dies auch geschafft, wären nicht Meghan Chase, Ash und noch einige Gefährten von ihnen gewesen und sie aufgehalten hätten.

Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich hatte also diesen seltsamen Traum und konnte einfach nicht aufhören, daran zu denken. Es war schon komisch, dass ich gerade jetzt davon träumte... Oder dass ich überhaupt träumte. Normalerweise träumen Feen nicht. Sie besitzen nicht so starke Emotionen wie Menschen und sie machen sich keine Gedanken über die Vergangenheit und die Zukunft. Für uns gilt nur das Hier und Jetzt.

Natürlich habe ich auch etwas von einem Menschen in mir, aber träumte trotzdem nicht sonderlich oft. Mit nicht sonderlich oft meine ich, ich habe eigentlich noch nie geträumt. Aber ich hatte ein paar Mal gehört, wie meine Eltern sich über ihre Träume unterhielten.

Wahrscheinlich war ich einfach nur zu müde, denn heute hatte Vater besonders hart mit mir trainiert.

Zuerst hat er mir beigebracht, wie man zum Beispiel jemanden mit Eiszapfen bewerfen oder Dolche aus Eis aus seinen Fingern fliegen lassen kann. Das hat mich schon einiges an Kraft gekostet und ich war nach zwei Stunden Training total platt. Aber Vater hatte nur gesagt: „Ruh dich eine halbe Stunde aus, trink was und dann üben wir Zweikampf."

Eine halbe Stunde später übten wir Zweikampf. Keine Widerworte. Bei sowas konnte Vater echt total hart sein und wenn man sich ihm widersetzte, sagte er Mutter Bescheid und die wurde dann richtig sauer, weil sie sowieso schon zu viel zu tun hatte. Also lieber immer zustimmen, dann gab es keinen Ärger.

Schließlich hatte ich insgesamt fünf Stunden Training hinter mir und bin nur noch ins Bett gefallen und eingeschlafen.

Ich dachte noch ein wenig über diesen Traum nach, bis ich einen Entschluss fasste.

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Ich widme dieses Kapitel Einhornregenbogen, weil wir zusammen die Idee für diese Geschichte hatten und uns schon alles haarklein bis zum Ende plus Epilog überlegt haben :D

Zwischen den Welten [ALTE VERSION]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt