Zuhause

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Als wir im Escala ankommen, fühlte ich mich schlagartig besser. Hier habe ich mehr Kontrolle. Ana ist nun in Sicherheit und ich kann mich um sie kümmern, ohne Einmischung und in meinem Einflussbereich. Grace wirft mir fragend-besorgte Blicke zu. Ana ist in der Tiefgarage aufgewacht und wie ein Zombie nach oben gegangen. Im Aufzug sah sie starr geradeaus und reagierte nicht auf Graces Versuche, mit ihr zu reden.

Ich bitte Ana leise, im Wohnzimmer Platz zu nehmen und führe Grace ein mein Büro, nachdem Ana langsam zur Couch gegangen war und sich gesetzt hat.

„Himmel, Christian, wo hast du sie gefunden? Was ist bloß mit ihr passiert?"

Grace ist total geschockt, aufgelöst und betroffen. Und ich werde ihr heute noch mehr zusetzen müssen.

„Mom, bitte. Kannst du dafür sorgen, dass sie schläft? Ich will sie nicht ruhig stellen, aber ihre erste Nacht hier sollte auch keine Aufregungen mit sich bringen, damit sie sich hier sicher fühlt. Wenn sie im Bett ist, reden wir. Es ist schon spät."

Genau genommen, es ist fast schon Morgen. Halb vier, wie mir ein Blick auf die Uhr verrät. Grace nickt und sieht mich fragend an.

„Wo soll sie schlafen?"

Die Frage ist berechtigt, aber ich kann sie nicht in dem Gästezimmer, oder wie sie es genannt hätte, in dem Sub-Zimmer unterbringen. Sie soll wissen, dass sie hier zu Hause ist.

„Sie schläft bei mir!"

Mein Ton duldet keinen Widerspruch und Grace nickt. Sie kramt in ihrer Tasche und nimmt eine Medikamentendose in die Hand, die sie mir dann hinhält.

„Zwei Tabletten mit Wasser. Es macht sie müde, aber knockt sie im Notfall nicht aus und es ist schonend für den Körper."

Ich höre, was Grace nicht ausspricht. Ana ist zu dünn, sie sieht angegriffen aus, und das nicht nur wegen ihrem passiven Verhalten.

„Wartest du kurz?", frage ich Grace und sie nickt.

Ich gehe ins Wohnzimmer und hole ein Glas Wasser. Ana sitzt auf der Couch, mit durchgedrücktem Rücken, sie sieht angespannter aus als in den letzten Tagen. Sie fühlt sich hier nicht so wohl wie in Australien, aber warum ist das so? Liegt es an der Wohnung? An mir? Oder an ihrer Rückkehr in dieses Land? Vorsichtig gehe ich vor ihr in die Hocke.

„Ana, Schatz, hier. Nimm die Tabletten. Dann kannst du besser schlafen."

Normalerweise kommt sie allen Aufforderungen von mir nach, aber jetzt sieht sie nur auf die kleinen weißen Pillen vor sich. Unvermittelt nimmt sie diese, doch statt sie zu schlucken, wirft sie sie in den Raum. Ich höre das Geräusch, das die Pillen auf dem Boden machen. Sie will keine Tabletten nehmen, und zwingen will ich sie nicht. Vorsichtig halte ich ihr meine Hand hin und sie nimmt sie. Ich gehe mit ihr in mein Schlafzimmer und an der Tür wird sie langsamer. Ihre Augen schweifen durch den Raum und ich sehe, wie Tränen sich in ihnen sammeln. Ich will nicht, dass sie weint, aber es ist die erste menschliche Reaktion seit ihrem Zusammenbruch, die ein Gefühl ausdrückt.

„Ana, du musst schlafen. Komm, ich helfe dir im Bad."

Vorsichtig führe ich sie ins angrenzende Badezimmer und sie erstarrt. Ihr Blick bleibt an der Dusche hängen und sie weicht zurück. Fuck. Sanft halte ich sie von hinten an den Schultern fest und drehe sie zum Waschbecken. Aus einem Impuls heraus reiche ich ihr meine Zahnbürste und wie in Trance nimmt sie diese. Noch ein Fortschritt? Oder eine automatische Reaktion.

„Ich komme gleich wieder. Putz dir die Zähne, ich lege dir einen Pyjama von mir raus. Du musst schlafen, Ana," wiederhole ich. Sie reagiert nicht auf meine Stimme, gehorcht aber und fängt an, sich mechanisch die Zähne zu putzen. Ich fliehe zu Grace und bitte sie, Ana beim Umziehen zu helfen. Ich habe Angst, sie in der gewohnten Umgebung alleine zu lassen. Angst davor, dass sie irgendwie darauf reagiert und es noch schlimmer wird. Kann es überhaupt noch schlimmer werden? Nervös gehe ich im Büro auf und ab und warte auf Grace. Auch ich bin müde, aber an Schlaf kann ich jetzt nicht denken.

50 Shades of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt