Erleichterung

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Am nächsten Morgen komme ich um vier Uhr an dem modernen Glaskasten an, in der Samuel First Aid Pharma angesiedelt hat. Die Firma besitzt ein großes Freigelände, eine Tiefgarage und einen wirklich ruhige Lage. Ich konnte nicht schlafen, der gestrige Abend hat mir jede Ruhe genommen.

Ihre Worte, als ich meine Finger in ihr versenkt hatte und auf eine Reaktion gehofft hatte, waren wie eine eiskalte Dusche gewesen. Geschockt war ich zurückgewichen, während mein Schwanz schmerzhaft dagegen protestierte. Ich würde ihr nicht den Gefallen tun auf ihr kaltes Angebot einzugehen. Außer in meiner frühesten Kindheit hatte ich nie wieder einen solchen Kontrollverlust, eine solche Unsicherheit in einer Situation verspürt. Wenn ich sie jetzt nehmen würde, wäre das auf ihrer Liste ein voller Sieg nach Punkten. Obwohl ich keinen Zweifel hatte, dass sie es ebenso genießen würde, in diesem Moment konnte ich nur an meine Ana denken und hasste die Frau, die ich eben fast gevögelt hätte. Sie war sich ihrer Macht bewusst und war ohne ein weiteres Wort wieder zum Tisch gegangen, wo sie entspannt angefangen hatte, ihr Lamm zu essen, so als ob überhaupt nichts passiert wäre

Ich selbst folgte nach einem Moment, nicht beruhigt, aber in dem Versuch, mich normal zu verhalten. Mein Essen übte zum ersten Mal keinen Reiz auf mich aus und ich stocherte nur unmotiviert darin herum. Ich hatte einen fahlen Geschmack im Mund und wurde mit der Situation nicht fertig. Ich brachte kaum etwas hinunter und zum ersten Mal seit ich denken konnte, würde mein Teller halbvoll zurück gehen. Eine Premiere.

Ich brauchte einen wirklich funktionierenden Plan. Ich war mir einer Sache sicher, Ana war noch irgendwo. Ihre körperliche Reaktion nährte diese Hoffnung. Vor allem musste ich meine Hormone in den Griff bekommen, meine lange Enthaltsamkeit war hier gerade nicht hilfreich. Während mein Geist, meine Seele nach der Frau lechzten, die ich geliebt und verloren hatte, wollte mein Körper zwischen Rose und Ana wohl keinen Unterschied anerkennen. Ich sah ihr zu, wie sie ihr Essen aufaß und ärgerte mich sogar ein wenig, dass ihr unser Treffen nicht mal auf den Magen geschlagen war. Sonst hatte meine Ana immer mit mangelndem Appetit reagiert, wenn ihr etwas nahe ging. Somit konnte ich nur vermuten, dass Miss Lambert offensichtlich total unbeeindruckt war.

Wo war meine Ana nur hin? Viele kleine Eigenheiten schienen verschwunden zu sein, und ich vermisste sie schrecklich. Das auf die Lippe beißen, zum Beispiel. Der unsichere, fast schüchterne Blick unter gesenkten Wimpern hervor. Oder die verräterische Röte, wenn sie erkannt hatte, wohin meine Gedanken abwanderten. Sogar der leicht vorsichtig-ängstliche Blick, wenn sie vermutete dass ich sauer auf sie sein könnte. Einen Moment schloss ich die Augen und wünschte mir, sie wäre hier. Ich wollte meine Nase in ihren langen Haaren vergraben und ihre Hände an mir spüren. Ich konnte nicht akzeptieren, dass ich sie verloren hatte. Und daran würde ein Tag mit dieser Hexe nichts ändern. Ich würde Ana wieder herauslocken müssen. Erstaunlicherweise wurde ich ruhiger, als ich an Ana dachte und Rose Lambert ausblendete. Sie war mein Licht, mein Weg aus meiner Dunkelheit. Ich würde dies hier nicht akzeptieren, sondern alles tun, um sie wieder zu bekommen. Und dazu musste ich feststellen, ob sie überhaupt noch da war – ob meine Ana in dieser kalten, herzlosen Person noch einen kleinen Platz hatte. Kein Mensch konnte sich so radikal verändern, ohne etwas von sich zu bewahren, oder?

Als ich in die Tiefgarage fahre – Taylor habe ich frei gegeben, auch er braucht mal Urlaub – steht nur ein rotes, schnittiges Mercedes Sportcoupé und ein gelbes Motorrad, eine Suzuki GSXR, auf den Mitarbeiterparkplätzen. Offensichtlich ist es ihr Auto, schließlich ist sie gestern mit dem Taxi vom Restaurant weggefahren. Kurz überlege ich, wie sie heute wohl ins Büro kommt, beschließe aber, dass es mir egal ist. Scheißegal. Meinetwegen kann sie auf einem Besen reiten, das würde zu ihr passen.

Ich gehe zu Fuß in die Eingangshalle, wo ein älterer, grauhaariger Wachmann mich höflich mustert. „Mr. Grey, so früh schon auf den Beinen?"

50 Shades of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt