Ana spricht

1.4K 51 9
                                    

Ich sitze bei John Flynn und bin innerlich tot.

Christian hat Rose Lambert zum Schweigen gebracht, hat mir meine einzige Freundin, die Frau, die mich in den vergangenen dreieinhalb Jahren vor allem geschützt hat, genommen.
Kein körperlicher Schmerz könnte schlimmer sein. Ich habe seit Tagen nur wenig gesagt, Christian behandelt mich so verständnisvoll, wie eine Glaspuppe, die jeden Moment zerbrechen könnte. Die Medikamente helfen ein wenig, ich nehme meine Umgebung bewußt war, aber ich will nur meine Ruhe. Warum nur hat er mich hierher gebracht? Ich will nach Hause.

Die gütigen Augen des Mannes vor mir sehen mich aufmerksam an. Es ist unsere fünfte Sitzung, während der ersten vier habe ich stoisch geschwiegen. Vier mal zwei Stunden Schweigen, während er mich nur gütig und verständnisvoll mustert. Doch langsam bröckelt mein selbstauferlegtes Schweigen, vielleicht auch, weil ich erkenne, dass ich noch in den nächsten Jahren jeden Tag hier sitzen werde, und wenn ich nicht endlich rede, wird John Flynn mich jahrelang mitfühlend ansehen. Diese Erkenntnis kratzt unangenehm an meiner Ruhe, wie Fingernägel auf einer Tafel.

„Was wollen Sie wissen?" Ich brauche Rose, sie muss mir jetzt helfen. Rose!

John sieht erfreut aus, und Christian zuckt zusammen, als ich spreche.

„Darf Christian dabei sein?"

Ich nicke, und auf einmal ist Rose bei mir, ich kann ihre Stärke fühlen, ihre Wut, ihre Kälte.

„Von mir aus können wir es in einem vollbesetzten Footballstadion machen. Es spielt keine Rolle. Von mir aus kann er bleiben."

Egal, wie vielen Leuten ich es erzähle, Christian wird es nicht verstehen. Er wird mich hassen. So, wie ich ihn hasse. Christian sieht gequält aus.

„Ana, was ist an dem Abend passiert, als Sie nicht zum Treffen mit Christian gekommen sind?"

Ich sehe auf meine Hände, ruhig und beherrscht. Es ist so lange her, und doch ist dieser Tag wieder so präsent, als wäre er erst gestern gewesen.

Rose hatte nie daran gedacht. Rose war klüger als ich. Rose hat nicht geliebt, Rose wurde nie verletzt, hat nichts gefühlt. Rose war da gewesen, wenn ich die Farm verlassen musste, und sie hat Ana vor ihren verletzten Gefühlen beschützt. Rose hatte keinerlei Empfindungen.

„Es begann schon einige Tage zuvor. Nicht an diesem Abend."

John sieht mich aufmerksam an, ich ertrage diesen mitfühlenden Blick nicht länger. Meine Augen schließen sich, und jetzt übernimmt Rose. Als ich die Augen wieder aufschlage, erstarrt John.

„Ana?" seine Stimme klingt unsicher.

„Nein. Rose. Ana braucht einen Moment." John scheint sich nicht zu wundern.

Ich bin nur noch eine leise Stimme, eine Erinnerung dieser mutigen Frau, aber es ist mir Recht.

Bitte, Rose, erzähl du es ihnen.

Ein kalter Blick zu Christian und auch er sieht geschockt aus.

„Haben Sie ein Problem damit, Mr. Grey?"

Christian zuckt zusammen, als er die spöttische Stimme meiner Retterin hört.

Rose, bitte, erzähl es ihnen. Ich will hier raus.

„Ana erfuhr, dass sie schwanger war. Sie vermisste Christian, und wollte wieder mit ihm zusammen sein, hatte aber Angst, ihm von der Schwangerschaft zu erzählen. Ana war starr vor Furcht, aber er bemühte sich so sehr, sie wieder für sich zu gewinnen. In der sechsten Schwangerschaftswoche entschloss sie sich, mit Christian zu sprechen. Nicht nur, weil sie ihn vermisste, er sollte auch wissen, dass sie schwanger war und das Kind auf jeden Fall wollte. Dann hätte er sich entscheiden können und wenn er sie noch gewollt hätte, wäre sie zu ihm zurückgekehrt."

50 Shades of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt