Kapitel 3; Schlangennacht

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SAM

Ich saß auf meinem neuen Platz im Klassenzimmer des Englischkurses  und fand mich von den Blicken meiner neuen Mitschüler umzingelt. Während ich eingeengt zwischen Stuhl und Tisch saß, fragte ich mich, was ich den ganzen Jugendlichen, die mich nun mit ihrem hasserfüllten Blicken durchbohrten, getan hatte. Schließlich war ich mir sicher, dass ich mich so selbstbewusst wie möglich gegeben hatte, um nicht zur Zielscheibe von Mobbern zu werden. Und dann schrak ich plötzlich zurück, als aus den Augenhöhlen meiner Mitschüler Schlangen wuchsen, die sich wie riesige Würmer in Augenhöhlen wanden und immer näher in meine Richtung kamen. Schnell versuchte ich von meinem Stuhl aufzustehen, einfach wegzukommen, um diesen schrecklichen Ort zu verlassen, ich konnte mich nicht bewegen, saß wie gelähmt auf meinem Platz und kam nicht vom Fleck. Mein Herz pochte, mein Puls raste, doch so sehr ich es auch versuchte, ich war gefangen. Ein Schrei zeriss meine Kehle und-

Schweißgebadet schlug ich meine Augen auf, erblickte sogleich die erdrückende Dunkelheit meines neuen Zimmers. Erleichtert stellte ich fest, dass ich nur geträumt hatte und wischte mir mit meinem T-Shirt den Schweiß von der Stirn. Der Raum, den ich seit kurzem mein Eigen nennen durfte war ziemlich klein, sodass gerade mal ein Bett, ein Schreibtisch und ein Schrank hineinpassten und mir somit kaum Luft zum atmen ließen. So, wie die gesamte Wohnung, in die wie eingezogen waren.
Aber es reichte nun einmal nicht für mehr und ich machte meinem Vater auch keine Vorwürfe. Ich sah auf die Uhr und die roten Ziffern verrieten mir, dass ich nur noch eine Stunde zu schlafen hatte. Doch ich war sowieso viel zu aufgewühlt, um mich wieder zu entspannen, also schlug ich meine Decke zur Seite. Auf dem Weg zur Dusche stolperte ich fast über meine Schultasche. Ich fluchte leise, und ärgerte mich darüber, dass alles hier so verdammt eng war.
Im Badezimmer knipste ich das Licht an und fuhr mir gähnend durch meine kurzen Haare, als ich in den Spiegel vor mir sah. Oder besser gesagt begegnete ich einem Chaos von Haaren, welches mir unschuldig entgegenblickte. Ich hatte eine Frisur, den jeder andere als Jungenhaarschnitt bezeichnen würde. Noch dazu hatte ich ziemlich dickes Haar. Alles in allem war das morgens einfach keine gute Kombination. Seufzend und meinen Wuschelkopf ignorierend, entledigte ich mich meines Schlafanzugs und stieg unter die Dusche.

Eine Stunde später, mit Haaren, die wieder einigermaßen akzeptabel auf meinem Kopf lagen, frühstückte ich mit einer Zeitung in der Hand und hatte meinen verstörenden Traum von vorhin schon längst wieder vergessen.
Während ich also durch das Weltgeschehen blätterte hörte ich wie sich ein Schlüssel in dem Schloss der Haustür drehte und mein Vater müde,  so wie jeden Morgen, die Wohnung betrat.

Er arbeitete nachts in Schichtarbeit in seinem neuen Job. Nach dem Umzug hatte er einfach keine bessere Stelle gefunden. Als er die Küche betrat wuschelte er mir zur Begrüßung durch die Haare und setzte sich herzhaft gähnend auf seinen Stuhl.

"Morgen.", sagte ich und schob ihm sein Frühstück über den Tisch. Dankbar lächelte er mich an und begann zu essen. Über meine Zeitung hinweg blickte ich ihn an. Er erinnerte mich ein wenig an einen tapferen Soldaten. Er war dünn, hatte aber trotzdem viele Muskeln und wirkte dadurch sehr zäh und sehnig. Von der harten Arbeit waren seine Schultern gebeugt und seine einst strahlend blauen Augen wirkten müde und blass. Dennoch. Mein Vater hatte trotz seines Alters seine stolzen, schönen Gesichtszüge mit der geraden Nase und dem markanten Kinn nie verloren.
Er hingehen pflegte immer zu sagen, ich hätte die wunderschönen, tiefseeblauen Augen meiner Mutter geerbt und sah mich dann jedes Mal stolz an.

Schweigend aßen wir, beide zu müde um etwas zu sagen. Außerdem waren wir sowieso nicht von gesprächiger Natur und verstanden uns meist ohne Worte.

Nach dem Essen stand er auf, gab mir einen Kuss auf die Stirn und taumelte müde in sein Schlafzimmer. Ich war mir sicher, dass er sofort eingeschlafen war.

Ein unangenehmes Pochen machte sich plötzlich in meinem Magen breit und ich starrte auf die klebrige brauen Brühe in meiner Tasse. Ich vertrug eindeutig keinen Kaffee, aber an Tagen wie diesen war ich auf ihn angewiesen. Wie sonst sollte ich unausgeschlafen den Unterricht überstehen?

***
Der Weg zur Schule schien mir an diesem Morgen viel zu kurz zu sein.
Als ich den Motor meines Wagens abschaltete, zog sich mein Magen fast schmerzhaft zusammen und ich klammerte mich an das Lenkrad. Mir fiel der Traum von heute Nacht wieder ein und mein Puls beschleunigte sich von ganz allein wieder.

Keine Panik, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Ich brauchte keine Angst vor meinen Mitschülern zu haben, es war nämlich verdammt unwahrscheinlich, dass aus ihren Augenhöhlen Schlangen kriechen würden. Dennoch wollte die Übelkeit einfach nicht verschwinden und ich machte mich seufzend auf den Weg ins Schulgebäude.

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