Kapitel 9; Arbeit

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AVA

Er rief mich unerwartet an, als ich mit meiner Mutter zusammen zu Abend aß. Wenn es mal dazu kam, dass ich um diese Zeit Zuhause war, saßen wir am Esstisch und schwiegen einander an.
Als mein Vater noch lebte, kam mir das Haus schon damals sehr groß vor, aber längst nicht so gespenstisch wie heute. Jetzt war es meistens leer und wirkte einsam und verlassen.
Ich hasste das. Denn das war der Grund, weshalb ich ungewöhnlich viel Zeit bei meinen Freunden verbrachte. Ich war selbst ein gern gesehener Gast bei Peters Eltern und durfte bei ihnen zu Abend essen, so oft ich wollte.

Mir schien fast, als würden wir beide, meine Mutter und ich, tagsüber absichtlich viel planen, damit wir unsere Zeit nicht im stillen Haus verbringen mussten. Sie hatte ihre Anwaltskanzlei und ich meinen Fußball. Ich trainierte deshalb auffällig oft und härter als meine anderen Teamkameraden.
Hin und wieder begleitete mich Jane, was die ganze Sache etwas geselliger machte und Peter stieß dann auch manchmal nach einer Weile zu uns.

Doch an diesem Abend trainierte ich nicht auf eigene Faust und sah mich deshalb gezwungen nach Hause zu gehen und mit meiner Mutter zu essen. Sie hatte Spagetti mit Garnelen gekocht und wollte mich gerade fragen, ob mir das Essen schmeckte, als just in diesem Moment das Telefon läutete.
Und unser Telefon klingelte äußerst selten. Meine Mutter und ich warfen einander einen kurzen Blick zu, doch schon stand ich auf, durchquerte den Raum und griff zum Hörer.
"Hallo?", fragte ich.
"Hallo Ava.", konnte ich die Stimme meines Onkels hören.

"Onkel Andrew? Was gibt's? Ist irgendwas passiert?"

"Nein, nein alles in Ordnung.", antwortete er schnell. "Ich rufe nur an, weil ich deine Hilfe brauche."

"Wobei?", fragte ich und konnte dabei das Misstrauen, das bei diesem Wort mitschwang nur schwer unterdrücken.

"Nichts wildes. Du sollst mir nur für ein paar Wochen im Laden aushelfen. Ich habe beschlossen zu expandieren und deshalb brauche ich deine Unterstützung, bis ich jemand passendes Gefunden habe."

Mein Herz machte einen Hüpfer und ich konnte meine Füße kaum am Boden halten, so glücklich war ich darüber.
"Wann kann ich anfangen?", fragte ich also und ich konnte das Lachen meines Onkels durch den Telefonhörer hören.
"Morgen ist Samstag. Komm um acht. Und sei pünktlich!"

"Jaja, schon klar.", murrte ich und legte auf.
Dann ging ich zurück zum Esstisch, stopfte die restlichen Nudeln in mich rein und stellte das Geschirr in die Spülmaschine, bevor ich nach oben in mein Zimmer verschwand.

Endlich durfte ich wieder an Computern rumbasteln, sie auseinandernehmen, reparieren und wieder zusammenbauen. Es war schon Jahre her. Schnell stellte ich mir einen Wecker und entledigte mich meiner Kleidung, um dann in mein Bett zu klettern.
Morgen würde ich die Erwartungen meines Onkels so sehr übertreffen, dass er mich behalten musste, grinste ich in mich hinein.
Doch als ich an Paul dachte, viel mir plötzlich wieder Sam ein.
Verdammt. Sie würde morgen natürlich auch da sein. Ich hätte mich selbst schlagen können. Wie konnte ich das nur vergessen?

Doch dann beruhigte ich mich wieder. Alles würde gut gehen. Ich werde das schon schaffen, redete ich mir selbst ein. Und wenn überhaupt- was war eigentlich so schlimm daran? Das war schließlich der Laden meines Onkels. Ich hatte dort das Sagen. Und ganz bestimmt nicht diese Sam.


Sam

Ich wachte auf und starrte an die Decke meines Zimmers. Ich konnte die Staubkörnchen in der Luft über mir schweben sehen, die durch die einfallenden Sonnenstrahlen sichtbar wurden. Ich sah auf meine Armbanduhr, die ich am Abend zuvor nicht abgenommen hatte und stellte fest, dass es zehn vor sieben war und ich zehn Minuten vor meinem Wecker aufgewacht bin.

H(er)oes | gxg #Wattys2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt