Kapitel 5; Augenblick

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AVA

Kaum zu glauben, die große Ava Grace Phillippe hat doch tatsächlich nachgegeben, dachte ich resigniert, als ich in der letzte Reihe saß und den Rücken, des mir fremden Mädchens, welches vor mir saß, anblickte. Ich werde ihr Leben wohl zur Hölle machen müssen, ich hoffe ihr war das bei ihrer Entscheidung bewusst gewesen. So schwer es mir auch fallen wird. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht? Dass sie meine Autorität einfach so untergraben kann? Ihr wird alles Hören und Sehen vergehen, wenn ich erstmal mit ihr fertig bin.
Mr. Monroe quatschte an der Tafel vorne munter weiter und meine Gedanken glitten ab und suchten sich ihre eigenen Themen.

Kaum endete die Stunde, wurde ich von meinen Freunden empfangen, die alle wild durcheinander plappern über die Neue sprachen.

"Wie heißt sie eigentlich?", unterbrach ich den Wortschwall.
"Du meinst die Neue Freche?", antwortete mir Beth, sie stand mir am nächsten in der Gruppe, man könnte schon fast sagen, sie war so etwas wie meine beste Freundin. "Samantha glaube ich oder so. Ganz komischer Name, wenn du mich fragst.", lästerte sie munter weiter, doch ich ignorierte sie. Schweigend machte ich mich nach Verlassen des Klassenraumes auf den Weg zum Fußballfeld, dicht gefolgt von der Clique. Samantha, so hieß also die Kleine. Beth hatte Recht. Was für ein komischer Name.

***

Die anderen waren schon längst gegangen, nachdem sie mich zum Sporttrackt gebracht hatten. Ich zog mich zügig in der Umkleide um, denn ich war schon wieder zu spät und musste mich ein zweites Mal heute beeilen.
Wäre ich Teamkapitänin, dann hätte ich mit mehr Problemen rechnen müssen.
Früher war ich tatsächlich Teamkapitänin, jedoch wurde mir der Posten nach einem Vorfall von unserem Trainer aberkannt und so hatte Jane meinen Platz erhalten.
Jane. Ich dachte an sie und musste sofort grinsen. Wir waren uns in den letzten Monaten ein wenig näher gekommen. Aber das war nur rein körperlich, selbstverständlich.

Und sie war verdammt heiß, wie eine Göttin, der ich jeden Wunsch von den Lippen ablesen wollte, solange ich im Gegenzug freie Verfügung über ihren Körper haben durfte.
Ich zog meine Fußballsocken zügig über den Schonern hoch, band meine Schuhe zu und flitze aus dem Raum, raus aufs Feld, wo mich ein wütender Trainer und ein ebenso wütendes Team erwarteten.
Aber das machte mir nichts aus.
Sie konnten mich nicht rausschmeißen,  Fußball war mein Leben und ich war die beste Spielerin meines Alters weit und breit. Das Team brauchte mich.

Tatsächlich bekam ich nur wieder eine Verwarnung, die nicht schlimmer zu sein schien als all die anderen, die ich bereits bekommen hatte.

Und dann spielten wir.
Ich vergaß den Streit mit meiner Mutter.
Ich vergaß meine unterirdisch schlechten Noten.
Ich vergaß das mysteriöse neue Mädchen Samantha, das seit heute morgen in meinem Kopf herumspukte.

Ich vergaß einfach alles um mich herum und spielte mit Herz und Seele. Der Ball klebte fast schon wie ein Magnet an meinem Fuß und fand seinen Weg immer wieder zu mir, nur um dann mit voller Wucht auf das Tor zugeschmettert zu werden.

Meine Lunge brannte und mein Herz drohte meinen Brustkorb zu zerbersten, doch ich liebte dieses Gefühl.

SAM

Kaum endete der Unterricht, verzog ich mich in die Bücherei, vergrub mich regelrecht in den Seiten und Buchstaben diverser Bücher und konnte so endlich abschalten.
Dann schnappte ich mir zwei Romane, und lieh diese aus, stopfte sie beim Verlassen des Gebäudes in meine Tasche und wollte mich gerade auf den Weg zum Parkplatz machen, als ich plötzlich entfernte Geräusche hörte. Zuerst wusste ich nicht was ich davon halten sollte, bis ich feststellte dass es sich dabei um ein Rufen und Pfeifen handelte.
Wie angewurzelt blieb ich stehen und überlegte. Sollte ich nachschauen, wer dort ist, oder doch lieber nach Hause gehen?

Nach kurzem Ringen mit mir selbst, siegte meine Neugierde und ich schlug den Weg nach links ein. Wenige hundert Meter später wurde mir sogleich bewusst, dass ich auf den Sportbereich der Schule zusteuerte, dennoch kehrte ich nicht um.

Und dann sah ich sie. Das Fußballteam der Jefferson High. Tatsächlich handelte es sich dabei um die Frauenmannschaft der Schule, welche von einem strengen Trainer scharf beobachtet wurde.
Anscheinend waren die Jungs zu schlecht, um ein vorzeigbares Team abzugeben, schmunzelte ich.

Eine frische Brise kündigte den Frühlingsabend an, und strich durch meine Haare, als ich mich dem grünen Feld näherte.

Die Mädchen trugen allesamt weiße, langärmelige Trikots mit schwarzen Streifen und gemusterten Fußballsocken und flitzten über das Spielfeld.

Der Anblick, der sich mir bot, beeindruckte mich und so beschloss ich auf eine Bank der Zuschauertribüne Platz zu nehmen und dem Training eine Weile zuzusehen.

Mein Blick schweifte über die mir unbekannten Spielerinnen und ihre sportlichen Körper, als ich plötzlich bemerkte, dass ich tatsächlich doch jemand bekannt vorkam.
Es war das Mädchen aus dem Englisch Literatur Kurs. Ich kannte nur ihren Nachnamen: Phillipson.
Ihre honigblonden, wilden Haare hatte sie diesmal zu einem Zopf gebunden und zusammen mit dem Ball flog sie nur so über das Spielfeld auf das Tor zu. Und sie traf. Ich bewunderte ihre Schnelligkeit. Sie schien unheimlich gut in diesem Spiel zu sein, sie wirkte so sicher, als würde sie nichts jemals aus der Ruhe bringen können. Ganz offensichtlich war Fußball ihre große Leidenschaft.

Die Spielerinnen aus ihrer Mannschaft klatschten sich nach dem Tor ab und ich wollte schnell aufstehen, um mich noch unbemerkt davonschleichen zu können, als der Blick des Mädchens plötzlich meinem begegnete.

AVA

Ich hatte nur einen kurzen Blick auf die Zuschauertribüne werfen wollen, als mir plötzlich auffiel, dass wir nicht mehr allein waren. Das Mädchen, Samantha, saß auf einer Bank und beobachtete uns. Doch nach kurzem Überlegen kam es mir eher so vor, als würde sie mich ansehen.
Ich begegnete ihrem Blick und wir starrten einander an, soweit das über diese Entfernung möglich war, als plötzlich Jane zu mir stieß.

"Alles in Ordnung?", sie schien ganz außer Atem zu sein. Als ich ihr nicht antwortete folgte sie meinem Blick. "Wer ist das?", fragte sie mich und ich zuckte nur unwissend mit den Schultern. "Ich habe keine Ahnung.", log ich scheinheilig.

Dann wurde auch der Rest des Teams auf Samantha aufmerksam und somit auch der Trainer. Eins war klar, er würde sie jetzt vor versammelter Mannschaft zur Sau machen, schließlich war es niemandem an der Jefferson High (außerhalb des Teams natürlich), erlaubt uns beim Training zuzusehen.

Doch wider Erwartens duckte sich Samantha nicht aus Angst vor dem drohenden Ärger weg, sondern Schritt selbstbewusst auf den sportlichen Mann zu.

"Es tut mir leid, Sir, ich wollte Sie nicht stören. Mein Name ist Samantha Gilliam.", stellte sie sich vor.
Mir klappte fast der Mund auf und ich bewunderte ein zweites Mal an diesem Tag ihren unbeschreiblichen Mut. Doch diesmal würde sie nicht so ungeschoren davonkommen. Trainer Forst verzieh niemandem, der es wagte, das Spiel zu stören.
Wir alle warteten also auf seinen Wutanfall.
Doch zur großen Verwunderung aller blieb dieser aus.

"Gilliam?", fragte Trainer stattdessen ungläubig. "Ist dein Vater James Gilliam?"
"Ja, das ist er.", antwortete sie lächelnd. "Nennen Sie mich doch Sam."

H(er)oes | gxg #Wattys2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt